Abla

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Abla heißt Schwester. Die Istanbuler Journalistin Duygu Asena, 46, ist die prominenteste „abla“ der türkischen Feministinnen. Ihr Buch „Die Frau hat keinen Namen“ ist „Der kleine Unterschied“ auf türkisch: Ein Bestseller, über Sex und Emanzipation, inzwischen in der Türkei als „jugendgefährdend“ verboten.
Was machen die Mädchen wohl so? Ich sollte sie anrufen, Gül, Fügen, Günseli. Sie könnten am Samstag oder Sonntag zu mir kommen. Aber die drei können am Wochenende nicht weg. Die Ehemänner sind zu Hause, die Kinder und so...Gül sagte in fröhlichem Plauderton: »Liebling, der Meinige lässt mich sonntags nicht weg.- Sie sagte das ganz stolz. Der Ihrige lässt sie also nicht weg, der Mann ist wohl sehr verliebt in Gül! »Gut, dann komm abends." Ach du lieber Gott, abends ginge es überhaupt nicht. »Himmel, wir sind doch hier bloß Mädchen, was ist denn dabei?« »Bist du verrückt, meine Süße, wie kann ich denn abends auf die Straße gehen?« »Na, so wie dein Mann rausgeht, kannst du das auch, oder er soll dich, wie damals mein Vater, bis vor die Tür bringen." »Wir sind nicht solche verrückten Hühner wie du. Also gut, dir zuliebe, am Samstag. Ich hab, weiß Gott, richtig Sehnsucht, nach dir." Wir setzen uns hin und reden mit viel Gekicher, wie damals als Schülerinnen, von Sex. Fügen hat eine Reihe Kinder bekommen, die sie sehr liebt. Ihr Mann denkt dauernd, ans Bumsen. Er fragt sie nicht einmal, ob sie will. Als sei es eine Gunst von ihm, als täte er ihr etwas Gutes damit, wenn er jede Nacht ankommt. Und Fügen hat bisher kein einziges Mal einen Orgasmus gehabt.
»Ist das wohl psychologisch zu erklären?- fragt sie.»Liegt es an dem, was ich erlebt habe"?« Fügen macht sich noch immer nicht viel aus Sex. »Immer dasselbe, jede Nacht, dasselbe. Ich habe es irgendwo gelesen, ich passe genau in das Schema der frigiden Frau. Damit er nicht traurig wird, mache ich nach einiger' Zeit »ah« und »oh«, stöhne und zucke. Er ist sowieso nach zwei Minuten fertig. Dann ist er glücklich und sicher, daß er mich auch glücklich macht. Soll ich ihm etwas sagen? Was würde sich dann ändern? Und wenn der Fehler bei mir liegt, warum soll ich den Mann unnötig unglücklich machen. Es ist sowieso umsonst.« Fügens Hände zittern. Sie hat Kopfweh, Migräne, sagt sie. Günseli: »Na, Kinder, was soll 's, wer von uns ist .schon in seinem Sexualleben völlig glücklich? Und wer von uns weiß über die Männer richtig Bescheid? Wie sollen sie dann uns kennen? Du kannst dich ja, wenn die Sache vorbei ist, rumdrehen oder ins Bad gehen. Und mit eigener Hand...«
»Sehr unerzogen«, kichert Fügen. Gül: »Statt mit deiner Hand probier es doch mal mit seiner.«
»Ah, seid ihr verrückt geworden. Wie kriege ich denn diesen ausgewachsenen Mann dazu"? Und nach allem, was war. Das geht nicht«, sagt Fügen. Ich dachte, Aysel hätte nicht zu Ende studiert, aber sie ist Elektroingenieurin geworden, bloß hat sie wegen der Eheschließung ihren Beruf nie ausgeübt. Ihr Mann wollte nicht, daß sie arbeitet. Hätte sie doch irgendein Larifarifach studiert; so ist es schade um die Mühe.
Zu mir sagt sie: »Du warst in unserer Klasse der hoffnungsloseste Fall, aber jetzt bist du als einzige von uns Geschäftsfrau geworden.« Gut, daß ich alle eingeladen habe! Sie hocken den ganzen, Tag zu Hause rum, haben über »Atta, Mama, Kuckuck« ihre eigene Sprache vergessen, sagen sie. Aber Aysels Mann ist wirklich ein guter Mann... So gut, daß eines Tages, als das Kind schrie und Aysel sagte: „Häng du mal die Wäsche auf!“, er sie wirklich aufhängte. Das heißt, nicht die ganze Wäsche, denn kaum hatten die Nachbarn vom gegenüberliegenden Balkon ihn gesehen, floh er nach drinnen, als hätte man ihn bei einem Verbrechen ertappt.
"Ach, ihr hättet keine Kinder machen sollen, die beschneiden die Freiheit. Und wenn schon, würde eins ja reichen für die. Freude am Kind. Ihr seid mir doch reichlich einfältig geblieben. So bin ich nicht, ich lasse mich nicht so ausnutzen. Sind die Männer nicht alle gleich? Du kannst doch den einen für den anderen nehmen! Ihr Verstand reicht nur für zwei Dinge. Frauen und Beruf. Meiner ist auch sehr scharf auf die Frauen, das heißt er war es. Vor der Hochzeit hat er sich ausgelebt, Geld spielte keine Rolle. Nach Rumänien und Schweden, hat er, bei Gott, spezielle Sextouren unternommen. Er hatte ein Telefonheftchen, der Verstand bleibt dir stehen, mit Tausenden von Mädchennamen und persönlichen Angaben, wie „schone Reine, blond, große Brüste, hat eine schöne Schwester" und so weiter. So sind sie halt, aufgrund ihrer Erziehung, wie primitive Tiere. Sie können bloß ficken, und bei jedem Mal hauen sie sich sozusagen eine weitere Kerbe in den Erfolgsbaum. Wenn das nun schon ihre Spezialität ist, sollten sie es dann doch wenigstens gut machen. Aber nichts dergleichen. Idioten. Selbst das klappt nicht.«
Gül hat keine Kinder. Sie kann keine bekommen. (Das heißt, die Idee, lieber keine zu gebären, ist auch nicht ganz freiwillig entstanden.) Gül hat sich untersuchen Lassen, ihr fehlt nichts. Aber den Mann hat sie nicht zum Arzt schleppen mögen. Er hat Angst, es könnte sich herausstellen, daß der Fehler bei ihm liegt. Als ob dadurch die Männlichkeit in Gefahr wäre... Ich schaue mir Gül an. Sie sieht anders aus als die anderen, schlank, attraktiv, lustig.
Güls Mann war oft auf Geschäftsreisen, und sie blieb allein zu Hause. Er wollte sie nie mitnehmen. Eines Tages traf sie den Mann einer Bekannten, der sie einlud, gemeinsam etwas zu trinken. Er erzählte von seiner Ehe, daß er sich, mit seiner Frau nicht verstünde und unglücklich sei. Dabei war die Frau doch eine nette Frau. Nach zwei Tagen rief der Mann Gül zu Hause an und fragte: »Ist der Deinige gekommen?« Er war nicht zurück. Sie trafen sich zum Essen am Bosporus. In aller Öffentlichkeit; sie taten ja nichts Schlimmes. Aber der Mann hatte sich in Güls Kopf festgesetzt. Sie konnte nicht schlafen, musste ständig an ihn denken. Am anderen Morgen ließ sie sich mit dem Hotel verbinden, in dem ihr Mann übernachtete. Sie gab die Zimmernummer an, da meldete sich eine Frauenstimme mit »Hallo«. Plötzlich übernahm ihr Mann den Hörer. Gül fragte ihn: »Wer war denn das am Telefon?« Seine Antwort: »Red keinen Unsinn, mach kein Theater, wenn ich, zurück bin, reden wir darüber, es ist nichts.«
Daraufhin wählte Gül sofort die Nummer des Mannes ihrer Bekannten, um sich mit ihm zu treffen. Denn nun empfand sie keine Schuldgefühle mehr. »Und was passierte dann, Gül?" Wir platzen vor Neugierde. »Dann passierte nichts. Die Frau, die den Hörer abgenommen hatte, sei das Zimmermädchen gewesen, und mein Mann sei in dem Moment zufällig ins Zimmer gekommen, jetzt treffe ich mich jede Woche mit dem anderen. Wir verbringen gemeinsam ein paar glückliche Stunden fern von allen häuslichen Sorgen. Auch der Meine ist mit einer Frau zusammen, das weiß ich. Aber was soll ich machen. Jetzt werde ich mich doch nicht noch scheiden lassen! Wenn ich mich mit dem anderen Mann treffe, ziehe ich mir aufreizende Wäsche an und parfümiere mich, und er hat sich, auch piekfein gemacht. Wir essen schön, trinken etwas und lassen es uns wohl sein."
Fügen hat wohl ziemlich viel getrunken. Dauernd füllt sie sich Gin nach. Manchmal würde das Ding ihres Mannes nicht hochkommen, erzählt sie. Aber dann, dann würde er wahnsinnig. An solchen Tagen würde er sie immer beschuldigen und schlecht behandeln. Fügen hat eine Freundin in Frankreich, die Geliebte eines Malers. Dessen Ding sei schon in der ersten Nacht nicht mal aufgestanden. Später sei das dann noch oft passiert. Der Mann hätte aber bloß glucksend dazu gelacht und gesagt: »Machst du mir wieder mal Schande, Kleiner, hast wohl keine Lust heute«, und dann hätte er das Mädchen in den Arm genommen, und sie hätten wie die Engel geschlafen. Meine Süße, die Männer wachsen verschieden auf. Für unsere ist dieses Objekt die einzige Waffe, wenn die auch noch versagt, was sollen die armen Kerle dann machen.«
Wir haben uns glänzend amüsiert, viel gelacht. Mit dem Wunsch, uns ganz bald, wiederzusehen, trennen wir uns. Fügen kaut ein wenig Petersilie, damit ihr Mann den Alkohol nicht riecht. Sie gehen. Mir ist schwindelig. Habe ich viel getrunken? Traurigkeit bricht über mich herein. Was werden, sie jetzt machen in ihren Häusern? Werden sie sein wie hier kurz vorher - natürlich, fröhlich, glücklich?
Das Buch ist im Piper Verlag erschienen.
EMMA Mai 1992

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