Gewalt: Jetzt reden wir!

Artikel teilen

Es ist viel passiert in den letzten 40 Jahren, sehr viel. Als Feministinnen Mitte der 1970er-Jahre erstmals erklärten: Es gibt Gewalt zwischen Männern und Frauen, und die heftigste Gewalt herrscht in Beziehungen – da haben alle laut aufgelacht: Jetzt sind sie ganz ­verrückt geworden!

Inzwischen gibt die Frauenministerin Pressekonferenzen zum Thema, betreibt das „Bundesweite Hilfetelefon“, lässt Aufklärungs-Spots und Plakataktion produzieren. „Die Zahlen sind schockierend“, sagt Franziska Giffey. In der Tat. 141 Frauen sind im Jahr 2017 von ihrem so genannten (Ex)Partner – ein befremdlicher Begriff in diesem Zusammenhang – getötet worden. Jeden dritten Tag eine. Und da sind die nie geklärten „Haushaltsunfälle“ wie Fensterstürze noch nicht mitgezählt.

Man stelle sich vor: Jeden dritten Tag würde in Deutschland ein Geflüchteter getötet. Oder ein Türke. Oder ein Asiate. Ein Aufschrei ginge durchs Land. Empörung! Lichterketten! Soli-Konzerte! Und natürlich: Forderungen an die Politik! Aber die Opfer sind ja nur Frauen.

Auch die Frauen selbst scheinen sich daran gewöhnt zu haben. Am „Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen“ gingen in Frankreich und Spanien Zehntausende Frauen auf die Straße. In Deutschland blieb es vergleichsweise ruhig. Warum? „Das frage ich mich auch“, erwidert Frauenministerin Giffey trocken.

Wir Feministinnen wissen es seit langem, nun endlich ist die Erkenntnis auch bei den Spitzen der Politik angekommen: Der gefährlichste Platz für eine Frau ist nicht etwa der dunkle Stadtpark oder der Heimweg von der Disco – sondern ihre eigene Küche bzw. ihr eigenes Schlafzimmer. Da, an der Front des Geschlechterkampfes, bricht immer wieder Gewalt aus und eskaliert sie so manches Mal tödlich.

113.965 Frauen landeten 2017 in der Polizei­lichen Kriminalstatistik (PKS), gegen die ihr (Ex)„Partner“ gewalttätig wurde. Die Delikte: Stalking, Bedrohung, Körperverletzung, Vergewaltigung, Mord und Totschlag. Und das sind nur die angezeigten Fälle, die Dunkelziffer liegt um ein Viel­faches höher.

Es sei jedoch so manches Mal auch umgekehrt, heißt es mit Blick auf die Statistik. 18 Prozent der Täter bei der so genannten „Häuslichen Gewalt“ seien Frauen, die Opfer ihre eigenen Männer. Eine wirklich überraschende Zahl. Jedes fünfte Opfer soll ein Mann sein? Beim genaueren Blick auf die einzelnen Delikte stellt sich heraus: Das Geschlechterverhältnis liegt bei „schwerer Körperverletzung“ – also Gewalttaten mit dauerhaften Folgen für das Opfer – bei neun zu eins. Auch bei „Stalking, Bedrohung und Nötigung“ sind 90 Prozent der Täter männlich; bei „Vergewaltigung und sexueller Nötigung“ sind es 98 Prozent. Hinzu kommt: Die Frauen nehmen Gewalt eher hin, die empörten Männer aber zeigen vermutlich leichter an. Die Statistik bildet jedoch nicht die tatsäch­lichen Gewalttaten ab, sondern lediglich die angezeigten.

Eine weitere Zahl in der Statistik ist frappant: Ein Drittel der Täter, egal bei welcher Straftat, hat nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Das bedeutet: Zwei Drittel der Täter sind deutsche Männer. Es bedeutet aber auch: Ausländische Männer sind bei der so genannten „Partnerschaftsgewalt“ deutlich überrepräsentiert. Denn ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung macht nur zwölf Prozent aus, ihr Anteil von 32 Prozent an den Tatverdächtigen aber fast das Dreifache. Außerdem müssen wir davon ausgehen, dass „Frauen mit Migrationshintergrund“ Gewalt durch ihre Männer noch seltener öffentlich machen als deutsche Frauen. Das Schweigegebot ist im patriarchaleren Milieu größer, ebenso die Bereitschaft, einen prügelnden Mann schicksalhaft zu ertragen.

Jedoch: Auch immer mehr „Frauen mit Migrationshintergrund“ scheinen die so genannte „Häusliche Gewalt“ nicht länger hinzunehmen. Ihr Anteil in den Frauenhäusern steigt – von einem ohnehin schon hohen Niveau. Laut einer Erhebung der „Frauenhauskoordinierung“, dem Dachverband von 260 Frauenhäusern in verbandlicher Trägerschaft, war 2009 noch knapp jede zweite Frauenhaus-Bewohnerin keine Deutsche. Im Jahr 2015 hatten schon zwei von drei Frauen einen Migrationshintergrund. Und die Zahl ist mit den knapp zwei Millionen Geflüchteten, die seither gekommen sind, noch weiter gestiegen.

Ministerin Giffey hat nun die Ärmel aufgekrempelt und ein entscheidendes Problem angepackt: die fehlenden Frauenhaus-Plätze. Schon im September 2017 hatten die Frauenhäuser Alarm geschlagen. In einem Brandbrief an das Ministerium hatte der Dachverband die „dramatische Lage“ angeprangert: Jedes Jahr müssten Tausende Frauen von überfüllten Frauenhäusern abgewiesen werden.

„Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus“, erklärt Heike Herold, ­Sprecherin der „Frauenhauskoordinierung“ im Gespräch mit EMMA. Tatsächlich hat Frauenministerin Giffey einen ersten Schritt in diese Richtung getan: Sie zitierte im September 2018 Bund, Länder und Kommunen an einen Runden Tisch, damit endlich eine einheitliche Lösung für die Finanzierung der Frauenhäuser gefunden wird. Denn die ist bisher, so Heike Herold, „ein Flickenteppich, den sich jedes Frauenhaus zusammenstückeln muss“.

Ministerin Giffey handelt: Für 2019 stellt ihr Ministerium den Frauenhäusern fünf Millionen Euro zur Verfügung, für 2020 dann das Sechs­fache, nämlich 30 Millionen Euro in Aussicht.

Das ist doch schon ein Wort.

Ausgabe bestellen
Anzeige
'
 
Zur Startseite