Mücke macht die Fliege
Sie heißt Mücke und hat die Fliege gemacht. Die Kuh, die in Neckargemünd vom Schlachttransporter gesprungen war und es sich unter Schafen gemütlich gemacht hatte, ging durch die Medien. Ihr kühnes Reißausnehmen hat Mücke das Leben gerettet. Sie lebt mittlerweile auf einem Gnadenhof des Vereins „Rüsselheim“ im hessischen Alsfeld. Ein Psychiater aus Bremerhaven übernimmt für sie Kost und Logis. Gut, dass Mücke sich um sich selbst gekümmert hat – auf den deutschen Tierschutz braucht sie nicht zu hoffen.
Denn der ist mit Blick auf den neuen Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) zu Ende, bevor er überhaupt angefangen hat. „Da wurde mal eben der Bock zum Gärtner gemacht“ – so der Tenor sämtlicher Tierschutzverbände, Tierschutznetzwerke und TierärztInnen. Das Wort „Tierschutz“ hat der Metzgermeister aus Unterfranken bislang noch nicht in den Mund genommen. Und: Die geplante Novellierung des Tierschutzgesetzes von 2024 – die bereits die erste Lesung im Bundestag passiert hatte - ist nach dem Platzen der Ampel in der Versenkung verschwunden. Die Reform hätte das Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern gebracht, das Verbot von Hörner- und Schwanzkürzungen, der Schlachtung hochträchtiger Schafe und Ziegen und die Verpflichtung von Videoaufzeichnungen in Schlachthöfen. Immerhin.
Alois Rainer will mehr Beinfreiheit für Landwirte, nicht für Tiere
„Tiere werden in der Landwirtschaft weiterhin ohne Wenn und Aber ausgebeutet, es wird keine der dringend notwendigen Verbesserungen in Zucht und Haltung geben“, klagt Tierärztin Claudia Preuß-Ueberschär vom Verein „Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft“ und Sprecherin des Tierschutznetzwerks „Kräfte bündeln“. So viel ist klar: Alois Rainer will „mehr Beinfreiheit für Landwirte“, nicht für Tiere. Die strohlose Haltung von Rindern und Schweinen, Muttersauen im sogenannten Kastenstand, kein Weidegang, die Betäubung von Schweinen vor der Schlachtung im Co2-Fahrstuhl, die Qualzucht von Hühnern – an alledem wird nicht gerüttelt.
„Nichts tut sich in Deutschland! Dabei ist Tierschutz seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz verankert und damit ethische und juristische Verpflichtung – und das nicht nur, wenn es gerade wirtschaftlich passt!“, empört sich Preuß-Ueberschär.
Auch über den Abgang von Ariane Kari zeigen sich die Tierschutzverbände erbost. Sie wurde 2023 als Bundestierschutzbeauftragte eingesetzt, als unabhängige, fachlich kompetente Ansprechpartnerin für den Tierschutz. Sie hätte ihre Sache gut gemacht, so die ExpertInnen. Alois Rainer hat Kari trotzdem – oder gerade darum? - kurz nach seinem Amtsantritt entlassen und Silvia Breher (CDU), derzeit Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesagrarministerium, auf den Posten gesetzt. Nach bisheriger Amtsbeschreibung soll die Bundestierschutzbeauftragte unabhängig beraten. Wie soll das gehen? Entweder Parlamentarische Staatssekretärin oder unabhängige Bundestierschutzbeauftragte.
„Mit dieser Personalie ist klar: Geschützt werden zukünftig nicht die Tiere, sondern die Tierindustrie und deren Akteure. Die Bundesregierung macht den Posten damit zum politisch gesteuerten Placebo!“, sagt Preuß-Ueberschär. Von Breher sei kein grundlegender Kurswechsel in der Agrar- und Ernährungspolitik zu erwarten. Vielmehr stehe sie eng an der Seite der Nutztierindustrie – in einer Region (Oldenburger Münsterland), die zu den größten Zentren der industriellen Tierhaltung in Europa zählt.
Auch in Sachen Tierversuche besteht unter der aktuellen Regierung keine Aussicht auf Verbesserung. Eine von der Ampelregierung ausgearbeitete Reduktionsstrategie verschwand ebenfalls in der Schublade. Hoffnung besteht mit Blick auf große Pharmaunternehmen, die aus Tierversuchen aussteigen wollen - nicht aus ethischen Gründen, sondern weil sie weniger Geld verlieren wollen. Sogenannte „Alternativmethoden“ wie die Forschung an Zellkulturen, Organ-on-Chip-Systeme und Computersimulationen liefern deutlich bessere Testergebnisse als Tierversuche, die sich nur schwer auf den Menschen übertragen lassen.
Die geplante Reduktionsstrategie für Tierversuche verschwand in der Schublade
Die Fehlerquote bei Medikamenten ist mit über 90 Prozent schlicht zu hoch. „Das Hauptargument der Tierversuchslobby ist, dass es ohne Tierversuche keine Menschenleben rettenden Medikamente gäbe. Das stimmt nicht. Die humanrelevante Forschung bringt sogar bessere Medikamente hervor, ist in Deutschland aber massiv unterfinanziert“, sagt Dr. Melanie Seiler, Geschäftsführerin des Vereins „Ärzte gegen Tierversuche“. In den USA, den Niederlanden, aber auch auf EU-Ebene sollen humanrelevante Methoden stärker gefördert werden. 2023 wurden 3,5 Millionen Tiere für Tierversuche getötet - überwiegend Mäuse, Fische, aber auch Vögel, Katzen, Hunde und Affen. Die restlichen Tiere wurden als sogenannte „Überschusstiere“ getötet. Trotz eines leichten Rückgangs der Zahlen ist ein vollständiges Ende der Tierversuche nicht in Sicht. Generell scheint das Thema Tierschutz von der politischen Agenda verschwunden zu sein.

