Die vergessenen "Flintenweiber"

Rotarmistinnen im 2. Weltkrieg: Als der Krieg zuende ging, waren sie völlig schutzlos.Rotarmistinnen im 2. Weltkrieg: Als der Krieg zuende ging, waren sie völlig schutzlos.
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Berlin, Museum Karlshorst. Im großen Saal der ehemaligen Kommandatur wurde 1945 in weniger als 30 Minuten im Beisein der Siegermächte die Kapitulation Nazi-Deutschlands unterschrieben. Das nüchterne Mobiliar, die vergilbte Beleuchtung, die schweren Holztäfelungen wecken Erinnerungen. Doch an diesem Abend hat die Geschichte ein weibliches Gesicht. Da sitzen, als Ehrengäste, russische Veteraninnen des "Großen Vaterländischen Krieges". So manche hat sich mit ihren Ordensbändern geschmückt, zu Ehren der Ausstellung "Mascha, Nina und Katjuscha - Frauen in der Roten Armee".

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Diese rührenden Gesichter. In ihnen flackert für mich das ganze Pathos der Sowjetzeit auf, unwiederbringlich im Neuen Russland verloren. Sie tragen Festtagsfrisuren und ihre besten Kleider. Sie strahlen, sie haben feuchte Augen. Es geht an diesem Abend um ihre Erinnerungen, Erfahrungen, Heldentaten. Die sind sonst unsichtbar und vergessen. Babuschkas, deren Blick zurück so niemand noch so recht gebrauchen kann heutzutage. Sie herzen und küssen sich - Waffenschwestern. 

Auch sie wollten die Heimat gegen den Faschismus verteidigen

Frühjahr 1942. Nachdem beim deutschen Überfall auf die Sowjetunion Millionen junger sowjetischer Männer gefallen oder verletzt worden sind, kommt es zur Massenmobilisierung von (überwiegend jungen) Frauen. Es sind vor allem freiwillige Komsomolzinnen, Mitglieder der Kommunistischen Partei. Sie wollen ihre Heimat gegen den Faschismus verteidigen, und sie glauben an die Gleichheit von Männern und Frauen. Manches Mädchen will den gefallenen Vater, Bruder oder Freund rächen. Manches will einfach weg von Zu Hause. Manches hat zuvor den neuen Modesport Fliegen gelernt und will es endlich tun.

Erstmalig im 20. Jahrhundert werden Frauen als Kombattantinnen für eine reguläre Armee mobilisiert. Ein Tabubruch. Denn kämpfende Frauen gehörten vorher ins Reich der Legende: die Amazonen, die Kriegerinnen afrikanischer Könige von Dahome, die axtschwingenden Keltinnen. Oder sie waren irregulär, wie die Partisaninnen im spanischen Bürgerkrieg und im Zweiten Weltkrieg.

Anders die Rotarmistinnen. Das Vaterland lehrt sie, ein Maschinengewehr zu bedienen. Sie schneiden sich die Zöpfe ab und werden nicht nur Sanitäterinnen, Melderinnen oder Funkerinnen, sondern auch Panzerfahrerinnen, Scharfschützinnen und Bomberpilotinnen. 800.000, vielleicht eine Million weibliche Freiwillige gab es im so genannten "Großen Vaterländischen Krieg" der Sowjetunion. In seinem Befehl 0099 verordnet Stalin sogar die Bildung von drei fliegenden Frauenregimentern. Die Deutschen nannten die Pilotinnen "Nachthexen", weil die Frauen vorwiegend nachts angriffen.

Für die Nazis waren diese Soldatinnen 'entartet'

Frauen an der Front! Die Klischees der Propagandaabteilungen überschlagen sich. Für die fanatischen Feindbilder der Nazis waren die Soldatinnen der Roten Armee Flintenweiber: besonders grausam, widernatürliche Kastriererinnen, entartet eben. Darum wurden sie nach einer Gefangennahme durch die Hitler-Armee oft einfach liquidiert oder in KZs abgeschoben, obwohl sie als Uniformträgerinnen unter Schutz des Genfer Abkommens 1929 standen - theoretisch zumindest.

Seltsame Parallelen. Auch die Sowjetplakate zeigen starke Über-Wesen, geschlechtslos. Gestanzten Heroismus. Ohne Individualität. Ent-weiblicht eben. Triumphal zu erhöhen und - zu vergessen. Frauen und Waffen riefen und rufen gemischte Gefühle hervor. Wie oft ich (als Korrespondentin) seltsame Nachfragen, zweifelnde Blicke und Psychogebrabbel erleben durfte, weil ich mich für Militärgeschichte und Waffensysteme interessiere. Wie viel Aufmerksamkeit Kriegsreporterinnen bekommen. Und wie erregt über den Zustrom von Soldatinnen in westlichen Armeen gesprochen wird.

Seit 2001 sind auch in der Bundeswehr alle Laufbahnen für Frauen zugänglich. In Dokusoaps sehen wir die "Frauen am Ruder" in der deutschen Marine. In den Nachrichten können wir "unsere Frauen" in Kabul bestaunen oder uns an die weiblichen GIs im ersten Golfkrieg erinnern. In Zeitungen und Talkshows hat die Frage Konjunktur, ob nicht die Moral in der Truppe untergehe, wenn Frauen in die Kasernen einziehen. Ob Frauen denn überhaupt für den Kampf taugten, belastbar seien? Ganz zu schweigen von den Flintenweiber-Klischees und den sexuellen Übergriffen.

Sind Frauen von Natur aus friedlich? Nein. Ist es emanzipatorisch zu verlangen, dass Frauen selbstverständlich in diese letzten Bastione eindringen, nämlich das Militär? Ja. Und gibt es Unterschiede, wie Frauen und Männer diese außerordentliche, existentielle Katastrophe namens Krieg bewältigen? Ja.

Sie hatten mitgekämpft, mitgefroren, mitgehungert 

Als Russland-Korrespondentin erlebte ich 1993 in der heutigen Stadt Wolgograd die sehr eindrucksvollen Feiern zum 50. Jahrestag der Schlacht mit. Es ging unter die Haut: das wutverzerrte Gesicht der Mutter Heimat, das 52 Meter hohe Denkmal gegen den Faschismus. Eine Riesin, die mit dem Schwert nach Westen zeigt. Zum letzten Kampf bereit. Dagegen "meine" Veteraninnen - freundliche Omis, deren Augen in diesen Tagen leuchteten. Sie hatten mitgekämpft, mitgefroren, mitgehungert. Sie konnten Maschinenpistolen und Haubitzen auseinander nehmen.

Als ich Veteranin Ludmilla Fjodorowna, mit 17 an die Front mit den anderen Mädchen aus der Metallfabrik Barrikadnaja in Stalingrad, kennen lernte, mit ihren Orden, ihren Geschichten, fiel mir eins sofort auf: ihre Wärme mir, der Deutschen, gegenüber. "Eure Soldaten handelten auf Befehl Hitlers", sagte Ludmilla, "ich stand hier für Stalin. War das richtig, war das falsch ... ?"

1947 wurde Stalingrad zur ersten Heldenstadt der Sowjetunion ernannt. Und einen kurzen Propagandafrühling lang waren meine Freundin Ludmilla und die anderen Heldinnen. Doch die Frauen von Stalingrad erzählten mir, dass sie schon bald die ganz großen Empfänge und Ehrungen nicht mehr wert waren, dass sie meistens sich selber feiern mussten. Dass sogar die Veteranenrente für Männer und Frauen unterschiedlich hoch war.

Was war geschehen? Es gab plötzlich zweierlei Heldentum: ein männliches und ein weibliches. Solange das Vaterland noch in Gefahr war, waren die Soldatinnen gebraucht und geehrt worden. Doch nach dem Krieg wurden sie verdächtig. Frauen, die in den Schützengräbern die Tage und Nächte mit den Männern teilten ... Sie seien nur auf der Jagd nach den Kerlen gewesen, man bezweifelte ihren Patriotismus. Die "richtigen" Frauen pöbelten oft genug die Rotarmistinnen an, der Konkurrenzkampf um die überlebenden Männer war grausam, erzählte Ludmilla. Sie blieb allein.

Gegen Ende des Krieges kam Stalins spießiges Frauenbild zutage

In der öffentlichen Meinung standen Rotarmistinnen schlecht da: "Wie uns die Heimat empfangen hat? Daran kann ich nicht denken, ohne zu weinen. Man hat uns ins Gesicht geschrien: Was habt ihr da getan? Habt mit unseren Männern gelebt!", erzählt Ludmilla. "Ich hatte einen Freund, hab ihn aus dem Feuer herausgeschleppt. Ihn gerettet. Wir lebten ein Jahr zusammen, dann ging er zu einer anderen Frau. Sie riecht nach Parfüm. Du aber nach Fußlappen und Stiefeln."

Und auch der Feind war den Flintenweibern nicht gewogen. In seinem Buch Stalingrad protokolliert der britische Historiker Anthony Beevor: "Während der Schlacht von Kharkow im Mai 42 standen die Truppen von General Paulus zum ersten Mal Frauen gegenüber. Die 389. Infanteriedivision war in einer grausamen Schlacht mit einem ‚Banditenbatallion‘ konfrontiert, das viele Soldatinnen enthielt und von einer Frau kommandiert wurde. Die Kampfesweise dieser Frauen war besonders hinterlistig und gefährlich. Sie lagen in Strohhaufen, mit Stroh bedeckt, und ließen uns vorbeiziehen und beschossen uns von hinten."

Beevor schreibt auch über die Todesverachtung der Sanitäterinnen und sogar Telefonistinnen. Sie trugen unter Kugelhagel Verwundete auf dem Rücken, verteidigten ihre Gebäude, hatten Maschinenpistolen oder Handgranaten dabei.

Schon gegen Kriegsende kam Papa Stalins konservatives, ja spießiges Frauenbild zutage. Frauen sollten vor allem Mütter sein und Kinder bekommen. Die Mode wurde weiblich, Schminkzeug kam vermehrt in die Staatskaufhäuser, das Abtreibungsverbot wurden verschärft.

Und die einstigen Kameraden der Soldatinnen? Die machten den Verrat mit, machten Ihnen den Sieg streitig. (Ganz wie im spanischen Bürgerkrieg, da wurden die Frauen von den eigenen Kameraden, die es besser wissen sollten, als "Frontmatratze" beschimpft.) Auch in der Sowjetunion galt: Männer wurden nach ihrer Leistung im Krieg beurteilt, Frauen nach ihrer Moral. "Dass du mir bloß nicht ein Kind mitbringst von der Front!" - rief die Mutter Ludmilla noch hinterher. Das tat weh. Das Mädchen wollte doch "nur" die Heimat verteidigen. Ihren Mann stehen. Auffallend viele Rotarmistinnen wurden übrigens nie Mutter. Die Kriegsstrapazen hatten sie unfruchtbar gemacht – und so manche wollte einfach nicht mehr Frau und Mutter werden. Andere blieben sich treu, wie das Lesbenpaar in Stalingrad. Sie hatten sich an der Front verliebt und waren zusammengeblieben.

Die Veteraninnen hatten den Krieg gewonnen, aber kapitulierten in dem anderen Krieg, genannt "Normalität". Sie mussten wieder ganz Frau sein. Viele schwiegen jahrzehntelang zu ihren Erlebnissen - aus Scham. So blieb die Erfahrung der Rotarmistinnen (fast) unbeschrieben. Die Geschichtsschreibung enteignete sie.

Der Bericht erschien 2003 in EMMA. Heute ist Autorin Sonia Mikich Chefredakteurin des WDR.

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Nur pflegen und hegen - oder auch kämpfen und schießen?

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Frauen waren immer beteiligt an Armeen: sei es als niedere Hilfskräfte oder Krankenschwestern, sei es als Soldatinnen mit begrenzten Funktionen - oder gleichberechtigt neben den männlichen Soldaten. 1991 taten in der Operation "Desert Storm" der US-Armee im Golf-Krieg mehr Frauen in sogenannten Kampfunterstützungseinheiten Dienst als jemals zuvor.

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Sowohl England als auch Kanada hatten weibliche Soldaten entsandt. Das größte Kontingent stellten die USA mit 37.000 Soldatinnen. Zwei von ihnen waren Rhonda Cornum, Major der US-Armee und Chirurgin, und die Pilotin Captain Jacquelyne Parker. Cornum sollte am 2. März 1991 einen über dem Irak abgeschossenen Piloten ausfliegen und medizinisch versorgen.

Ihr Hubschrauber stürzte ab, und sie geriet in irakische Gefangenschaft. Nach ihrer Freilassung gab sie vor einem Untersuchungsausschuss an, von irakischen Sodaten sexuell attackiert worden zu sein, und bezeichnete dies als "Berufsrisiko". Ähnlich sah das Jacquelyne Parker: "Wenn mein Land mir erlaubt, Kampf-Jets zu fliegen, dann bin ich bereit, das Risiko auf mich zu nehmen, in Gefangenschaft zu geraten."

Dass Soldatinnen auch zuhause Kämpfe auszufechten haben, zeigte der sogenannte "Tailhook-Skandal" in den USA. Tailhook ist eine Vereinigung von Marinefliegern, die im Jahre 1991 ihre Jahrestagung in Las Vegas abhielten. Kurz zuvor war die Aufhebung des "Kampfverbots" für Frauen und ihre Zulassung als Kampfpilotinnen angekündigt worden.

Die Frage einer Pilotin, wann denn nun die Pilotinnen in diesen Funktionen auch eingesetzt würden, wurde von den Männern mit lautem Johlen und Schreien quittiert. Und dabei blieb es nicht. Später rissen die Soldaten 26 ihrer Kameradinnen die Kleider vom Leib, betatschten sie und zwangen sie zum Spießrutenlauf. Über die Hälfte der Betroffenen waren Offizierinnen der amerikanischen Armee. Eine der Frauen erstattete Anzeige wegen Vergewaltigung.

Der verantwortliche Admiral, dessen persönliche Adjudantin ebenfalls zu den angegriffenen Frauen gehörte, versuchte, die Vorfälle zu bagatellisieren und zu vertuschen. BeobachterInnen waren sich weitgehend einig: Die Vorfälle waren eine Reaktion auf die Aufhebung des Kampfverbotes für Frauen. Nicht genug, dass der Frauenanteil in der US-Army auf knapp 13 Prozent angewachsen war. Nun wurde auch die Kampfeinheit, der "innere Gral der Männlichkeit", angetastet.

Die Position weiblicher Soldaten ist also schwierig: Von vielen männlichen Soldaten werden sie als unliebsame Eindringlinge in ihre letzte Bastion gesehen; von vielen Frauen werden sie als unweibliche Kollaborateurinnen, als patriarchal infizierte Überläuferinnen ins feindliche Lager begriffen. Vor allem in Deutschland scheint die Diskussion weitgehend polarisiert: Frauen und Frieden stehen auf der einen Seite; Männer, Krieg und weibliche Mittäter auf der anderen.

Unter frühen Frauenrechtlerinnen und heutigen Feministinnen war die Haltung zu Frauen und Militär immer geteilt: Die Frauen der einen Fraktion, die oft auch Anhängerinnen einer "Differenz" zwischen den Geschlechtern und der Natur der Frau sind, waren und sind gegen die Partizipation von Frauen in der Armee. Die andere Fraktion, die die Natur der Frau (und damit des Menschen) infrage stellt und uneingeschränkte Gleichstellung und Teilhabe fordert, war und ist für die Teilhabe von Frauen an der Armee.

In der Bundesrepublik bezog Ende der 70er Jahre erstmals Alice Schwarzer in "Emma" diese Position - und löste damit eine heftige Kontroverse aus. Sie plädierte gegen jede Wehrpflicht (auch für Männer) sowie gegen das "Berufsverbot" für Frauen in der Armee und für ihre uneingeschränkte Ausbildung, auch an den Waffen - was Schwarzer prompt den Spitznamen "Flintenweib" einbrachte.

Ein Papier, das anlässlich der UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 von der Kommission zur Stellung der Frau des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen vorgelegt wurde, könnte frischen Wind in eine festgefahrene und verkürzte Diskussion bringen.

In der Bundesrepublik wurde es bislang kaum wahrgenommen. Das Papier, des ehemaligen UNO-Generalsekretär Butros Ghali vorlegte, hat den Titel "Frauen im Friedensprozess" und stellt fest, dass der Ausschluss von Frauen aus dem Militär bisher weder den Frauen noch dem Friedensprozess zugute gekommen ist. Vielmehr hätte die Einteilung in "männliches Kämpfertum" und "weibliche Friedfertigkeit" bzw. in "männliche Beschützer" und "weibliche Beschützte" fatale Folgen nach sich gezogen.

Die zweifelhafteste davon sei die, dass Krieg und Kampf auch als Mittel zur Bestätigung und Bekräftigung von Männlichkeit eingesetzt werden können. Eine weitere Konsequenz sei es, dass Frauen aus allen sicherheitspolitischen Macht- und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind. Außerdem, so das Ghali-Papier weiter, sei die weibliche Distanz zu Krieg und Militär ohnehin eine Scheindistanz. Der Ernstfall zeige, dass auch Frauen immer in Kriege verwickelt sind - sei es als wehrlose Opfer oder als zwangsrekrutierte Armeeangehörige. Die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien belegen dies zum wiederholten Mal.

Wenn die Armee auch die Funktion hat, eine gesellschaftlich ins Wanken geratene "Männlichkeit" zu demonstrieren - ist dann nicht der "Männerbund Armee" an sich eine Kriegsgefahr? Gäbe es also viele gute Gründe, das Verhältnis von Frauen und Militär zu überdenken - nicht nur den der Gleichberechtigung?

In anderen Ländern ist die Integration von Frauen in Armeen weiter fortgeschritten. Die angelsächsischen Armeen öffneten sich aufgrund von Personalmangel und Druck von Frauen in den 70er Jahren.

Den größten Frauenanteil hat die US-Armee mit 230.000 Soldatinnen (12Prozent), gefolgt von Kanada mit 8.800 (11Prozent) und Großbritannien mit 19.500 (7Prozent). In den belgischen Streitkräften sind 4.000 Frauen (6Prozent), in Dänemark fast 1.000 (5Prozent) und in Griechenland 1.800 (4Prozent). In allen Ländern aber wird der steigende Anteil der Soldatinnen streng limitiert und hat vehemente Debatten pro und contra ausgelöst.

Grenzüberschreitungen von Frauen auf das Männerterrain "Armee" haben von jeher zu heftigen Gegenreaktionen geführt. Ein verbreitetes Mittel ist dabei traditionell der Rufmord: "Flintenweiber" war und ist eine Bezeichnung für Frauen, die es wagen, sich für den "männlichsten" aller Berufe zu interessieren.
Der moralische Ruf der sogenannten Wehrmachtshelferinnen war schon im Nazi-Deutschland Thema.
Die Gerüchte, sie seien "leichte Mädchen" mit lockerer Moral, hielten sich bis 1945. Ähnliches wird aus der amerikanischen Armee berichtet. In den USA verdichteten sich im Jahre 1942 die Gerüchte über "die losen Sitten" der Frauen in den Streitkräften derart, dass Präsident Roosevelt eine Untersuchungskommission einsetzte, weil befürchtet wurde, dass es sich dabei um Feindpropaganda handeln könnte.
Das Ergebnis der Untersuchung war überraschend: Es kam heraus, dass die Gerüchte von amerikanischen Soldaten in Umlauf gebracht worden waren, die die Armee wieder zu einem "frauenfreien" Ort machen wollten. Die Erfahrungen mit der Integration von Frauen in die Streitkräfte der Nachkriegszeit weisen ein ähnliches Muster auf.
Fazit: Ein Großteil der Männer will keine Frauen im Männerbund, es sei denn in "typisch weiblichen" Tätigkeiten wie Sanitätsdienst, Verwaltung oder im Musikkorps. Ganz tabu sind "Kampfeinheiten" oder "Kampffunktionen" für Frauen.
Als im Jahre 1956 in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, stand ein Einbezug von Frauen nicht zur Debatte. Auch eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen auf freiwilliger Basis wurde kategorisch abgelehnt.
Zur Begründung wurde ein Frauenbild bemüht, das Anklänge an jene dunklen Zeiten hatte, die man eigentlich gerne vergessen hätte.
Frauen, so der Kern dieser Argumentation, sollten als Gebärende und Mütter so weit wie möglich von den Unbilden des Krieges ferngehalten und unter männlichen Schutz gestellt werden. Es gab einen geradezu totalen Konsens über die Parteien hinweg, dass es deutsche Frauen in Uniform nicht geben sollte.
In den 50er Jahren erhob sich gegen diese "Zwangsbeschützung" und das Berufsverbot für Frauen in der Armee kein Widerspruch. Dabei hätten die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges die an der Diskussion Beteiligten eigentlich eines besseren belehren müssen. Sie hatten gezeigt, dass weibliche Zivilisten keineswegs vom schmutzigen Geschäft des Krieges ferngehalten wurden, sondern im Gegenteil weitgehend schutzlos allen Arten von Kriegsgreueln und sexueller Gewalt ausgeliefert waren.

Was vom "Schutz der Frauen" zu halten ist, hat sich in neuester Zeit am Beispiel "ethnische Säuberung" in Bosnien gezeigt. Edit Schlaffer und Cheryl Benard kamen aufgrund ihrer Beobachtungen in Kroatien und Bosnien zu dem Schluss, dass diejenigen am meisten gefährdet sind, die keine Waffen tragen - und das waren auch im ehemaligen Jugoslawien vor allem Frauen. Das Gerede vom "Schutz" der Frauen hat ideologische Wirkung auf Frauen und Männer, wie auch der Kommentar eines jungen Offiziers der Bundeswehr zeigt: "Ich finde Gewalt an sich eine inhumane Sache, die man nur einsetzen sollte, wenn es gar nicht anders geht. Und dann finde ich, dass man nicht noch Frauen ohne Not damit konfrontieren müsste".

Soweit die Ideologie. Realität ist: Die deutsche Wehrmacht verpflichtete während des Zweiten Weltkrieges 450.000 Frauen (das Sanitätspersonal nicht mitgerechnet). Die Rote Armee hatte eine Million Frauen in ihren Reihen. England und die USA stellten sogenannte Frauenhilfskorps auf. Zwar nahmen viele dieser Frauen auch genuin militärische Aufgaben wahr. Die Konstruktion als "Hilfskorps" sicherte allerdings den Ausschluss der Frauen aus jenen Positionen, in denen Entscheidungen getroffen wurden. Und es wurde Wert darauf gelegt, die weiblichen "Helferinnen" von männlichen Kämpfern zu unterscheiden. Das nahm zum Teil bizarre Formen an.

So bestand die britische Regierung während des Zweiten Weltkriegs darauf, die Funktion von Frauen in Flugabwehreinheiten als "nicht-kombattant" zu "definieren", obwohl diese Frauen in gemischten Einheiten Dienst taten und mit einer einzigen Ausnahme - nämlich der des Abfeuerns der Kanonen - die gleichen Tätigkeiten ausübten wie die Männer. Die Männer übten dieser Definition zufolge "kombattante" Tätigkeiten aus - also Kampftätigkeiten; die Frauen nicht. Getreu nach dem Grundsatz: Der "Kämpfer" kann und darf nur männlich sein.

Es gab immer wieder Frauen, die von sich aus die Entscheidung trafen, an Kämpfen teilzunehmen. So die rund eine Million Frauen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, die am sogenannten "Großen Volkskrieg" gegen das faschistische Deutschland teilnahmen. Jede vierte Partisanin überlebte nicht. Bei Kriegsende und mit der Aufstellung einer Armee zu Friedenszeiten wurden alle Frauen, die in den Streitkräften organisiert waren, mit sofortiger Wirkung aus der jugoslawischen Armee ausgeschlossen. Die weibliche Beteiligung an der Befreiung wurde ins Vergessen abgedrängt. Auch die "sozialistische Friedensarmee" der Nachkriegszeit war wieder fest in Männerhand und pflegte nunmehr ein konservatives Frauenbild.

In der Bundesrepublik wurden die gesetzlichen Formulierungen, die das Verhältnis von Frauen zur Bundeswehr regeln, ungewöhnlich scharf gefasst. Frauen, so der Artikel 12 des Grundgesetzes, dürfen "auf keinen Fall Dienst mit der Waffe tun". Dieser Grundsatz wurde auch in den 70er Jahren nicht gebrochen, als für Frauen die Möglichkeit geschaffen wurde, Sanitätsoffiziere in der Bundeswehr zu werden. Das Waffendienstverbot für Frauen wurde bei dieser Gelegenheit erneut betont. Der Grund für den Rückgriff des Verteidigungsministeriums auf die Frauen war nicht die weibliche Emanzipation. Vielmehr hatten alle Versuche, genügend männliche Bewerber zu finden, nicht gefruchtet.

Dennoch wurden die Frauen benachteiligt: Sie konnten erst nach Abschluß ihres Studiums der Medizin, Zahn- oder Tiermedizin bzw. Pharmazie in die Sanitätslaufbahn eintreten. Die jungen Männer jedoch wurden bereits vorher in die Bundeswehr aufgenommen und bekamen ihr Studium an einer zivilen Universität großzügig finanziert.

Oberfeldärztin Eva Lehmann, die sich als 28jährige in den 70er Jahren während der Ärzteknappheit in der Bundeswehr für eine Offizierlaufbahn entschieden hatte, ließ sich dennoch nicht abschrecken: "Im zivilen Leben hätte ich es nie so schnell so weit gebracht. Chefarzt in einem Krankenhaus zu werden ist eine Sache, in eine führende Position bei der Bundeswehr zu kommen, eine andere."

Die Frage nach dem Berufsverbot in der Armee speziell für deutsche Frauen stellte sich erneut 1985.

In diesem Jahr ratifizierte die Bundesregierung das UNO-Abkommen zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung gegen Frauen - mit dem ausdrücklichen Zusatz, dass dies für die Bundesrepublik nur insoweit gelte, als das "Waffendienstverbot für Frauen nicht verletzt" würde. Bei der neunten Tagung des Frauenrechtsausschusses der UNO wurde der Staatenbericht der Bundesrepublik diskutiert und eine Rücknahme dieses Vorbehalts angeregt.

Die Vertreterin der Bundesregierung lehnte dies mit der Begründung ab, das Waffendienstverbot für Frauen stoße in Deutschland bei der weiblichen Bevölkerung auf breite Zustimmung. Zumindest was die weiblichen Vertreter der politischen Parteien betrifft, stimmt das. Von Rita Süßmuth (CDU) bis zu Hertha Däubler-Gmelin (SPD) bestand Einigkeit darüber, dass eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen nicht wünschenswert sei.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund vertrat die Auffassung, dass es die vornehmliche Aufgabe der Frau sei, dahingehend zu wirken, dass Kriege vermieden werden - wenn Frauen ein Gewehr in die Hand nehmen, dann habe das mit Gleichberechtigung nichts zu tun.

Außenseiterinnen-Positionen gab es vornehmlich in der FDP. So argumentierte Irmgard Schwätzer, es sei nicht einzusehen, warum die Hälfte der Bevölkerung durch staatliche Bevormundung aus der Bundeswehr ausgeschlossen würde. Auch zeigten Meinungsumfragen, dass die Mehrheit der Bevölkerung, männliche wie weibliche - die Landesverteidigung für notwendig und zulässig halte. Die Grünen schließlich, die damals noch einstimmig die Auflösung der Bundeswehr forderten, lehnten kategorisch jede Art der Beteiligung ab - sowohl "im Waffenrock als auch im Schwesternkleid".

Trotz dieser kontroversen Haltung innerhalb aller Parteien wurde 1988 eine weitere Zulassung von Frauen in die Bundeswehr beschlossen - allerdings nur zu dem "typisch weiblichen" und von den meisten Parteien gebilligten Sanitätsbereich. Die Nightingale-Mission stieß kaum auf Widerstand. Auch diesmal ging es nicht um die weibliche Emanzipation. Vielmehr war der Entscheidung die Überlegung vorausgegangen, dass für die 90er Jahre ein Defizit an männlichen Bewerbern zu erwarten sei. Frauen wurden ein weiteres Mal als Reservearmee angezapft.

Im Jahre 1989 wurde die Laufbahn des weiblichen Sanitätsoffiziers unter den gleichen Bedingungen wie für Männer geöffnet. Das bedeutet, dass diese jungen Frauen ebenfalls eine 16 Monate dauernde militärische Ausbildung zum Offizier durchlaufen müssen, bevor sie ihr - vom Bund finanziertes - Studium antreten. Erstmals wurden deutsche Frauen damit in die militärischen Abläufe integriert. Bislang letzte Station dieser Entwicklung: Im Jahre 1991 wurde auch die Laufbahn der Sanitäts-Unteroffizierin für Frauen zugänglich gemacht. Das bedeutet eine Öffnung der Armee auch für Frauen ohne Abitur als Krankenschwestern bzw. Krankenpflegerinnen.

Über die Situation dieser Frauen in der Bundeswehr ist bisher kaum etwas bekannt. Nach Angaben des letzten Wehrbeauftragen tun derzeit fast 3.000 Frauen als Soldatinnen im Sanitätsbereich und im Musikkorps  Dienst. Das Erkenntnisinteresse des Bundesministeriums der Verteidigung an der Lage der ihm unterstellten Frauen scheint sich in Grenzen zu halten. Systematische, problemorientierte Untersuchungen liegen im Gegensatz zu anderen Ländern nicht vor. Die offizielle Sprachregelung lautet: Es gibt keine Probleme. Damit wäre die Bundeswehr die erste Armee der Welt, in der die Integration von Frauen problemlos verläuft.

Kommentar eines Offiziers der Bundeswehr zu der Frage, ob Frauen in Kampfeinheiten zugelassen werden sollten: "Innerlich sträubt sich in mir irgendwas dagegen - Frauen im Kampfanzug, mit Sturmgewehr irgendwo im Häuserkampf zu sehen. Ich glaube, selbst in Israel sind die nicht in Kampftruppenteilen. Abgesehen von einigen unguten Armeen, die auch ansonsten alle Unterschiede ausgerottet haben, hat man es wohl nirgendwo für richtig befunden." Die Beobachtung ist richtig - mann hat es nirgendwo für richtig befunden und in allen Armeen Maßnahmen ergriffen, um die Anzahl der Frauen und ihre Laufbahnmöglichkeiten unter Kontrolle zu halten.

Eine wirkliche Diskussion darüber, welche Folgen eine solche Politik für die Frauen hat und was sie für den Frieden in der Welt tatsächlich bewirkt, steht noch aus.

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