EKD: Drei Frauen räumen auf!
Diese Wahl war ein Paukenschlag: Seit ihrer Synode im November 2021 wird die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) von drei Frauen geleitet. Das oberste Kirchenparlament hat Annette Kurschus, 58, die bisher Präses der westfälischen Landeskirche war, zur Ratsvorsitzenden und Nachfolgerin von Heinrich Bedford-Strohm gewählt. Ihre Stellvertreterin ist die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, 60. Bereits seit Mai steht der EKD-Synode Präses Anna-Nicole Heinrich, 25, vor. Sie studiert in Regensburg „Digital Humanities“.
Noch nie hat eine Kirchenführung vor so existentiellen Aufgaben gestanden wie diese. Denn bei allen Unterschieden in ihren Schwerpunkten und Hintergründen verbindet die drei Frauen eines: In Anbetracht dramatischer Sparzwänge müssen sie retten, was zu retten ist. Sie müssen Antworten auf die Frage finden, inwieweit Glaube noch als gesellschaftliche Kraft taugt.
"Gott kann nicht auf ein Geschlecht festgelegt werden", findet Kurschus.
Annette Kurschus, 1963 im hessischen Rotenburg geboren und aufgewachsen in einem Pfarrhaus, hatte bereits in ihrer Rede zur Bewerbung um den EKD-Ratsvorsitz klar gemacht: „Ich setze auf die Kraft geistlich-theologischer Akzente.“ Sie hat sich damit von Bedford-Strohm abgegrenzt, der wegen seiner politischen Statements zur Migrationspolitik und dem Einsatz in der Seenotrettung viel Kritik einstecken musste.
Kurschus, die 2015 den Vizeposten im Rat der EKD übernommen hat, hatte sich bisher vor allem als Predigerin mit einem besonderen Gespür für aktuelle Stimmungen einen Namen gemacht. Ihre Worte beim zentralen Trauergottesdienst für die Opfer des Germanwings-Flugzeugabsturzes 2015 im Kölner Dom sind dafür ebenso exemplarisch wie ihre Osterpredigt beim ZDF-Gottesdienst während des ersten Corona-Lockdowns 2020. Polarisierung liegt ihr fern. So verwundert es kaum, dass sie in einem der ersten Interviews, die sie als EKD-Ratsvorsitzende der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gegeben hat, die von katholischen Jugendverbänden erwogene Verwendung von Gendersternchen für „Gott“ ablehnte. „Gott kann nicht auf ein Geschlecht festgelegt werden“, sagte sie.
Ihre Stellvertreterin Kirsten Fehrs, 1961 in Wesselburen in Schleswig-Holstein geboren und mit einem Pfarrer verheiratet, hat in ihren Anfangsjahren als Pfarrerin von der feministischen Theologieprofitiert. Die Hamburger Bischöfin, seit 2015 im Rat der EKD, sagte Zeit Online, die feministische Theologie habe ihr prägende Perspektiven eröffnet. Heute setze sie sich für die Gleichberechtigung aller Menschen ein, ohne sich als Feministin zu bezeichnen. Aber: „Feminismus braucht es dort, wo wirkliche Chancengleichheit noch nicht erreicht ist.“ Sie kämpfe für eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt sind. Im Gegensatz zu Kurschus sucht sie bewusst den Dialog mit Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur.
Synoden-Präses Anna-Nicole Heinrich
lebt mit ihrem Mann in einer Vierer-WG
Die größten Baustellen finden sich in der Kirche selbst. Noch zählt die evangelische Kirche 20 Millionen Mitglieder. Einer Prognose der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität zufolge werden bis 2060 die Mitgliederzahlen um die Hälfte zurückgehen. Insbesondere für junge Erwachsene verliert Kirche an Bedeutung. Anna-Nicole Heinrich sieht hier eine zentrale Aufgabe. Schon als EKD-Jugendbeauftragte experimentierte sie mit neuen, zeitgemäßen kirchlichen Formen. Sie gehörte zu den Organisatorinnen des Hackathons #glaubengemeinsam, bei dem innerhalb von 48 Stunden 100 Ideen und 50 konkrete Projekte für eine Kirche der Zukunft eingereicht wurden, darunter eine „Virtuelle Online-Kirche im Gameplay-Format“.
Anna-Nicole Heinrich, die mit ihrem Mann in einer Vierer-WG lebt, ist überzeugt, dass Kirche jungen Menschen etwas bieten kann. „Mein Glaube ist eine starke Basis“, sagt sie, „aber auch eine große Suche.“ 1996 im bayerischen Schwandorf geboren, wuchs sie in einem nicht-religiösen Haushalt auf. Sie kam über den Religionsunterricht zum Glauben. Mit ihrer „unkirchlichen“ Art ist sie nicht nur Sympathieträgerin, sondern auch Vorbild für eine Generation, die Religion erst finden muss.
Zentrale Herausforderungen der EKD ist die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale. 900 Opfer haben sich gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. 2018 wurde der EKD-Beauftragtenrat zum Schutz vor sexualisierter Gewalt ins Leben gerufen. Zu den schärfsten Kritikern gehörte Detlev Zander, der als Kind in einem Heim der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal missbraucht und misshandelt wurde.
Zander war auch Mitglied des Betroffenenbeirats der evangelischen Kirche, den die EKD wegen interner Konflikte im Mai „ausgesetzt“ hat. Zander und andere hatten bemängelt, der Betroffenenbeirat wäre nur unzureichend einbezogen worden. „Herr Bedford-Strohm hat die Aufarbeitung versemmelt“, sagt Zander heute auf Nachfrage. Er verweist aber auch darauf, dass Kirsten Fehrs und Annette Kurschus in die Aussetzung des Betroffenenbeirats involviert waren. So war Kirsten Fehrs Sprecherin des EKD-Beauftragtenrats zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Dennoch, findet Zander, bewege sich etwas, setze er Hoffnungen in die Frauen an der Spitze. Fehrs hat die Betroffenen auf der Synode um Verzeihung gebeten. Kurschus erklärte nach ihrer Wahl, die Aufarbeitung des Missbrauchs zur Chefinnensache machen zu wollen. Die Synode will sich fortan bei jeder Sitzung dem Thema widmen. Zander gehört zu einer Gruppe, die Strukturen einer künftigen Betroffenenbeteiligung ausarbeitet. „Ich vertraue Frau Kurschus und Frau Fehrs jetzt einfach mal“, sagt er. „Die nächste Zeit wird zeigen, ob die Versprechungen Substanz haben oder leere Lippenbekenntnisse waren.“
Bemerkenswert, dass ein „Triumfeminat“, wie die FAZ das Dreierteam nannte, Fehler gutmachen muss, die eine männlich dominierte Kirche angerichtet hat. Schließlich begann die Geschichte der evangelischen Frauen-Ordination erst 1958, 34 Jahre später wurde Maria Jepsen in Hamburg zur ersten lutherischen Bischöfin der Welt. Das Geschrei der Traditionalisten war damals groß. Dabei spielen Frauen im kirchlichen Leben die Hauptrolle. Ihr Anteil im Pfarramt liegt zwar bei nur 38 Prozent; insgesamt aber werden 77 Prozent aller kirchlichen Stellen von Frauen besetzt. Und natürlich sind sie als Ehrenamtliche überproportional vertreten. Die Basis ist weiblich. Da ist es nur konsequent, dass es die Spitze ebenso ist.
CLAUDIA BECKER
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