Selig, wer des Dionysos Freundin

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Die Kulturgeschichte von Frauen & Wein blättert Anna Dünnebier auf und hat Erstaunliches zu berichten: Alles fing an mit der sumerischen Weingöttin – und bis heute bechern die Bacchen.

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Gib mir achtzehn Becher Wein. Siehe, ich wünsche zu trinken bis zur Trunkenheit. Mein Inneres ist so trocken wie Stroh.“ Die so sprach war eine Ägypterin – vor mehr als dreitausend Jahren. Auf der Darstellung eines Festes aus der Zeit des ‚Neuen Reichs‘, also der Zeit von Pharaonin Hatschepsut bis zu Echnaton und Nofretete, stehen diese Worte über dem Kopf einer Frau. Ein anderes Bild

zeigt ein Fest in fortgeschrittenem Stadium, eine Frau weist ein weiteres Glas zurück, eine andere übergibt sich und eine Dienerin, die eine Schale herbeiträgt, kommt deutlich zu spät.
Männer und Frauen feierten gemeinsam im alten Ägypten. Frauen hatten weitgehende Rechte, konnten eigenes Vermögen verwalten und erben, und zahlreiche Bilder zeigen Männer und Frauen einträchtig miteinander bei der Arbeit. Frauen durften Wein trinken, und sie durften sogar zuviel trinken. So ein Gelage mit Frauen stelle man sich mal im klassischen Griechenland oder im Biedermeier-Europa vor!
Der Wein kommt ursprünglich von einer Göttin, jedenfalls bei den Sumerern. In sumerischen Schriften, die etwa aus der Zeit um 2700 v. Chr. stammen, wird eine Weingöttin erwähnt. Im Griechenland der vor-klassischen Zeit war die Gottheit des Weins eine androgyne Gestalt, ein junger Mann mit mädchenhafter Anmut, langen Locken und träumerischen Augen, Dionysos genannt oder Bacchos. Er wurde auch als Kind dargestellt. Seine Priesterinnen und Anhängerinnen waren Frauen.
Jedes Jahr zum Ende des Winters zogen die ‚Bacchen‘ hinaus in die Berge, bekränzt mit Efeu, um dort mit Wein, Musik und Tänzen das schlafende Bacchos-Kind zu wecken. Auf manchen Vasen sind sie abgebildet, ausgelassen, mit offenem Haar, in Ekstase tanzend, begeistert, gelöst. Mit diesem Ritual wurde die Wiedergeburt der Natur gefeiert, darum der Efeu, der immergrün den Winter übersteht.

Auch der Mythos von der Herkunft des Dionysos spricht von Wiedergeburt: Das Kind wird von Titanen zerstückelt, von der Gottesmutter Rhea wieder zusammengesetzt und zu neuem Leben erweckt. Die Bacchen sangen: Selig, wer, den Göttern Freundin/sein Leben dem heiligen Dienst weiht,/in den Bergen ringsum schwärmend,/wer mit Efeu sich das Haupt kränzt/als Anhängerin des Dionysos./Bald erhebt sich das ganze

Land zu wirbelndem Tanz,/Bacchos ists, der den Reigen führt, im Gebirge/wo die Schar der ekstatischen Frauen wartet,/von Webstuhl und Tuch weggelockt/ von Dionysos.
So sangen sie freilich erst einige Jahrhunderte später, in dem Theaterstück ‚Die Bacchen‘ von Euripides, das im Jahr 405 v. Chr. aufgeführt wurde, also zur klassischen Zeit. Da hatten sich Gesellschaft und Götter arg verändert. Frauen durften keinen Wein mehr trinken, opferten der Demeter Brot und Milch und durften nicht einmal erleben, wie Euripides den alten Dionysos-Kult verunglimpfte. Denn es war Frauen nun nicht mehr erlaubt, als Zuschauerinnen ins Theater zu gehen.
So konnten sie nicht protestieren, wenn sich im Stück die Bacchen in rasende Ungeheuer verwandeln, die einen Mann bei lebendigem Leibe zerreißen; die Mutter spießt im Wahn des Weinrausches den Kopf des Toten auf einem Stab auf und trägt ihn vor sich her, ohne ihn zu erkennen. Der Dionysos-Kult, so die Botschaft des Stückes, ist für Frauen mörderisch und zerstörerisch.
Zu dieser Zeit war Dionysos eine andere Funktion zugewiesen worden. Die männlichen Theaterautoren schrieben nun Gesänge, in denen sich die neue Männergesellschaft erkannte. Die Gesänge der Bacchen waren passé. Also wurde aus dem Gott der weiblichen Ekstase und Wiedergeburt der Schutzgott des männlichen Theaters. Das passte, denn das klassische griechische Theater schrieb die neudefinierten Rollen von Göttern, Männern und Frauen fest. Auf den Symposien, die dem Dionysos gewidmet waren, den Weingelagen mit interessanten Gesprächen, waren die Männer nun unter sich.
Trotzdem gelangte von den griechischen Städten in Süditalien ein weiblicher Bacchos-Kult ins römische Reich (dort nannte man ihn römisch ‚Bacchus‘). Priesterinnen hüteten den Tempel; zu den rauschhaften Festlichkeiten waren im allgemeinen nur Frauen zugelassen. Nur an drei Tagen im Jahr durften auch Männer tagsüber das Heiligtum betreten.
Der Historiker Livius berichtet später, dass Männer immer öfter und auch nachts an den Bacchus-Feiern teilnehmen durften. „Seit Männer mit Frauen bei den Feiern vermischt waren, und die Ungebundenheit der Nacht dazukam, blieb kein Frevel, keine Schandtat ungetan. Die Männer begingen mehr Unzucht unter sich als mit Frauen. Litten einige die Entehrung nicht willig genug, oder waren sie zu schüchtern, sie an anderen zu üben, wurden sie als Opfer für die Gottheit getötet. Die Männer sprachen wie wahnsinnig, unter schwärmerischen Zuckungen des Körpers, Weissagungen; die Frauen liefen mit fliegenden Haaren und brennenden Fackeln an den Tiber hinab, tauchten ihre Fackeln in das Wasser und zogen sie, weil sie mit Schwefel und Kalk überzogen waren, in voller Flamme wieder heraus.“ Moral und Brandschutz waren gefordert und der Wein war schuld.
Wie viel an dieser Schilderung schon damals üble Nachrede war, was später erfunden wurde, ist unklar. Klar ist nur, dass 200 Jahre vor Livius´ Schilderung der Bacchus-Kult der Frauen mit äußerster staatlicher Gewalt unterdrückt und verboten wurde. Im Jahr 186 v. Chr. ließ die römische Regierung über fünftausend Personen, auch Männer, hinrichten, um ein für allemal die weiblichen Ausschweifungen zu beenden.
So durften Römerinnen lange Zeit keinen Wein mehr trinken. Tat es doch eine, galt es als Grund zur Scheidung. Angeblich wurde in dieser Zeit der Kuss erfunden: Als Überprüfung, ob die Ehefrau Wein getrunken hatte.
Erst in der späten römischen Kaiserzeit, als sich die Sitten und Machtverhältnisse langsam wieder änderten, durften Frauen wieder ungestraft Wein genießen. Inzwischen gab es einen neuen Gott, der auch mit Wein zu tun hatte, der wie Bacchus umgebracht worden war und auferstanden, der das ewige Leben versprach und den ewig wiederkehrenden Frühling, und der auch gern als kleiner Knabe dargestellt wurde. Zum Ritual dieser neuen Religion gehörte es, Wein zu trinken und dabei zu glauben, es sei das Blut des Gottes.
„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“, sagte Jesus zu seinen Anhängern. Seine erste Wundertat war, dass er auf der Hochzeit von Kanaa Wasser in Wein verwandelte. Und sein Anspruch war, dass seine neue Lehre für Männer und Frauen gleich gelten solle. Da durften Frauen also wieder Wein trinken, und das war sogar ein frommes Werk. Maria wurde zur Schutzheiligen des Weinbaus. Auf einem italienischen Fresco aus dem 15. Jahrhundert steht Maria lächelnd inmitten von Nonnen, die gemeinsam mit männlichen Helfern im Weinberg arbeiten.
Klöster besaßen oft eigene Weinberge, denn Wein gehörte ja zur Messe. Der nördlichste Weinberg am Rhein in Oberdollendorf gehörte dem Marienstift bei Aachen. Im Kloster Rupertsberg bei Bingen erlaubte die Klostergründerin und Äbtissin Hildegard ihren Nonnen eine tägliche Ration Wein. Sie kannte auch die therapeutische Wirkung von Wein: In ihren medizinischen Schriften gibt es über dreißig Rezepte, die gegen verschiedene Krankheiten Wein mit Kräutern anraten. Den Benediktinerinnen in Eiblingen bei Rüdesheim, auch eine Gründung der Hildegard von Bingen, gehört noch heute ein Klosterweingut. Dem Vernehmen nach trinken die Schwestern aber nur an Sonntagen.
Die Frauen im Mittelalter tranken gern und ungeniert. Bekannt waren die ‚Weiberzechen‘, die nach Geburten im Haus der jungen Mutter gefeiert wurden, oder an bestimmten Feiertagen. Freundinnen brachten reichlich Essen und ein „Tönnchen Wein“ mit. So ein Fest dauerte oft mehrere Tage.
Je mehr die Frauen im Spätmittelalter aus dem öffentlichen Leben und qualifizierten Berufen verdrängt wurden, desto stärker wurden auch die Frauenfeste eingeschränkt. 1466 verfügte der Bischof von Speyer, dass eine junge Mutter zur Taufe ihres Kindes nicht mehr als zehn Freundinnen einladen dürfe. Auch anderswo wurden die ‚Weiberzechen‘ mehr und mehr eingeschränkt und schließlich ganz verboten.
Aber so ganz war das Weintrinken den Frauen nicht zu verbieten: Es gehörte ja, wie gesagt, zum Gottesdienst. Frauen waren auch als Arbeiterinnen in den Weinbergen nicht zu ersetzen. Frauen schleppten den Dünger die Hänge von Rhein oder Mosel bergauf, machten den größten Teil der Weinlese und waren auch für den Rebschnitt zuständig, während die Männer den Boden bearbeiteten: Maria Lichtmeß – /Spinnen vergeß!/Spinnrad hinter die Tür/Rebmesser dafür, lautet ein Spruch aus dem Rheingau.
Meist gab es Wein für beide zur Arbeit, aber für Frauen stets schlechteren Lohn als für Männer. Mitte des 17. Jahrhunderts bestimmte ein Abkommen in Bacharach, dass die Weinarbeiterinnen nur die Hälfte des Männerlohns bekamen und noch im 19. Jahrhundert war es nur knapp über der Hälfte.
Zu der Zeit machten weiter westlich Frauen strahlende Weinkarrieren. In der Champagne begann die Zeit der ‚Witwen‘, die nach dem Tod des Mannes Champagnerhäuser führten bzw. gründeten. Die berühmteste ist die Veuve Cliquot, schon Wilhelm Busch bekannt: „Wie schön und lustig perlt die Blase/der Witwe Klickot in dem Glase“. Heute noch ist die ‚Veuve Cliquot Ponsarding‘ eine der berühmtesten Champagnermarken.
Nicole Ponsardin war 27 Jahre alt, als ihr Mann Philippe Cliquot, ein Bankier und Export-Kaufmann, 1805 starb. Gegen den Wunsch des Schwiegervaters übernahm sie das Geschäft und gründete vier Monate später ein Champagnerhaus. Sie kaufte Weinberge, stellte einen Kellermeister ein und suchte neue Abnehmer. Die meisten Champagnerhäuser exportierten nach England. Die Witwe tat neue Märkte in Deutschland und Russland auf. Noch vor dem Friedensschluss zwischen Frankreich und Russland schickte sie im Jahr 1814 mit Schiff und Bahn dreißigtausend Flaschen Champagner gen Osten.
Madame Cliquot Ponsardin erfand eine wichtige Neuerung in der Champagnerherstellung, nämlich das Rüttelpult. Auf diesem dreieckigen Ständer stehen die Flaschen kopfüber, werden jeden Tag ein wenig gedreht und aufgerichtet, sodass der trübe Hefesatz, der sich während der Flaschengärung bildet, als ein Propf in den Flaschenhals wandert, wo er leicht entfernt werden kann. Vorher blieb der Champagner oft trüb. Heute gibt es maschinelle Rüttelpulte, bei denen die Flaschen in riesigen Metallhalterungen stecken, aber das Prinzip ist dasselbe. Und die alten hölzernen Ständer stehen gern als nostalgische Erinnerung vor Weinläden.
Eine weitere wichtige Neuerung führte eine andere Witwe ein, nämlich Louise Pommery. Ihr Mann war Wollwarenkaufmann, der mit etwas Kapital an einem kleinen Champagnerhandel beteiligt war. Louise war 39, als sie 1858 sein Erbe antrat. Bald zahlte sie den Kompagnon aus, der sich aufs Altenteil zurückzog. Auch sie suchte nach neuen Märkten. Ihr genialer Trick: Champagner war bis dahin sehr süß und wurde nur zum Nachtisch getrunken. Die Süße kam durch die ‚Dosage‘ zustande, die Zuckerung vor der zweiten Gärung.
Die Witwe Pommery brachte zunächst einen weniger süßen auf den Markt, schließlich ‚Pommery nature‘, fast ohne Dosage, und hatte damit verblüffenden Erfolg. Louises Pommerys Geschmack hat sich durchgesetzt; heute wird wesentlich mehr Champagner ‚brut‘ verkauft als süße Sorten.
Auch das Haus Bollinger wurde von einer Witwe durch die schwere Zeit der deutschen Besatzung und des Krieges geführt: von Elisabeth de Lauriston-Boubers, die Jacques Bollinger geheiratet hatte, den Enkel des Gründers. Sie übernahm 1941. Von ihr wird erzählt, dass sie bis kurz vor ihrem Tod 1977 bei Wind und Wetter durch ihre Weinhügel radelte. Madame trank auch selber gerne ihr Produkt: „Wenn ich glücklich bin. Oder traurig. Wenn ich allein bin. In Gesellschaft sowieso. Sonst gibt es nicht viele Gelegenheiten – außer ich habe Durst.“
Auch die Witwe Roederer führte ihr Haus während der deutschen Besatzung weiter. Sie verstand es, die Soldaten von allzu umfangreichen Champagner-Requisitionen abzuhalten und ihnen weit mehr Zucker zu entlocken, als sie für die ‚Dosage‘ brauchte – den Rest bekamen die Angestellten.
Und beim Champagner Laurent-Perrier spielten gleich zwei Witwen eine große Rolle: Mathilde Perrier, die nach dem Tod ihres Mannes Eugène Laurent das Haus weiterführte und ausbaute; und Marie-Louise de Nonancourt, die nach Mathildes Tod die Firma kaufte und zu weiterem Erfolg führte. Das Haus Henriot gründete Witwe Appoline. Witwe Carol Duval führt heute das Haus Duval-Leroy, mit Hilfe einer kompetenten Oenologin. Und Béatrice Cointreau (keine Witwe) ist Chefin des Champagnerhauses Gosset. Ihr Motto: „Quand on aime, on a toujours 20 ans“ (Wenn man liebt, dann bleibt man immer zwanzig). Sicher ist der Champagner dabei behilflich.
Immer mehr Sommelièren, also Wein-Beraterinnen in Restaurants, schenken die edlen Tropfen aus. Auch wer nicht im teuren Tantris essen geht, kennt Paula Bosch, die wohl berühmteste Weinkennerin, aus ihren Weinempfehlungen in der Süddeutschen Zeitung. Als sie sich vor über zwanzig Jahren im Frankfurter Hotel Intercontinental bewarb, wurde sie abgewiesen von einem Restaurantleiter, der meinte, den Kaffee könne sie ja gern servieren, aber Weinservice sei eben Männersache. Heute gilt Bosch bei vielen als die Beste ihrer Branche, egal ob Mann oder Frau. Und in Köln, der Heimatstadt der EMMA, sind die Sommelièren Christina Fischer und Claudia Stern bekannt und beliebt.
Und wo schlägt frau nach, wenn sie sich über diesen oder jenen Wein informieren will? Natürlich im Oxford Companion zum Wein, geschrieben von der Weinfachfrau Englands, Autorin, Kolumnistin und Fernsehstar Jancis Robinson. Sie hat Mathematik und Philosophie studiert, aber die Leidenschaft für den Wein siegte. Robinson sagt:
„Weintesten ist harte Arbeit, Wein genießen das Gegenteil.“ Die Engländerin preist auch preiswerte Weine, deren Qualität sich dank neuer Technologie stark verbessert hat. Die Preise zwischen den teuren und den billigen klaffen immer weiter auseinander, aber, versichert Robinson, „die Qualitätsdifferenz wird immer kleiner.“
Gute Aussichten für die modernen Bacchen.
Anna Dünnebier , EMMA November/Dezember 2005
Zum Weiterlesen: Gert v. Paczensky/Anna Dünnebier: „Die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens“ (Orbis TB, 15 €); Frauenmuseum Bonn: Rheinreise 2002. Romantik, Reisen, Realitäten – Frauenleben am Rhein (Edition Lempertz, vergriffen). Paula Bosch: Weingenuss. Das Weinwissen von Deutschlands bester Sommelière. (Econ, 25 €). Jancis Robinson: Das Oxford-Weinlexikon. (Hallwag, 99 €)

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