"Das muss Konsequenzen haben"

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Frau Schulte, haben wir es hier mit einem Einzelfall zu tun, bei dem besonders viel kriminelle Energie im Spiel war, oder droht bald die nächste Rückrufaktion für Silikon-Implantate?
In diesem Fall ist zweifellos viel zusammengekommen. Aber gerade deshalb ist es ja erstaunlich, dass nicht an einem einzigen Punkt im System eine Kontrolle gegriffen hat. Hier haben wir es also mit einer ganzen Reihe von Lücken zu tun.

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An welchen Stellen klaffen diese Lücken?
Es gibt mehrere Dinge, die mir völlig unverständlich sind. Das PIP-Implantat ist in Deutschland seit 2001 auf dem Markt, obwohl ihm in den USA schon im Jahr 2000 die Zulassung verweigert wurde. Das hätte bei den deutschen Behörden und Ärzten auf Skepsis stoßen müssen. Erst 2010 hat dann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gewarnt, weil Risse in den Implantaten aufgetreten waren. Darauf haben aber Ärzte und Fachgesellschaften nicht reagiert, obwohl sie die Gefahr hätten sehen müssen. Dass dann das BfArM wiederum bis zum 6. Januar 2012 gebraucht hat, um sich für die Entfernung der Implantate auszusprechen, ist ebenfalls unverständlich. Das sind alles Ungereimtheiten, aus denen Konsequenzen gezogen werden müssen.

Welche?
Zunächst mal wünsche ich mir, dass sich die Ärzte ihrer Verantwortung stellen. Die hätten nach dem Zulassungsverbot in den USA hellhörig werden und sich fragen müssen, ob die CE-Zulassung auf dem europäischen Markt für die PIP-Implantate tatsächlich ausreichend ist. Es gibt ja Ärzte, die diese Implantate wieder entfernt haben, weil die Hülle gerissen und Silikon ausgetreten ist. Hinzu kommt, dass wir keine zentrale Stelle haben, der solche Vorfälle gemeldet werden können. Eine unserer Forderungen ist also, dass jeder, der in Deutschland eine Brust-OP durchführt, die Daten an ein zentrales Register meldet. Und zwar nicht nur die Information darüber, dass ein Implantat eingesetzt wurde und welches, sondern auch die Verlaufsdaten der Patientin: Musste das Implantat womöglich ein Jahr später wieder entfernt werden? Und warum?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte steht wegen seiner laxen Zulassungspraxis gerade in der Kritik. Was muss sich dort verändern? 
Medizinprodukte müssen vor ihrer Zulassung strengeren Prüfkriterien unterworfen werden, vergleichbar mit Medikamenten und nicht mit Industrieprodukten. Und diese Prüfung muss staatliche Aufgabe sein. Sie darf nicht, wie bisher, in die Hände von Unternehmen gelegt werden, auch wenn sie vom Staat beauftragt sind. Die CE-Kennzeichnung, die diese Unternehmen vergeben, reicht keineswegs für Hilfsmittel, die medizinisch eingesetzt werden.

Können Frauen überhaupt erkennen, ob ihnen ein gefährliches Implantat der Firma PIP oder der Firma ROFIL eingesetzt wurde?
Das sollte aus dem Implantat-Pass hervorgehen, den sie nach der OP bekommen haben. Wie uns Frauen berichten, ist das aber keineswegs immer der Fall. Wenn der Hersteller des Implantats im Pass nicht erkennbar ist, sollte sich die Patientin an die Klinik wenden, in der das Implantat eingesetzt wurde. Die Plastischen Chirurgen sagen ja, dass ihre Fachgesellschaft ein Register führt, mit dem sie die Herkunft der Implantate nachvollziehen können. Aber das bedeutet nicht, dass alle Brust-Operateure in Deutschland an dieses Register melden, zumal ja nicht alle der Fachgesellschaft angehören. Auch da gibt es Lücken.

Es könnte also sein, dass eine Klinik der Frau auch nicht sagen kann, von welchem Hersteller ihr Implantat stammt?
Genau. Das könnte passieren.

Die Krankenkassen wollen die Kosten für die Entfernung der Implantate bei Brustkrebs-Patientinnen übernehmen. Für Frauen, die sich die Brüste haben vergrößern lassen, ist dagegen eine Beteiligung an den Kosten gesetzlich vorgeschrieben.
Es ist zu prüfen, ob der §52 im Sozialgesetzbuch V hier wirklich greift. Wir meinen, dass die Implantate zunächst auf Kosten der Krankenkassen entfernt werden müssen und diese sich dann mit den Verursachern des Problems auseinandersetzen müssen. Und zwar auch, wenn die Implantate bei einer Schönheits-OP eingesetzt wurden. Diese Frauen sind mutwillig getäuscht worden und sind jetzt einer Gesundheitsgefährdung ausgesetzt. Und das darf nicht zu ihren Lasten gehen. Frauen sind das schwächste Glied in dieser Kette. Sie sind die Leidtragenden und sollten jetzt nicht um Gelder kämpfen müssen.

Viele Frauen haben sich ein Silikonimplantat nach einer Brustkrebs-OP einsetzen lassen. Rät die Frauenselbsthilfe nach Krebs von diesem so genannten „Brustaufbau“ ab?
Wir klären die Patientinnen über die verschiedenen Optionen auf, die sie nach einer Brustkrebs-Operation haben und benennen Vor- und Nachteile. Dazu haben wir eine Broschüre herausgegeben und vermitteln auch Gesprächspartnerinnen, die über ihre Erfahrungen mit einer bestimmten Methode berichten können. Häufig kommt die Aufklärung der Patientinnen vor der OP von Seiten der Ärzte viel zu kurz. Ein Brustaufbau mit Silikon-Implantaten ist eine von vielen Möglichkeiten. Es gibt verschiedene Varianten des Brustaufbaus mit körpereigenem Gewebe oder auch die Option, keinen Aufbau machen zu lassen und die Symmetrie mit einer Prothese wieder herzustellen. Aber diese Möglichkeit wird von den Ärzten vielfach gar nicht angeboten.

Sie rufen Frauen auf, sich bei Ihnen zu melden und von ihren Erfahrungen zu berichten.
Genau, und zwar nicht nur solche, die ein Brustimplantat haben. Uns interessiert generell: Welche Erfahrungen machen Frauen mit Brustkrebs? Wir sitzen ja in politischen und medizinischen Gremien und bringen dort die Erfahrungen der Frauen ein. Wir sind auf Rückmeldungen angewiesen, damit wir die Interessen der Frauen gut vertreten können.

www.frauenselbsthilfe.de

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EMMA-Kampagne Brustkrebs

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