Lisa Ortgies: Hausweiber usw.

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Lisa Ortgies guckt ‚Desperate Housewives‘ und erkennt sich – im Gegensatz zum Deutschen Hausfrauenbund.

Meine amerikanische Gastmutter in dem bibeltreuen Städtchen Conway in Arkansas verbrachte ganze Nachmittage mit dem Schreiben von Thank-You-Notes. Das sind kleine Postkarten, auf denen eine Gastgeberin den Gästen nach einer Feier für ihr Erscheinen dankt und blumenreich begründet, warum gerade ihre Anwesenheit den besagten Tag zu einem Unvergesslichen gemacht hat.
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Während Susan über Stunden ein Kärtchen nach dem anderen schrieb, wurde das Haus von einer Firma gereinigt, die Wäsche von einer anderen abgeholt, ein Tiefkühllieferant brachte das Abendessen, und ich passte auf ihre vier Kinder auf. Trotzdem war Susan rund um die Uhr beschäftigt – mit dem Chauffieren der Kinder, Shoppen, Kirchgängen, Lächeln oder dem Organisieren von Charity-Veranstaltungen. Susan war eine streng gläubige Katholikin. So streng, dass sie den ehelichen Verkehr nach der Geburt ihres vierten und letzten Wunschkindes einstellte. Denn der Sexualakt habe allein dem Zweck der Fortpflanzung zu dienen, wie sie mir aufgebracht vorhielt, nachdem sie in meinen Koffer ein Verhütungsmittel entdeckt hatte. Damals war sie 36 Jahre alt.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Susan ist eine ausgesprochen nette und intelligente Frau, aber aus meiner Sicht leider total durchgeknallt. Eine Frau wie sie ist in der amerikanischen Provinz keine Ausnahme, sondern der Regelfall. Deshalb wage ich folgende Behauptung: Die preisgekrönte und erfolgreichste amerikanische Kultserie aller Zeiten, die über das Leben, Lieben und Leiden von vier verzweifelten Hausfrauen in einem typisch amerikanischen Vorort berichtet – ‚Desperate Housewives‘, hierzulande auf Pro7 – wird von der Realität noch weit übertroffen. In Conway haben sich zwar keine Morde oder Selbstmorde ereignet, zumindest nicht, solange ich da war. Aber es gab sehr viele Dinge, über die nie gesprochen wurde. Und auf die ich stieß, weil ich ahnungslos in Fettnäpfchen stapfte.

Menschen, die aus der Familienchronik getilgt worden waren oder vertuschte Schwangerschaften. Und massig Leute, die nur haaresbreit davon entfernt waren, durchzudrehen. Der Umzug ins weiße Suburbia ist nichts anderes als die Selbsteinweisung in ein Luxus-Irrenhaus, dessen Insassen durch mentale Elektrozäune in Schach gehalten werden. Oder wie es der Erfinder der ‚Desperate Housewives‘, Marc Cherry, ausdrückt: „Das Dasein als Hausfrau und Mutter in amerikanischen Vororten kann geisttötend sein!“

Wer das übertrieben findet, sollte die Entstehungsgeschichte dieser Serie kennen: Cherry saß mit seiner Mutter vor dem Fernseher und verfolgte den Prozess gegen eine Mutter (aus der Vorstadt), die ihre fünf Kinder in der Badewanne ertränkt hatte. „Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, um so etwas zu tun“, sagte Cherry zu seiner Mutter. Die antwortete darauf leise: „An dem Punkt war ich auch schon mal.“ Der geschockte Autor zog folgenden Schluss: Wenn es schon seiner geliebten Mutter so ging, dann mussten Hunderttausende andere Frauen ähnlich empfinden. Und zwar nicht nur Mütter in den USA, sondern – wie der Erfolg zeigt – in 130 Ländern dieser Erde.

Marc Cherry ist heute ein reicher und gefeierter Autor. Und sein Werk ist Anlass zu höchstem Kritikerlob auf der einen und schärfster Kritik auf der anderen Seite. Feministinnen wie Germaine Greer regen sich vielleicht zu recht darüber auf, dass in der Serie überholte Ideale propagiert werden. Aber wie passt das zu den Boykottaufrufen und Kommentaren von rechts, hier würden „amerikanische Familienwerte zersetzt“? Gerade in republikanischen Hochburgen wie Atlanta erreicht ‚Desperate Housewives‘ die höchsten Einschaltergebnisse. Auch in Deutschland entwickelt sich die Serie zum Quotenhit und Small-Talk-Thema Nummer eins.

Irgendetwas müssen all diese Menschen doch wieder erkennen in den ‚Desperate Housewives‘? Nehmen wir die tragikomische Figur der Bree, eine zwangsneurotische Überhausfrau, die den ehelichen Sex sofort unterbricht, wenn sie irgendwo im Schlafzimmer einen Fleck entdeckt. Bree kann ihren perfektionistischen Terror nicht mal einstellen, als ihr Mann mit Scheidung droht.

Ich behaupte, dass die Zuschauerinnen aus eigener Erfahrung genau verstehen, warum sie an ihrer Neurose fest hält. Denn Bree hat keine Alternative zu ihrem goldenen Käfig. Um psychisch zu überleben, flüchtet sie sich in ein Zombie-Dasein. Ihre zersetzenden Aggressionen verpackt sie in ein höfliches Lächeln (oder einen Obstkuchen). Ihr geschrumpftes Herz verbirgt sie hinter einem pastellfarbenen Twinset.

Als ihr Gatte bei einer Dinnerparty mit der Nachbarschaft verrät, dass er und seine Frau einen Paartherapeuten aufsuchen, überschlagen sich die Gäste plötzlich mit Geständnissen, um der Peinlichkeit zu entkommen. Mitten in diese hektische Beichterei platziert Bree den einen Satz, der die Party beendet: „Nach dem Ejakulieren muss Rex immer weinen.“

Solche großartigen Szenen machen es möglich, dass man dem Drehbuchschreiber so manche Plattitüde oder Stereotype verzeiht – wie die silikonbusige Nymphomanin oder die vergessene Socke des Liebhabers unterm Ehebett. Das Faszinierende an den ‚Desperate Housewives‘ sind die Abgründe und absurden Verzweiflungstaten ihrer Akteurinnen, alles getränkt in pechschwarzen Humor. Schon die erste Folge beginnt mit dem Selbstmord einer der Hauptfiguren. Kein neuer, aber in diesem Fall ein genialer Einstieg, denn die lebensmüde Hausfrau stellt noch eine letzte Waschmaschine an, bevor sie die geflieste Küche als Tatort wählt, um sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, „weil sich dort das viele Blut leichter abwischen lässt“.

Schwarzer Humor gehört nicht gerade zur genetischen Grundausstattung der Deutschen, sonst würde wohl niemand angesichts von soviel Sarkasmus behaupten, dass hier die „subtilen Sozialanalysen“ (Berliner Zeitung) fehlen. Eine Land, in dem eine völlig Humor- und Intellektfreie Telenovela auf Schülertheaterniveau wie ‚Verliebt in Berlin‘ Riesenerfolge feiert, darf sich eigentlich gar kein Urteil über Serienimporte erlauben.
Nicht nur deshalb kann ich die Kritik des ‚Deutschen Hausfrauenbundes‘ an der Serie nur schwer nachvollziehen: Die amerikanischen Housewives seien doch wohl „sehr untypisch“ für deutsche Hausfrauen – was sich schon durch einen kurzen Zahlenvergleich widerlegen lässt, denn die Quote erwerbstätiger Mütter in Deutschland liegt deutlich unter dem amerikanischen Schnitt. Hierzulande leben also sehr viel mehr „Nur-Hausfrauen“ als in den USA.

Kein Wunder, dass sich der Hausfrauenbund zum Ziel setzt, die gesellschaftliche Anerkennung von Hausfrauen zu heben: „Denn ein gut geführter Haushalt ist eine Quelle der Kraft, von der alle profitieren.“ Ein Satz, den man ohne weiteres der übergeschnappten Bree aus den ‚Desperate Housewives‘ in den Mund legen würde, während sie versucht, ihren Gatten zu vergiften. In Deutschland ist dieses Statement ernst gemeint.

Genauso ernst wie die guten Ratschläge der ‚Supernanny‘, die deutsche Mütter bittet, ihren Frust nicht an den Kindern auszulassen. Wie dieser Frust zustande kommt, interessiert nicht und die getadelten Mütter senken natürlich beschämt ihr Haupt. Da lobe ich mir eine vierfache Mutter wie Lynette aus ‚Desperate Housewives‘, die ihre Blagen einfach mal am Straßenrand aussetzt, um sie nicht schlagen zu müssen.

Hierzulande sollen sich Hausfrauen mit einem Werbespot für Vorwerk-Staubsauger identifizieren und sie tun es auch noch. Ein Spot, in dem eine attraktive, dreifache Vollzeitmutter lachend einen Festtagsbraten zwischen ihrer hyperaktiven Brut und einem sabbernden Hirtenhund jongliert. Und am selben Party-Abend auf die spitze Frage nach ihrem Beruf schmunzelnd verkündet, sie „führe ein erfolgreiches kleines Familienunternehmen“. Unter Nur-Hausfrauen ist dieser Satz inzwischen zum beliebtesten Sprichwort avanaciert.

Nun suchen Vorwerk und HörZu jedes Jahr nach der „Familienmanagerin“ des Jahres. „Machen Sie mit und helfen Sie mit, dass die Arbeit im Haushalt als vollwertiger Job anerkannt wird.“, heißt es in der Anzeige. Aber: Wenn sich Vorwerk um die Anerkennung der Hausfrauen bemüht, warum muss die Mutter im Spot dann lügen? Schließlich lässt sie die Konkurrentin auf der Party tatsächlich in dem Glauben, sie sei Geschäftsführerin eines kleinen Unternehmens.

Damit trifft der Spot tatsächlich einen Nagel auf den Kopf: Es fällt Hausfrauen verdammt schwer, sich zu ihrem Lebensstil zu bekennen, besonders vor berufstätigen Mitschwestern. Und, mal abgesehen von ihrer eigenen Lücke im Selbstbewusstsein: Welcher beruflich ambitionierte Ehemann gibt auf Partys mit seiner Frau an, weil sie den Haushalt schmeißt? Nicht, dass er sich dafür schämt (Ausnahme: Vernissagen, Firmen- oder Premierenfeiern), aber Ehemänner sind eher selten besonders stolz darauf, dass ihre Angetraute sämtliche Berufspläne seiner Karriere opfert. Sie sind meistens erleichtert und im besten Falle dankbar, aber bestimmt nicht stolz.

Der Begriff ‚Familienmanagerin‘ verschafft keiner Hausfrau irgendeine gesellschaftliche Achtung. Auch dieser Titel verhilft ihr weder zu mehr Geld noch zu mehr Macht. Das Familienministerium hat ausrechnen lassen, was die von Hausfrauen geleistete Arbeit wert ist: 820 Milliarden Euro pro Jahr. Nur: Was soll ich mit der Rechnung, wenn doch niemand zahlt? Um es in den Worten der ehemaligen Topverdienerin und vierfachen Mutter Lynette aus ‚Desperate Housewives‘ zu sagen: „In unserer Straße habe ich die Arschkarte gezogen.“
Lisa Ortgies, EMMA Juli/August 2005

Die Autorin ist die Moderatorin des TV-Frauenmagazins ‚Frau TV‘.

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