In der aktuellen EMMA

So werden EMMA & Alice gecancelt

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16. April 2024
In unserer März/April-Ausgabe hatten wir einen Teil der Graphic Novel von Barbara Yelin über die Holocaust-Über­lebende und Israelin Emmie Arbel veröffentlicht. Nun wollten wir das gesamte großartige Werk der Cartoonistin vorstellen. Wir fragten bei zwei kompetenten Autorinnen an. Höfliche Absagen. Also fragen wir die Künstlerin selbst, wer denn über sie kundig schreiben könnte. Antwort an Margitta Hösel: „Es tut mir total leid. Und es geht natürlich nicht gegen Sie. Aber ich möchte kein Porträt in der EMMA.“ 

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4. April 2024
Am Eingang des Bayenturms – der ebenso den Frauen­MediaTurm (FMT) wie die EMMA-Redaktion beherbergt – stößt Alice Schwarzer mit einer Besucherin des FMT zusammen. Die stellt sich vor: „Kirsten Plötz. Ich bin Historikerin und forsche im FMT.“ – „Was denn?“ – „Dass in den 50er/60er Jahren lesbischen Frauen die Kinder weggenommen wurden. Das habe ich schon für Rheinland-Pfalz gemacht. Jetzt erforsche ich das in NRW.“ – „Ach, interessant. Dann rufen Sie danach doch mal bei EMMA-Redakteurin Chantal Louis an. Die hat über Ihre Forschung in EMMA schon berichtet und würde das sicherlich wieder tun.“ – „Das würde ich schrecklich gerne. EMMA ist ja ein ideales Medium für mein Thema. Aber ich darf nicht mit EMMA reden.“ – „Wie bitte?“ – „Ich bin freie Historikerin. Und diese Forschung mache ich jetzt im Auftrag des ‚Queeren Netzwerks NRW‘. Und da hat man mir explizit gesagt, dass ich nicht mit EMMA reden darf. Schade.“ Abgang Besucherin in die Bibliothek des FMT und Alice in die EMMA-Redaktion – wo sie das Erlebte fassungslos berichtet.

25. Oktober 2023
Im Rahmen des „Literarischen Herbst“ in Leipzig soll Alice Schwarzer ihre Autobiografie „Mein Leben“ vorstellen. Schon im Vorfeld des Festivals fordern 33 (weitgehend unbekannte) AutorInnen die Veranstalter auf, „Alice Schwarzer keine Bühne für ihre problematischen Aussagen zu geben und die Veranstaltung aus dem Programm zu nehmen“. Das Problematische an Schwarzers Aussagen? Die seien „transfeindlich“ und „rassistisch“ sowie „misogyn“, also frauenfeindlich (sic!). Die lokalen Medien berichten kritisch über diese Art von Cancel Culture. Die Affäre eskaliert überregional. Am Abend selbst ziehen vor Beginn der Lesung rund 20 überwiegend jugendliche Vermummte durch den Saal und besetzen die Bühne. Sie rufen: „Eure Kinder werden so wie wir, eure Kinder werden alle queer!“ Auf ihren Schildern stehen Sprüche wie „Protect Trans Kids“ und „Keine Bühne für Alice Schwarzer“. Die zirka 200 BesucherInnen sind verärgert. Einige rufen die Polizei. Als die nach rund einer halben Stunde herannaht, verlassen die Vermummten eilig die Bühne. Die Veranstaltung kann beginnen.

19. Juni 2023
EMMA-Redakteurin Annika Ross, die am Thema Leihmutterschaft arbeitet, hat auf der Suche nach Verbündeten im Internet die „evangelische arbeitsgemeinschaft familie“ (eaf) entdeckt. Auch die eaf will, wie EMMA, die drohende Legalisierung des Babykaufs in Deutschland verhindern. Annika Ross telefoniert mit Bundesgeschäftsführerin Svenja Kraus. Die freut sich über den Austausch. Wie gemeinsam besprochen schreibt die EMMA-Redakteurin anschließend eine Mail und fragt nach einem Interview. Knapp zwei Wochen später kommt die Antwort: „Wir haben inzwischen hausintern über Ihre Anfrage beraten und lehnen nach reiflicher Überlegung ab.“ Begründung: „Vor allem die jüngsten Auslassungen von Frau Schwarzer – unabhängig von der EMMA – an der Seite von Sahra Wagenknecht und auch ihre Ansichten zum Selbstbestimmungsgesetz sind für uns ein gewichtiger Grund, Ihr Angebot abzulehnen. Sie sind nicht die Gesellschaft, in der die eaf sich positionieren möchte.“ 

18. Mai 2023
Am Vortag hat die neue Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, in Berlin ihre Antritts-Pressekonferenz gegeben. EMMA-Redakteurin Chantal Louis kennt und schätzt Claus seit langem. Die war Mitglied im „Betroffenenrat“, Chantal Louis hatte mit ihrer Unterstützung einen Artikel zum Opferschutzgesetz vorbereitet. Chantal telefoniert wegen eines Interviews mit Pressesprecherin Friederike Beck, die sie in Sachen Missbrauch ebenfalls seit Jahren kennt. Die Pressesprecherin freut sich und will sich rasch melden. Zwei Tage später hakt die EMMA-Redakteurin nach. Nun kommt die Antwort: „Das Buch ‚Transsexualität – Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?‘ von Alice Schwarzer und Ihnen hat eine Debatte entfacht, die die Missbrauchsbeauftragte Claus mit Besorgnis verfolgt“, schreibt die Pressesprecherin. „Der Beauftragten ist wichtig, dass das Hinterfragen des bei der Geburt zugewiesenen (binär-verengten) Geschlechts möglich ist und dass es jeder Person zusteht, frei über ihren Körper zu entscheiden. Die jetzigen Diskurs­beiträge von Alice Schwarzer und Ihnen können jedoch das Gegenteil befördern: Die gesellschaftliche Stigmatisierung von und daraus folgend mögliche (weitere) Gewalterfahrungen für trans Personen. Vor dem Hintergrund (…) möchte die Beauftragte für einen Beitrag in der EMMA aktuell nicht zur Verfügung stehen.“

16. Februar 2022
EMMA plant einen Schwerpunkt zum Thema „Frauen im Handwerk“ und möchte dazu eine Reportage im Kölner „Handwerkerinnenhaus“ machen. Chantal Louis schreibt an die alten Mitkämpferinnen: „Es ist großartig, dass es euch gibt, und das nun schon so lange. Ich vermute, dass euer Projekt deutschlandweit einzigartig ist. Könntet ihr euch vorstellen, dass ich euch mal besuche und dabei in eins eurer Mädchenprojekte hineinschaue?“ Am nächsten Tag kommt die Antwort: „Ich habe Deine Anfrage ins Team gegeben – hier wurde im Hinblick auf Euren letzten Artikel zum Thema Transgender (Tessa) sehr kontrovers diskutiert. Auch wir sind gerade in der Diskussion und Fortentwicklung hin zu einer Öffnung in Richtung Transgender. Wir (…) waren über den konfrontativen, spaltenden Unterton eures Artikels sehr irritiert … Letztendlich haben wir uns entschieden, nicht Teil Eurer Reportage zu werden – auch wenn wir es sehr bedauern, unsere Expertise nicht einbringen zu können.“

16. August 2021
Der Historiker Norbert Finzsch hat ein interessantes Buch geschrieben: „Die Geschichte der Kliteridektomie im ‚Westen‘ 1500 – 2000“. EMMA-Redakteurin Chantal Louis schreibt eine Mail: „Lieber Norbert Finzsch, wir sind beeindruckt von Ihrem Buch über die Geschichte der Kliteridektomie. Tatsächlich ist ja über die Genitalverstümmelung des ‚Westens‘ so gut wie nichts bekannt. Könnten Sie sich vorstellen, für EMMA einen Artikel darüber zu schreiben?“ Gleich am nächsten Tag antwortet Finzsch: „Das kann ich mir gut vorstellen, weiß aber nicht, wie der Beitrag aussehen soll! Können wir telefonieren?“ Am folgenden Tag die Kehrtwende: „Ich bin letztlich – nach der Beratung mit feministischen Freund*innen – zur Auffassung gelangt, dass es falsch wäre, einen Artikel für EMMA zu schreiben.“ Er schreibt: „… die Personen, die derartigen Praktiken unterworfen wurden, (passen) nach zeitgenössischen Definitionen zum Teil nicht in eine biologistische Definition von ‚Frau‘. Diese Tatsachen und der Umstand, dass EMMA Teil einer Kampagne ist, die die Rechte von Trans-, Inter, Nonbinary-Menschen beschneiden und Muslime/Muslima ausgrenzen möchte, veranlassen mich, Ihr Angebot abzulehnen.“

Wer steckt hinter dem systematischen EMMA-Boykott? Und handeln die BasherInnen aus Überzeugung - oder hängen einige am rot-grünen Fördertopf? Hier geht es zur Analyse.

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