Dwora Stein: Kämpferisch in Wien

Foto: Peter Rigaud
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Das ist ein beinharter Männerjob, das schaffst du nie“, sagte ihr Vater, als Dwora Stein ihm erklärte, sie wolle jetzt Gewerkschafterin werden. Mit dem ersten Teil seines Satzes zumindest hatte er recht. Doch was den zweiten Teil betrifft, unterschätzte er die Zielstrebigkeit seiner Tochter.

Würde man das Klischeebild eines österreichischen Gewerkschafters zeichnen, es sähe ungefähr so aus: Ein Mann in mittleren Jahren im grauen, schlechtsitzenden Anzug, der eher Dialekt als hochdeutsch spricht. Dwora Stein war damals in praktisch allem das Gegenteil: Eine attraktive, modebewusste Frau Mitte 20, Intellektuelle, Jüdin. Von proletarischem Hintergrund keine Spur.

Dworas Vater hatte Theologie studiert, sprach Jiddisch als Muttersprache und besaß in Wien ein Textilgeschäft. Ihre Mutter, Wienerin aus einfachsten Verhältnissen, war als 17-Jährige mit einem Schlepper vor den Nazis nach Budapest geflüchtet und überlebte den Holocaust dort als U-Boot. 1948 zog das Ehepaar nach Wien, weil ihre Kinder „nicht im Kommunismus aufwachsen sollten“. Dwora studierte Psychologie. Sie kultivierte ein Faible für Theater und Literatur. Und sie spricht bis heute kein Wienerisch, sondern Hochdeutsch.

„Ich habe mich ganz schrecklich gefürchtet“, erinnert sich die heute 63-Jährige an den Tag, als ihre erste Begegnung mit der Gewerkschaftswelt bevorstand. Als junge Akademikerin sollte sie für Jungfunktionäre der Bau-Holz-Gewerkschaft eine Schulung leiten, das Seminar trug den Titel „Psychologie für den Funktionär“ und fand in einem Bauarbeiterheim statt, irgendwo auf dem Land. Stein hatte sich tagelang akribisch vorbereitet, sie überließ nichts dem Zufall. „Und irgendwie fand ich die richtigen Worte. Die Burschen haben mich auf Anhieb ernst genommen“, sagt sie. Dieses Erfolgsrezept sollte sie weiter begleiten.

Dwora Stein ist heute eine der mächtigsten Menschen in der österreichischen Arbeiterbewegung. Sie ist Bundesgeschäftsführerin der GPA-djp, das ist die Gewerkschaft der Privatangestellten, mit 270.000 Mitgliedern die bei weitem stärkste Gewerkschaft des Landes; im Jahr 2006 wurde die GPA mit der djp (Gewerkschaft für Druck, Journalismus und Papier) fusioniert. In der GPA-djp sind 15.000 Betriebsrätinnen und Betriebsräte organisiert; sie verhandeln jedes Jahr etwa 160 Kollektivverträge in den verschiedensten Branchen. Daneben ist Dwora Stein noch Vizepräsidentin der Arbeiterkammer und hat mehrere Aufsichtsratsfunktionen, unter anderem im Jüdischen Museum.

Heute, wo Österreich von einer rechten Koalition aus ÖVP und FPÖ regiert wird, muss Österreichs Sozialdemokratie mit einem Backlash rechnen. Es gibt viele Errungenschaften der ­ArbeiterInnenbewegung, die verteidigt werden müssen.

Als Stein 26 war, ging sie weg aus Wien. Es war ein Akt der Befreiung – weg von der Familie, weg aus ihrer ersten Ehe. Ihr zweiter Mann, Nichtjude, Sozialist, war und ist ihre große Liebe. Er schenkte ihr ein EMMA-Abo („Ich hab’ das mit Begeisterung gelesen, und immer drauf gewartet, dass das Heft endlich im Postkasten lag“). Sie wollte sich nicht abhängig machen, als sie zu ihm in die Steiermark zog, und nahm deswegen einen Job als „Gewerkschaftssekretär“ an. „Das war damals die Berufsbezeichnung für eine Person, die interessenspolitische Arbeit macht“, erklärt Stein. Einen weiblichen Namen für den Job gab es nicht. Denn „Sekretärin“ – das wäre etwas ganz Anderes gewesen.

Auch in der Linken gibt es Männerseilschaften und machistische Rituale, immer schon, und Gewerkschafter gehörten meistens zur konservativeren Seite der ArbeiterInnenbewegung. Bei vielen ihrer Karriereschritte, die in den nächsten Jahrzehnten folgen sollten, fand sich Dwora Stein daher in der Rolle der Außenseiterin wieder: Häufig war sie die erste Frau in ihrer Position, und in vielen Verhandlungsrunden die einzige Frau am Tisch. Ihre Strategie, damit umzugehen, hat sich seit ihrem ersten Seminar kaum verändert. „Ich hab’ mich inhaltlich hineingetigert, Wissen angehäuft, und mir damit Respekt verschafft. Du musst so gut sein, dass die anderen dich brauchen“, sagt sie.

Dennoch gab es immer wieder Situationen, in denen sie spürte: Die wollen dich nicht. Die nehmen dich nicht ernst. Die warten nur auf den Moment, in dem du stolperst und auf die Nase fällst. Mitte der Achtzigerjahre machte Dwora Stein ihrem Ärger in einem Artikel für eine Parteizeitung Luft. Darin erzählt sie über die frauenverachtenden Umgangsformen mancher Kollegen: Vom grölenden Gelächter am Tisch, wenn einer über den großen Busen einer Kollegin herzieht („Wie geht es dir dabei? Lachst du mit? Stehst du auf und gehst?“). Und davon, wie sie am Telefon von Kollegen, die sie um eine Rechtsauskunft baten, manchmal ganz selbstverständlich mit „Pupperl“ angesprochen wird („Bin ich überempfindlich, oder würde auch anderen Frauen da für ein paar Sekunden der Atem wegbleiben ob solch selbstverständlicher Frauenverachtung“?)

Diese 30 Jahre alten Zeilen lesen sich, angesichts der aktuellen #MeToo-Debatte, beinahe prophetisch. Und es ist ja, angesichts der aktuellen politischen Situation in Österreich, nicht damit zu rechnen, dass es so schnell besser wird. Dwora Stein trägt heute ein Frauenzeichen an einem Goldkettchen um den Hals. Das Schmuckstück hat ihr Mann für sie, zu ihrem 30. Geburtstag, bei einem Juwelier anfertigen lassen. „Wir müssen uns auf frauenpolitische Rückschläge in Österreich einstellen“, sagt Stein. Sie sagt es gefasst, nüchtern, aber mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldet.

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