Anette Humpe: Die Krönung

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Die Sängerin, Musikerin und Komponistin Annette Humpe ist auch erfolgreiche Produzentin. Mit ihrer Schwester Inga bekam sie die 'Eins Live Krone' für ihr Lebenswerk.

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Irgendwie kriegt man Annette Humpe immer nur im Doppelpack. 'Die Humpes' heißt es oder: 'die Humpe-Schwestern'. Gern werden die beiden Schwestern auch verwechselt. "Annette Humpe? Das ist doch die mit 'Ich düse, düse, düse im Sauseschritt'!" Falsch, das ist Inga. Annette Humpe ist die mit den 'Blauen Augen'. Die mit 'Ideal'.
Jetzt sind 'die Humpes' sogar in Personalunion mit der 'Eins Live Krone', einer Art Grammy der WDR-Teenie-Welle, für ihr Lebenswerk ausgezeichnet worden. Dabei ist das, was Annette Humpe, 54, und Inga Humpe, 49, zur Musikwelt beigesteuert haben, sehr, sehr unterschiedlich.
Anfang der 80er stand Annette Humpe mit tief ins Gesicht gezogener Matrosenmütze hinter ihrem Keyboard und behauptete, mit ihr beginne die Eiszeit. Das nahm man der kühlen Blonden sofort ab. "Das Kühle bei Ideal", erklärt Annette Humpe heute, "das war ein Schutz, ein Panzer, ne Maske. Damit mir nichts passiert, damit mir niemand zu nahe kommt." Die Tatsache, dass sie "eher schüchtern" und "nie ne Rampensau" gewesen sei, vertrug sich nicht wirklich mit der Tatsache, dass Humpe mit ihren Songs, die sie für ihre Band 'Ideal' komponierte, zur Ikone der Neuen Deutschen Welle avanciert war. Im Gegensatz zu Trios Dadada-Kinderliedern oder Nenas seichten Schlagern über Leuchttürme und Luftballons überzeugte die studierte Pianistin mit komplexen Arrangements und ruppigen Texten.
Dass sie die Tantiemen für ihre Texte und Melodien nicht durch vier teilen wollte, fanden die drei 'Ideal'-Jungs so hundsgemein, dass daran die Band zerbrach. "Die Jungs kamen nicht damit zurecht, dass ich mehr verdiente als sie. Aber ich finde heute noch: Wenn ich das Lied geschrieben habe, dann ist das auch meins. Dann steht da auch mein Name drunter."
Nach dem mittelprächtigen Hit 'Careless Love' im Duett mit Schwester Inga und einer gefloppten Solo-CD im Jahr 1990 verlegte sich Annette Humpe ganz aufs Schreiben und Produzieren. Und weil ProduzentInnen gemeinhin im Verborgenen wirken, weiß kaum jemand, dass bei deutschen Top-Popgrößen wie Udo Lindenberg, Rio Reiser, Die Prinzen oder Lucilectric Annette Humpe so lange die Mischpult-Knöpfchen drehte, bis sich deren Alben platinfach verkauften.
"Mittlerweile gibt es viele Frauen in Studios", freut sich Pionier-Produzentin Humpe, die Musikerinnen immer gefördert hat, aber das Arbeiten mit Musikern "leichter" findet. "Bei Frauen fällt es mir schwerer, autoritär zu sein. Und ein bisschen dominant muss man sein, weil ich schließlich die Verantwortung trage."
Annette Humpe trägt viel und gern Verantwortung. Typisch Erstgeborene, sagt sie. "Ich bin halt immer die große Schwester geblieben." So wie damals, als man der kleinen Annette die noch kleinere Inga auf den Schoß setzte, weil die Eltern die Humpe’sche Konditorei in Herdecke am Laufen halten mussten. "Da musste ich früh Entscheidungen treffen und sagen: Das musst du jetzt essen, und jetzt ziehst du den Regenmantel an." So sei das mit den Ältesten in der Geschwisterfolge. "Die sind oft extrem ehrgeizig und wollen das Sagen haben."

Dass die kleine Schwester mit ihrer Erfolgsband '2Raumwohnung' die große seit ein paar Jahren eingeholt hat, findet die Erstgeborene höchst erleichternd. "Früher, als ich mit 'Ideal' so erfolgreich war, ist ihr das, glaube ich, sehr auf den Wecker gegangen. Jetzt liegt sie ganz klar vorne. Und das entspannt unsere Beziehung sehr."
Als die ehrgeizige und erfolgreiche Annette 41 war, kam – ungeplant, aber herzlich willkommen - Anton zur Welt. Der Versuch, "Vater, Mutter, Kind zu spielen", scheiterte bald. "Ich brauche sehr viel Raum für mich. Das war in Beziehungen oft ein Problem." So wurde die Berliner Erfolgsproduzentin allein erziehende Mutter. Von nun an war es vorbei mit nächtlichen Studio-Sessions. "Wer mit mir arbeiten wollte, musste meine Arbeitszeiten von elf bis achtzehn Uhr akzeptieren."
Als Anton neun war, passierte eine Katastrophe: ein Autounfall. Wochenlang lag der Junge im Koma, musste in der Reha wieder lernen zu schlucken und zu sprechen. Annette Humpe zog sich aus der Musikwelt zurück, um ihren Sohn, den "ersten Mann, den ich richtig toll finde", zu begleiten.
Vor zwei Jahren beschloss die Musikerin: "Jetzt bin ich mal wieder dran." Sie beschloss außerdem, das erste Gebot der Branche zu brechen. Es lautet: Du sollst dich nicht auf eine Pop-Bühne stellen, sofern du weiblich und älter als 30 bist. Annette Humpe war sogar älter als 50. Und stellte sich nun auch noch mit einem 27 Jahre jüngeren Gesangspartner auf die Bühne, dem deutsch-ägyptischen Rapper Adel Tawil. Noch ein Gebot gebrochen. "Aber genau das reizt mich daran: Dass ich was mache, was verboten ist. Dass ich Pionierin sein kann. Dass ich mit über 50 auf der Bühne stehe, ohne dass jemand sagt: Schick doch mal die Alte weg!" Ganz leicht war die Entscheidung, sich nach 15 Jahren Studio wieder dem Rampenlicht auszusetzen, zwar nicht. "Natürlich mache ich mich damit verletzbar. Aber wenn man kein Risiko mehr eingeht, dann ist man doch fast tot."
Das Risiko hat sich gelohnt. Annette und Adel als Duo 'Ich + Ich' werden als 'Comeback des Jahres' gefeiert, das gleichnamige sanft-melancholische Album übersprang mühelos die 100.000er-Marke und wurde vergoldet.
Also schon wieder ein Doppelpack? Nicht wirklich. 'Ich + Ich' – das klingt nach dem Zusammenschluss zweier Individuen, die sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht sind. Und das ist nicht nur das Arbeits-, sondern auch das Lebenskonzept von "Egobraten" Annette Humpe. "Ich habe schon als Kind gespürt: Ich allein bin ein Ganzes."
Chantal Louis, EMMA 1/2006

 

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