re:publica - alte und neue Muster

Auf der re:publica: Alexis Hope, Nanjira Sambuli, Joanna Zylinska. Fotos: Alexandra Eul
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Die re:publica 2019 war gerade erst ein, zwei Stunden alt, als Berlins „most inspiring festival for the digital society“ zum Schauplatz der Machtverhältnisse wurde, die die Tech-Konferenz seit mehr als einer Dekade benennen und verändern will. Nennen wir es den Steinmeier-Moment. Mit Frank-Walter Steinmeier also hat in diesem Jahr erstmals ein Bundespräsident die re:publica eröffnet, das ist natürlich was. Und er hatte seine Eröffnungsrede gerade erst beendet, da strömten so einige ZuhörerInnen auch schon wieder hinaus aus dem großen Saal 1.

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Bloß: Steinmeier war ja nicht der einzige, der an diesem Morgen eine Eröffnungsrede halten sollte. Die Speakerin, die danach von der Bühne dem Schwarm beim Verschwinden zusah, heißt Nanjira Sambuli. Eine Tech-Expertin aus Nairobi, die nicht nur für die Vereinten Nationen tätig ist, sondern auch mit Tim Berners-Lee zusammenarbeitet. Der gilt gemeinhin als der „Erfinder“ des World Wide Webs. Inzwischen hat er eine Stiftung gegründet und dort ist Sambuli für Gleichberechtigungsfragen zuständig, mit einem besonderen Blick auf die Frauenrechte in der digitalen Gesellschaft. Wie es um die steht, war nun also live zu beobachten: Der mächtige, weiße Politiker spricht und alle hören zu. Als die schwarze Frau die Bühne betritt, verlässt ein Teil des Publikums den Saal.

Ist die digitale Gesellschaft wirklich so "post-gender" wie behauptet?

Die Speakerin nahm es gelassen. Was sie antreibt, seien die Menschen, die ihr zuhören, sagt sie kurz darauf im Interiew mit EMMA. Nicht die, die gehen. "Aber natürlich ist so etwas ein Symptom für ein größeres Problem", findet Sambuli. "Ich habe solche Situationen auch schon häufiger erlebt. Manchmal sitze ich mit männlichen Experten in einem Raum und stehe dann als Frau auf und spreche - und merke, wie sie eine Abwehrhaltung entwickeln. Als ob ich sie angreifen wollte. Dann entfalten sich ganz plötzlich diese altbekannten Dynamiken aus Alter, Hautfarbe und Geschlecht." Dynamiken, die die digitale Gesellschaft doch eigentlich hinter sich lassen wollte, Stichwort „post-gender“. 

Aber so ist es nicht. Immer noch nicht. Und das war dieses Jahr erneut ein Kernthema der rund 1.000-SpeakerInnen starken Konferenz. „EmanziTech“ hieß der Themenschwerpunkt. „Wir haben es wieder geschafft, 50 Prozent Menschen auf der Bühne zu haben, die sich als weiblich bezeichnen, hinzu kommt zusätzlich noch ein Anteil, der 'non-binary' angegeben hat und nochmal ein Anteil, der keine Aussage gemacht hat“, berichtete Programmdirektorin Alexandra Wolf. Die Zeiten, in denen Netzfeministinnen auf die fatalen Folgen der Frauenabstinenz auf Tech-Podien hinweisen mussten und deswegen Unverständnis oder sogar Spott ernteten, sind lange vorbei. Und es ist erstaunlich, wie vielfältig die Themen auf so einer Konferenz sein können, sobald Frauen nicht mehr nur mit der alleinigen Einforderung ihres Existenzrechts beschäftigt sind. Themen, die allesamt drängen.

Darin waren sich Tech-Expertinnen in Berlin einig: Dass sich über Jahrzehnte ein männliches Machtprinzip in die Technologie eingeschrieben hat – von der Hardware bis zur Künstlichen Intelligenz – muss endlich problematisiert werden. Denn wenn die Krönung der Tech-Produktentwicklung im 21. Jahrhundert eine kleine Kiste mit weiblicher Stimme sein soll, die auf Befehl Dienste verrichtet, dann ist da einfach viel schief gelaufen. 

Das männliche Machtprinzip
ist in die Technologie eingeschrieben.

Die in Polen geborene Technik-Philosophin, Künstlerin und Professorin an der University of London, Joanna Zylinska, hat ein Buch über dieses Phänomen geschrieben. Es trägt den Titel “The End of Men. A Feminist Counterapocalypse”. Darin kritisiert Zylinska die Hybris der „Silicon Valley boys“, deren göttergleichen Allmachtsfantasien den Technikdiskurs prägen. „Sie sprechen über Singularität und Unsterblichkeit. Aber was ist mit Themen wie dem Klimawandel?“, fragte Zylinska im Gespräch mit EMMA. „Und mit Themen, die Frauen betreffen, befassen sie sich schlicht gar nicht. Trotzdem vermitteln sie den Eindruck, dass ihre Arbeit die gesamte Menschheit angeht.“ Zylinska kritisierte, dass eine Erhöhung des Frauenanteils in Tech-Unternehmen nicht ausreicht, um diese Schieflage zu beheben. „Das gesamte Weltbild muss sich ändern!“

Eine ähnliche Beobachtung hat die Designerin und Künstlerin Alexis Hope gemacht, die am MIT Media Lab in Cambridge forscht. Auf den derzeit angesagten Hackathons (eine Wortschöpfung aus „Hack“ und „Marathon“) kommen Tüftler, Programmierer und Experten zusammen, um an einer ganz konkreten Problemlösung zu arbeiten. Frauenprobleme werden da eher selten gelöst. Hope und ihre MitstreiterInnen haben sich deswegen entschieden, sich einem sehr konkreten Problem einfach mal anzunähern: Hope und Co. haben eine Milchpumpe gehackt. Bei dem nächsten Hackathon im September wird es um das Stigma Menstruation gehen.

Die alten Dynamiken aus Alter, Hautfarbe und Geschlecht.

Erstaunlich ist jedoch auch, wie wenig kontrovers die Gender-Debatten auf der re:publica mitunter geführt wurden. „The digisexual revolution: Sex and New Technology“ hieß zum Beispiel der Talk von Neil McArthur, Direktor des „Centre for Professional and Applied Ethic“ an der University of Manitoba. Ein Lobgesang auf die „Digisexualität“, sprich die Freuden und die Freiheiten, die Technologien wie Sex-Roboter bringen können. Dass es eine Kampagne gibt, die die Ächtung von den in der Regel stark pornografisierten Sex-Robotern fordert, weil die Unterzeichnenden einen weiteren Schritt in Richtung der Dehumanisierung von Frauenkörpern befürchten, blieb unerwähnt. Ebenso, dass der weltweit wachsende Markt für Sexpuppen in Kindergröße mehr als alarmierend ist.

Vielleicht wäre das ja der nächste Schritt: Nachdem Frauen die Panels erobert haben und Emanzipations-Themen fester Bestandteil des Programms sind, folgt nun die kontroverse Aushandlung dieser Themen auf Bühnen und in Workshops. So wie Männer es ja schon seit Jahren tun.

Das wird spannend.

Mehr über die re:publica in der nächsten EMMA.

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