Es sind die Spiele der Frauen!

One Moment in Time: Gold für Ringerin Aline Rotter-Focken! Foto: imago images
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Olympia bringt Helden hervor heißt es. Bei den Spielen von Tokio sind es in großer Zahl Heldinnen. Erstmals in der olympischen Geschichte haben in Tokio alle Sportarten eine männliche und eine weibliche Kategorie. Frauen können nun in 20 Wettbewerben mehr als noch vor fünf Jahren Medaillen gewinnen. Von den rund 11.000 AthletInnen sind 49 Prozent Frauen. So viele waren es noch nie. Und sie holen sich die Medaillen!

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Angefangen mit Slalomkanutin Ricarda Funk. Sie bricht den Gold-Bann des deutschen Teams, die Sportwelt atmet auf. Die 29-Jährige stammt aus Ahrweiler, dem Flutgebiet im Bundesland Rheinland-Pfalz. „Mein Mitgefühl geht nach Hause“, sagte sie beim Empfang der Medaille. Ihr Vater Thorsten meldete aus der Ahr-Region zurück: „In dem ganzen Schutt glänzt diese Medaille schon wie ein paar Sonnenstrahlen."

Turnerin Sarah Voss: Schaut auf unsere Leistung, nicht auf unseren Schritt!

Einen feministischen Aufschlag haben die deutschen Turnerinnen gemacht. Wie bei den Europameisterschaften im April in Basel angekündigt und erstmals gezeigt, haben sie ihre langen Anzüge mit nach Tokio genommen. „Schaut auf unsere Leistung, nicht auf unseren Schritt!“ – so die klare Botschaft. Damit sagten Elisabeth Seitz, Sarah Voss & Co als erste Turnerinnen der Welt der Sexualisierung ihres Sportes den Kampf an. Das IOC akzeptierte das neue Outfit, es gab keine Abzüge in der Wertung. Von nun an können sich Turnerinnen entscheiden, wie sie in den Wettkampf gehen wollen.

Nur nebenbei: Kein Sportverband hat es jemals gewagt, Männern Trikots vorzuschreiben, die so knapp sind, dass die kaum  die Geschlechtsteile bedecken. Anders bei den Frauen. Die Beach-Volleyballerinnen spielen noch immer in Slips, die woanders als Reizwäsche durchgehen.

Angefeindet wegen ihrer Kurzhaarfrisur: An San aus Südkorea holte Gold im Bogenschießen.- Foto: IMAGO
Mit festem Blick - und "feministischer Kurzhaarfrisur": An San aus Südkorea holte Gold im Bogenschießen.- Foto: IMAGO

Ein deutliches äußerliches Zeichen setzte auch die südkoreanische Bogenschützin An San. Die 22-Jährige gewann nicht nur zwei Goldmedaillen und stellte einen neuen olympischen Rekord auf, sie trägt auch einen „feministischen Kurzhaarschnitt“ (Süddeutsche). Seit einigen Jahren wächst in den Sozialen Medien in Südkorea eine antifeministische Bewegung heran, die auch prominente Frauen zur Zielscheibe erkoren hat. Frauen mit kurzen Haaren scheinen ein besonders beliebtes Ziel zu sein.

Schon im März wurde An San von ihnen angefeindet. Sie blieb bei ihrer Frisur – und bekommt nun Unterstützung aus Politik, Prominenz und Gesellschaft. „Schieß mit deinem festen Blick durch jedes Vorurteil auf der Welt“, ließ Oppositionspolitikerin Sim Sang Jung verkünden, sicherte der Athletin Unterstützung zu – und sagte den Maskulisten den Kampf an. Ihren Kritikern auf Instagram antwortete An San: „Während ihr mit euren Minderwertigkeitskomplexen in euren Zimmern sitzt und Nachrichten schreibt, gewinne ich bei den Olympischen Spielen zwei Goldmedaillen.“ Goldener Schuss.

Die 13-jährige Skateboarderin Momiji Nishiya: Erfolg hat doch nichts mit dem Alter zu tun!

Ein neues Selbstbewusstsein verströmten auch die Skateboarderinnen. Zum ersten Mal war der Sport im Wettbewerb dabei. Und Momiji Nishiya holte Gold im eigenen Land – mit gerade mal 13 Jahren. Die Silbermedaille ging an die ebenfalls erst 13-jährige Rayssa Leal aus Brasilien, Bronze an die 16-jährige Funa Nakayama aus Japan. Noch nie zuvor haben so junge Frauen so viele Medaillen geholt (Männer sehr wohl) – was zu Spekulationen führte, ob der Sport noch nicht reif genug sei. „Es gibt doch auch viele sehr junge männliche Olympioniken. Erfolg hat doch nichts mit dem Alter zu tun“, sprach die Goldmedaillen-Gewinnerin den Medien wie ein alter Hase und sichtlich unaufgeregt ins Mikro.

Nicht minder lässig reagierte die 17-jährige Lydia Jacoby – erste Schwimmerin aus Alaska bei Olympia – auf ihre Goldmedaille. Lydia Jacobi ist nicht nur begnadete Schwimmerin, sondern auch eine nicht weniger begnadete Bluegrass-Bassistin. „Man muss sich nicht von klein auf mit Haut und Haar dem Schwimmen verschreiben, um Erfolg zu haben“, antwortete sie auf die Frage, wie sie beides gemanagt kriege. Jacobi hat in der Pandemie viel Zeit zum Musizieren und Trainieren gehabt, hat sich zum ersten Mal überhaupt für Olympia qualifiziert und gleich Gold geholt.

Isabell Werth gratuliert Teamkollegin Jessica von Bredow-Werndl zur Goldmedaille. - Foto: IMAGO.
Isabell Werth gratuliert Teamkollegin Jessica von Bredow-Werndl zur Goldmedaille. - Foto: IMAGO.

Und dann war da natürlich noch Isabell Werth. Nach Gold in der Mannschaft war Gold im Einzel für sie quasi vorprogrammiert. Die erfolgreichste Dressur-Reiterin aller Zeiten hätte sich Goldmedaille Nummer Acht holen können. Dann hätte sie Kanutin Birgit Fischer als Deutschlands erfolgreichste Olympia-Sportlerin überholt. Ihr Pferd Bella Rose tanzte in all der Anmut, die man von ihr gewohnt war, nur tanzte Teamkollegin Jessica von Bredow-Werndl auf Dalera eine Nuance filigraner. Die Rosenheimerin Bredow-Werndl war eine Zeit lang die Schülerin von Isabell Werth, Werth schon immer das große Vorbild. „Sie hat mich in der härtesten Zeit meiner Karriere aufgefangen, und ich danke ihr von Herzen“, sagte von Bredow-Werndl unter Tränen nach der Siegerehrung, „Ich schaue immer noch zu ihr auf!“. Und Isabell Werth nahm es sportlich: „Niemand hat ein Abo auf Gold. Ich gönne es Jessica von Herzen!“

Mit Hörspielen von "Bibi Blocksberg" stimmte sich Ringerin Aline Rotter-Focken auf ihre Wettkämpfe ein, das "macht mich locker", sagt sie. Ihr Kampf war keine Hexerei. Er war eine Explosion! Was für Nerven und Kraft! Es ist die erste deutsche Medaille im Frauen-Ringen überhaupt seit Bestehen des Sports. Und dann für Aline Rotter-Focken, die immer eine Karriere im Schatten führte, weil das Frauen-Ringen kaum jemanden interessierte und die früher ständig die Jungs aufs Kreuz legen musste, damit diese endlich ihre blöden Sprüche über ringende Mädchen bleiben ließen.

Dann Malaika Mihambo, ganze sieben Meter fliegt sie bei 36 Grad. Und dann folgt noch der Hammer: Gold und Weltrekord für den Bahnrad-Vierer!

Ihnen allen steht unglaubliche Freude und Stolz ins Gesicht geschrieben. Bei Olympia schaut die ganze Welt zu. Sportarten, die sonst nicht einmal übertragen werden, bescheren den "One Moment In Time". Wie großartig, dass dafür so viele Frauen sorgen. Die Spiele werden schließlich auch in Ländern übertragen, in denen Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen. Hier sieht man sie ringen, Kugel stoßen, segeln, sprinten... Und wie! Mögen die Spiele so weitergehen!

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