Jenseits von Gottvater

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Im Verständnis der hebräischen Bibel war der biblische Gott weder nur männlich noch nur weiblich, sondern beides. So heißt es in Genesis 1,27: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie.“ Im Hebräischen, das keine Vokale kennt, heißt die Gottheit „JHWH“, ein Eigenname, ganz ursprünglich mit der Bedeutung „Er weht“, aber meistens gedeutet als „Er ist da“.

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„Gott weiblich“ macht ernst mit diesem genderbewussten Erbe der Bibel in Sachen Gottesbild. Darüber hinaus aber vermittelt der Gang durch die Ausstellung einen Blick in die jüngste Erforschung der Religionsgeschichte Israels. Außerbiblische Inschriften, die „JHWH und seine Aschera“ erwähnen, bestätigten den Verdacht, dass die biblischen Schriften ein Ideal von einem Monotheismus zeichnen, den es so über Epochen hin gar nicht gegeben hatte: Neben JHWH, Israels Gott, wurde bis in den Tempel von Jerusalem hinein auch die Göttin Aschera verehrt.

Die Fachpublikationen über die Göttinnen und die Entwicklung des israeli­tischen Monotheismus werden immer zahlreicher. Hinter dem überraschenden großen Publikumserfolg von „Gott weiblich“ steht nicht nur das neu erwachte Inte­resse am Thema Religion, sondern auch die jahrzehntelange aufklärerische Arbeit feministischer Theologinnen.

Mitte der 1980er Jahre meldete sich die so genannte Matriarchatsforschung mit einer verschärften Bibel- und Christentumskritik zu Wort und suchte eine Verdrängung des Weiblichen und der Göttinnen aus purem männlichem Machtwillen nachzuweisen. So zum Beispiel Christa Mulack 1983 in „Die Weiblichkeit Gottes“ oder Gerda Weiler 1990 in „Ich brauche die Göttin“. Und die Euro­päische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR) wid­mete ihre 3. Konferenz 1989 in Arnoldshain dem Thema „Gottesbilder“. Einen Eklat verursachte auf dieser Konferenz die jüdische Theologin Judith Plaskow. Sie hielt der Matriarchatsforschung und christlichen Feministinnen vor, dass sie antijudaistische Ideen wie die von einem Göttinnenmord (im alten Israel) und einem Jesus, der die Frauen von ihrem Juden­tum befreite, propagierten.

Über Jahre befruchteten sich Ge­mein­de­arbeit, Kirchentage, Frauengruppen und die feministische Theologie gegenseitig. Erst Ende der 90er Jahre flaute das Interesse der Basis an der Frage, ob Gott auch Mutter, ob der heilige Geist weiblich sei, wieder ab. Die Bibelwissenschaft erlebt hingegen einen noch anhaltenderen Boom zu der Thematik.

Das Konzept der Ausstellung „Gott weiblich“ ist thematisch und geht entlang wichtiger Erscheinungsweisen weiblicher Göttlichkeit. So beginnt der Gang durch die Ausstellung provokativ mit dem Thema „Haar“. Die Haartracht von Männern, mehr aber noch die von Frauen ist seit je ein Politikum – man denke nur an die Bedeutung der langen Haare für die 68er Bewegung – und ein Kernthema der Religionen. Offene Haare sind erotisch und ein Zeichen des Ungebändigten, in den Haaren steckt Lebenskraft.

Während das Alte Testament noch in ganz positivem Sinn von der wilden Haarpracht eines Simson, aber auch der Geliebten im Hohenlied sprechen kann, beginnt in der frühjüdischen Zeit bereits die Dämonisierung der langen Haare – besonders der Frauen. Maria Magdalena wird mit der Frau, die Jesus die Füße mit ihren Haaren trocknet, verschmolzen und in der christlichen Ikonographie zur langhaarigen, reuigen Hure. Paulus schreibt den Korintherinnen vor, dass sie im Gottesdienst ihre Haare bedecken, damit keine Engel durch diese Pforte des Bösen in die Gemeinde einfallen.

Der Schleier verdeckt Erotik, Potenz, Weiblichkeit. Bis heute ist er ein ambivalentes Symbol, zwischen patriarchaler Unterdrückung und Frauenstolz. Auch in unseren Kulturkreisen dürften nicht nur die Nonnen einen Schleier, sondern noch manche unserer Großmütter in der Öffentlichkeit selbstverständlich ein Kopftuch getragen haben. Der Schleier ist, wenn man die Dinge in diesem größeren Zeithorizont anschaut, keine Erfindung des Islam.

Mit den Brüsten hatte der Vordere Orient offenbar nie ein Problem. Volle, nährende Frauenbrüste sind seit dem Neolithikum ein Hauptthema der Kunst. Könige legitimieren ihre Herrschaft damit, dass sie an der Brust einer Göttin getrunken haben. In einem judäischen Haushalt stand gewöhnlich ein Säulen­figürchen, wahrscheinlich eine Miniaturausgabe des Aschera-Bildes im Tempel, mit dem freundlich zugewandten Gesicht und den üppigen Brüsten, die dargeboten werden. In Stoff eingezwängt haben die alten Israelitinnen ihre Brüste jedenfalls nicht.

In der Marienfrömmigkeit spielen die Brüste Mariens gerade in der Zeit vor der Reformation eine große Rolle. Die Reformatoren sahen sich genötigt klarzustellen, dass sie nicht durch die allgegenwärtigen, in Heiligtümern verehrten Brüste und die Milch Mariens gerettet worden seien, sondern durch das Blut Jesu Christi.

Nach Gen 3,20 nannte der Erdling Adam die erste Menschenfrau Eva, hebräisch Hawwah, die Mutter alles Lebendigen. Dieser Ehrentitel hat seine Ursprünge in den vielen Verbindungen der altorien­talischen Göttinnen mit Pflanzen und Tieren. Ob Göttin und Baum, oder Göttin und Herdentiere, oder auch Göttin und Löwe, hier wird sichtbar, dass die antiken Kulturen auf Landwirtschaft basierten. Es ist ein schillerndes Frauenbild, das sich da vor unseren Augen entwickelt. Die stolz auf dem Löwen stehende erotische Qudschu und die auf dem Kriegsross reiten­de Astarte verkörpern den wilden, auch kämpferischen Frauentyp. Die Taube steht für die erotische Liebesgöttin und hat es erstaunlicherweise noch bis ins Neue Testament geschafft, wo sie Jesus am Jordan, begleitet von einer himmlischen Liebeserklärung, zufliegt.

Der alttestamentliche Glaube an den einen Gott ist nicht aus einem Guss, er hat viele Aspekte, auch Aspekte des Weiblichen, verdrängte aber die Erotik; anders als die Nachbarreligionen, aus dem kultischen Raum. Und er förderte Entwicklungen zur Bildlosigkeit und bis hin zum Bilderverbot. Nicht einmal seine eifrigsten Verfechter reduzierten jedoch den Gott Isra­els auf die reine Männlichkeit oder gar auf den „Herrn“.

„Gott weiblich“ setzt das in der evangelischen Öffentlichkeit heftig diskutierte Projekt „Bibel in gerechter Sprache“ an diesem Punkt ins Recht: Der Gottesname JHWH wird in den großen Bibelübersetzungen seit der antiken griechischen Septuaginta-Übersetzung und bis in die heute üblichen Standardbibeln mit „Kyrios“, „Dominus“, „Herr“ wiedergegeben. Das ist unsachlich, eigentlich schlicht falsch, und hatte für Frauen tatsächlich die Folge, dass „das Männliche Gott wurde“. Die „Bibel in gerechter Sprache“ setzt an die Stelle des Gottesnamens verschiedene Titel „die Ewige“, „der Heilige“, „Ich-bin-da“ usw. und sucht so vorsichtig experimentierend nach neuen Gottesnamen und Gottesbildern.

Hier trifft sich die Botschaft der Ausstellung mit einem Gedanken der jüdischen Theologin Marcia Falk: „Das Bilderverbot“, schrieb sie schon 1989, „bedeutet nicht, du sollst dir überhaupt kein Bild von Gott machen, sondern du sollst dir niemals nur ein Bild von Gott machen, ein Bild von Gott ist ein Götzenbild“. Wenn beide Geschlechter Gott abbilden, dann gibt es jedenfalls keinen Grund mehr, sich Gott als alten Mann mit Bart vorzustellen.

Die Autorin, 50, ist katholische Theologin, Professorin für Altes Testament und Biblische Umwelt an der Theologischen Fakultät Bern. Zahlreiche Publikationen, u.a. mit Othmar Keel „Eva – Mutter alles Lebendigen“ (Butzon & Bercker).

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