Die Betriebsrätin – auf verlorenem Posten?

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Wird sie ihren Kampf gegen Goliath gewinnen? Oder mustern die Global-Player sie einfach aus. Cornelia Filter besuchte Monika Boeddinghaus in Dortmund.

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Allianz – das klingt nach Zusammenhalt, Vertrauen, Zuverlässigkeit. Die Allianz ist kein Unternehmen, sie ist eine Familie, lautete jahrzehntelang die Firmen-Philosophie. Damit ist es nun vorbei. Die Konzern-Zentrale in München will der Familie den Garaus machen. Passend dazu zündet Monika Boed­dinghaus am frühen Morgen des 9. November vor dem Allianz-Gebäude am Heiliger Weg in Dortmund rote Grableuchten an.
Die Blondine mit der rauchigen Stimme ist die Betriebsratsvorsitzende für 370 Beschäftigte der APKV (Allianz Private Krankenversicherung). Die Dortmunder Niederlassung soll geschlossen werden. Das verkündete Vorstandschef Michael Diekmann am 22. Juni 2006. „An diesem Tag wurde mir das Herz rausgerissen“, sagt Monika Boeddinghaus mit Tränen in den Augen.
Im Jahr 2005 machte die Allianz AG – ein Global Player mit 700 Tochtergesellschaften in 70 Ländern – 4,5 Milliarden Euro Gewinn, mehr denn je zuvor. Für 2006 wird ein Rekordgewinn von 6 Milliarden Euro erwartetet. Trotzdem sollen bis Ende 2008 in Deutschland 7.500 Stellen abgebaut werden: 2.500 bei der Allianz-Tochter Dresdner Bank und 5.000 bei den Versicherungen. Elf von 21 deutschen Versicherungsstandorten sollen komplett wegrationalisiert werden. Die Aktionäre dürfen sich freuen. Capital schätzt, dass sie durch die Einsparung von 600.000 Millionen Euro für Gehälter pro Jahr „mit jährlichen Dividenden­schüben von zehn Prozent profitieren“.
Monika Boeddinghaus aber kann es kaum fassen. Stolz betont die gelernte Verkäuferin: „Seit dem 1. August 1968 arbeite ich ununterbrochen.“ Seit 34 Jahren im Versicherungsgeschäft, seit 32 Jahren als freigestellte Betriebsrätin, seit sechs Jahren als Betriebsratsvorsit­zende. „Diekmann hat mit einem Federstrich beiseite geschoben, woran ich geglaubt habe.“ Zum Beispiel: „Fleiß lohnt sich.“ Oder: „Als Arbeit­nehmer muss man dem Arbeitgeber gegenüber loyal sein.“
Monika Boeddinghaus war lange loyal. Zu lange? Viele „Strukturveränderungen“ hat sie als Betriebsrätin mitgetragen, weil sie „die Notwendigkeit“ einsah. Doch jetzt geht’s ans Eingemachte.  Die kinderlose Moni, die „Mutter der Nation“, wie die KollegInnen sie nennen, versteht die Streikbrecherinnen, die sich verschämt an ihr vorbeischleichen: „Weil das überwiegend alleinerziehende Mütter sind, die mit jedem Cent rechnen müssen.“
Abgesehen von den Chefetagen ist das Banken- und Versicherungswesen eine Frauendomäne. Von den 7.500 Vollzeitstellen, die bei Dresdner Bank und Allianz gestrichen werden sollen, sind nach Einschätzung von Betriebsrätin Boeddinghaus bis zu 10.000 Menschen betroffen: nämlich auch Teilzeitstellen, überwiegend von Frauen.
8 Uhr 30. Die Polizei erscheint, um die AllianzlerInnen durch die Innenstadt zum Streiklokal zu eskortieren. Streikführerin Boed­dinghaus bewegt sich auf vertrautem Terrain. Sie stammt aus einer streikerprobten SPD-Familie mit fünf Kindern. Der Vater, Bergmann in Dortmund-Eving, beteiligte sich schon in den 1960er Jahren an den Demonstrationen gegen das Zechensterben. Ebenso Monis Brüder. Aber „dass ich, das brave Mädchen, mal mit Polizeischutz über den Ostwall gehen würde, das hätte ich mir nicht träumen lassen.“
Im Streiklokal an der Hansastraße hat die Gewerkschaft Verdi eine Powerpoint-Präsentation aufgebaut. Auf der Leinwand prangt das Konterfei des Allianz-Vorstands Thomas Pleines. Daneben der Schriftzug: „Supermacho.“ Denn auf einer Betriebsversammlung in München soll Pleines sinngemäß gesagt haben: Die entlassenen Frauen könnten ja Kinder kriegen und zuhause bleiben.
„Dieser Zynismus“ bringt Moni auf die Palme. Sie greift zum Mikro­phon, um eine flammende Rede für „entschlossene Gegenwehr“ zu halten – doch kurz darauf gesteht sie, wie sie „in stillen Stunden“ um sich selber bangt. Was soll aus ihr werden, wenn der Untergang der Allianz-Familie sich nicht verhindern lässt? Monika Boeddinghaus ist 53, eine geschiedene, alleinstehende Frau und öffentlich unbequeme Gewerkschafterin. Wer würde sie noch einstellen? Einziger Trost: „Was uns angetan werden soll, schweißt total zusammen.“
Fragt sich nur, wie lange noch. Weil die Konzernspitze Sach-, Lebens- und Krankenversicherungen „konzentrieren“ will, sollen die 8.600 (besetzten) Arbeitsplätze in den zehn verbleibenden Niederlassungen „intern“ neu ausgeschrieben werden. Trockener Kommentar der Zeit: „Die Belegschaft spielt Reise nach Jerusalem, Variante gnadenlos.“ Vom „Imageverlust“ der Allianz ist die Rede.
Auch die Kundschaft fühlte sich bisher in der Allianz-Familie aufgehoben. In jedem kleinen Dorf gab es VersicherungsvertreterInnen, die jederzeit ansprechbar waren. Auch das ist Vergangenheit. In den letzten fünf Jahren hat die Allianz AG laut Konzernspitze eine Million KundInnen an Billig-Anbieter verloren, die per Internet und Callcenter Versicherungen verkaufen.
Imageverlust? Na und. Scham kennen anonym agierende Global Player nicht, die kennen nur Profite. Ein weitergehender Kundenverlust allerdings – nicht zuletzt aus Solidarität mit den gefeuerten Angestellten – könnte auch dem Global Player wehtun. Also signalisierte Allianz-Boss Diekmann Ende November: Keine Kündigungen vor Ende 2009. Und „vielleicht“ Erhalt der Standorte in Frankfurt, Köln und Dortmund mit „abgespeckter“ Stellenzahl. Am Heiliger Weg 80 Arbeitsplätze statt 370. Also doch noch Hoffnung für Monika Boeddinghaus?

Cornelia Filter, EMMA 1/2007

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