Fall Kavanaugh: She said – he said

Christine Blasey Ford sagt vor dem Justizausschuss aus - Foto: Imago/MediaPunch
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Die Anhörung vor dem Justizausschuss sollte klären, was an einem Sommerabend des Jahres 1982 bei einer Party unter Jugendlichen in einem upper-class-Vorort von Washington passiert ist. Mal gefasst, mal den Tränen nahe berichtete Christine Blasey Ford, wie der von Donald Trump für den Supreme Court nominierte Brett Kavanaugh sie als 15-Jährige in ein Schlafzimmer stieß, auf das Bett warf und begrabschte. „Er versuchte, mich auszuziehen. Aber er war zu betrunken, und ich trug einen Badeanzug unter meiner Kleidung. Ich ging davon aus, dass er mich vergewaltigen wollte“, erklärte die Psychologieprofessorin 36 Jahre später. „Ich versuchte, um Hilfe zu rufen. Aber Brett legte mir die Hand auf den Mund. Das war das, was mich mein Leben lang am heftigsten verfolgt hat“, erinnerte sich die 51-Jährige. „Ich konnte kaum atmen und fürchtete, dass Brett mich aus Versehen umbringen würde.“

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Blasey Ford:
Er wollte mich
vergewaltigen

Als Blasey Ford am Donnerstag letzter Woche nach fast vier Stunden den holzgetäfelten Sitzungssaal auf dem Kapitolshügel verließ, zweifelten nicht nur viele DemokratInnen am Einzug des Republikaners Kavanaugh in den Obersten Gerichtshof.

Dann stellte sich Trumps Kandidat dem Justizausschuss des Senats. Der Jurist benahm sich aggressiv und gekränkt. „Ich mag Bier. Aber ich habe nie so viel getrunken, dass ich das Bewusstsein verlor, und ich habe nie jemanden sexuell belästigt“, schrie der inzwischen 53-jährige Brett Kavanaugh. Fragen nach Anspielungen auf den Vorfall im Jahrbuch seiner High School wich Kavanaugh aus, Details zu seinen Trinkgewohnheiten während des Studiums an der Eliteuniversität Yale umging er durch Pauschaldementis. Auf Belege, was vor 36 Jahren bei der Party geschah, warteten Justizausschuss und mehr als 20 Millionen Fernsehzuschauer vergeblich. Kavanaughs Anhörung geriet zu einer Politikposse, die mehr Fragen aufwarf als klärte.

Warum beschränkte sich das FBI auf die üblichen Backgroundchecks des Kandidaten für das Richteramt auf Lebenszeit, obwohl inzwischen neben Blasey Ford zwei weitere Frauen Missbrauchsvorwürfe gegen Trumps Favoriten erheben? Wie war ein vertraulicher Brief von Ford an Dianne Feinstein, die Grande Dame der Demokratischen Partei, an die Öffentlichkeit gelangt? Mit Rücksicht auf Mann und Söhne hatte Blasey Ford ausdrücklich gebeten, ihren Namen geheim zuhalten.

Wenn die würdelose Vorstellung auf Capitol Hill etwas Eindeutiges hergab, dann das Bewusstsein, dass Blasey Ford spätestens vor dem Justizausschuss zum Opfer wurde. „Ich bin heute nicht hier, weil ich es möchte“, erklärte die Professorin des kalifornischen Palo Alto College zu Beginn ihrer Aussage.

Kavanaughs Anhörung geriet zur Politikposse

Anschließend berichtete sie, wie die Erinnerung an Kavanaughs Übergriff vor einigen Jahren während einer Paartherapie mit ihrem Mann Russell Ford wieder hochkochte. Sie erzählte von Angst und Scham, die sie davon abhielten, sich ihren Eltern anzuvertrauen. Und sie beschrieb, wie sie im Juli durch Presseartikel über Kavanaughs mögliche Nominierung aufgeschreckt wurde: „Ich dachte, es sei meine Bürgerpflicht, die Informationen über sein Verhalten weiterzugeben.“

Blasey Ford entblößte sich vor dem Justizausschuss emotional. Der Ausschuss verzichtete darauf, Kavanaughs Freund Mark Judge, den einzigen Augenzeugen des Vorfalls, anzuhören. In einer Autobiografie hatte der trockene Alkoholiker schon vor einigen Jahren zugegeben, zu Schulzeiten im Dauerrausch gewesen zu sein.

Viele Senatoren schienen die Anhörung vor allem zu nutzen, um sich für die bevorstehenden Kongresswahlen in Stellung zu bringen. Der Republikaner Mike Crapo warf den Demokraten vor, Blasey Fords Vorwürfe wochenlang für sich behalten zu haben. Sein Parteikollege Mike Lee beschuldigte die demokratischen Senatoren offen, die Anhörung weiterer Zeugen zu verhindern. Der Versuch der Republikaner, mit Kavanaugh eine konservative Mehrheit im Supreme Court zu schaffen, geriet dabei zumindest streckenweise ebenso in Vergessenheit wie Blasey Ford.

Für die elf, ausschließlich männlichen Republikaner des Ausschusses reichte es trotzdem. Gegen ihre zehn demokratischen KollegInnen votierten sie am Freitag dafür, Kavanaughs Nominierung an den Senat weiterzuempfehlen. Nur Jeff Flake, der republikanische Senator aus Arizona, der zuvor von zwei empörten Frauen im Aufzug zur Rede gestellt worden war, scherte kurz aus. Er knüpfte seine Zustimmung an weitere Ermittlungen des FBI und erzwang damit eine Unterbrechung des Bestätigungsverfahrens.

Präsident Trump sicherte den Bundespolizisten inzwischen „freie Hand“ bei den Recherchen zu: „Sie sprechen mit jedem.“ Die Ermittlungen, so Trump am Samstag, müssten aber spätestens bis Ende dieser Woche abgeschlossen sein.

Zu der Sozialarbeiterin Deborah Ramirez, der Kavanaugh während der gemeinsamen Studienzeit an Yale den entblößten Penis entgegengestreckt haben soll, nahmen die Ermittler bereits Kontakt auf. Auch die als „dritte Frau“ bekannte Julie Swetnick wurde angeblich inzwischen vom FBI angesprochen. Die Mitarbeiterin des Finanzministeriums hatte den Supreme-Court-Kandidaten verstärkt in Bedrängnis gebracht, als sie einige Tage vor der Anhörung ebenfalls Vergewaltigungsvorwürfe erhob.

Viele vergleichen Blasey Ford schon mit
Anita Hill

In einer eidesstaatlichen Erklärung gab Swetnick an, Anfang der 80er-Jahre beobachtet zu haben, wie Kavanaugh immer wieder Mädchen bei Partys betrunken machte, um sie vergewaltigen zu lassen: „Ich erinnere mich deutlich daran, wie mehrere Jungen vor einem Zimmer Schlange standen, um bei dem Mädchen in dem Zimmer ,an die Reihe‘ zu kommen. Zu diesen Jungen zählten auch Mark Judge und Brett Kavanaugh.“

Viele AmerikanerInnen vergleichen Blasey Ford bereits mit Anita Hill. Die Juristin hatte vor fast 30 Jahren während des Bestätigungsverfahrens für den damaligen Supreme-Court-Kandidaten Clarence Thomas über sexuelle Belästigungen durch den Juristen berichtet, was unter dem Slogan „She said – he said“ in die Geschlechter-Geschichte einging. Das Ergebnis der Anhörung zählt zu den unrühmlichen Kapiteln in der Geschichte des Obersten Gerichtshofs: Als Richter des Supreme Court entscheidet Thomas bis heute über Abtreibung, Rechte von Homosexuellen und die Todesstrafe. Hill, die an der Brandeis University Sozialpolitik und Frauenforschung unterrichtet, wird dagegen immer noch von der Erinnerung an die „schmerzhafte“ Anhörung eingeholt.

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Affäre Thomas: He said - she said

Die amerikanische Jura-Professorin Anita Hill machte die sexuelle Belästigung ihres Ex-Kollegen öffentlich
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Noch nie in der Geschichte der Vereinigten Staaten, noch nicht einmal während der ersten Mondlandung, verfolgten so viele Menschen eine Fernseh-Übertragung. He said - she said. Spätestens jetzt können sich auch deutsche Männer nicht länger auf das Stillschweigen ihrer Kolleginnen verlassen. So manche "Altlasten" dürften männlichen Kollegen dieser Tage schwer auf der Brust liegen: schließlich packte auch Anita Hill über Dinge aus, die schon zehn Jahre zurückliegen. "Fünf Tage, die Amerika veränderten". nannte die ZEIT das Senats-Hearing vor dem Justiz-Ausschuß. Nicht nur Amerika: Weltweit wurde die sexuelle Erpressung weiblicher Angestellter zum Titelthema der Medien, zur Top-Meldung der Nachrichten. Bei EMMA stand tagelang das Telefon nicht still. Kolleginnen von amerikanischen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen, aber auch von zahlreichen deutschen Illustrierten wollten wissen: "Wie ist das in Deutschland? Haben Sie Zahlen? Was werden Sie tun?" Die Zahlen hätten die Kolleginnen schon längst veröffentlichen können, sie wurden gerade wieder durch eine hochoffizielle Studie bestätigt: Drei von vier Frauen in Westdeutschland haben leidvolle Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gemacht. Und es sind nicht nur die Chefs, die sich an den von ihnen abhängigen Untergebenen und Lehrlingen vergreifen. Auch „Kollegen“ werden immer dreister. Wollen sie die lästige weibliche Konkurrenz durch plumpe Anmache, Demütigung und Verunsicherung ausschalten? Susan Brownmiller, die Autorin des Klassikers gegen Vergewaltigung „Gegen unseren Willen“, schreibt für EMMA, wie die Amerikanerinnen sich Gesetze und Urteile gegen sexuelle Nötigung am Arbeitsplatz Schritt für Schritt erkämpften. In Deutschland sind wir noch nicht ganz so weit: Das deutsche Strafgesetzbuch kennt (bisher) keine „sexuelle Belästigung“. Dennoch wehren sich auch hierzulande immer mehr Frauen: mit Strafanzeigen, Arbeitsgerichts-Prozessen und öffentlichem Protest. Und schon kündigt sich auch ein deutscher Skandal an: der Fall Hempel. Er sagt – sie antwortet!

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In einem verzweifelten Versuch, seine Nominierung zum Obersten Gerichtshof der USA nicht den Bach runtergehen zu lassen, beantwortete Clarence Thomas die gegen ihn von Professor Anita Hill vorgebrachten Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung so: Er warf dem Justizkomitee des Senats wütend vor, er würde einem „high-tech lynching“ ausgesetzt, sozusagen vor laufender Kamera gelyncht. Dass er ausgerechnet den Ausdruck „lynchen“ verwandte, war ein besonders mieser Schachzug. Alle Weißen sind sich, genau wie die Schwarzen, jenes düsteren Kapitels der amerikanischen Geschichte nur allzu bewusst, als schwarze Männer im Süden einfach gelyncht wurden, weil sie „die Regeln übertreten“ hatten. Und alle wissen ganz genau, dass die Entschuldigung der Weißen für ihre Lynchjustiz immer wieder die angebliche Vergewaltigung weißer Frauen durch schwarze Männer war.

Anita Hill hat für alle Frauen gesiegt

Pikanterweise ist Clarence Thomas mit einer weißen Frau verheiratet, und die Frau, die er am Arbeitsplatz belästigte, ist schwarz. Trotzdem brachte sein gefühliger Aufschrei die vierzehn weißen Senatoren, die Anita Hills Anschuldigungen prüfen sollten, total aus dem Konzept. Denn nichts fürchten diese Politiker mehr als den Vorwurf des Rassismus. Sich als Sexisten beschimpfen zu lassen, ertragen sie da schon eher. Außerdem ist das "sexual harassment" ein Thema, das sie zu Tode erschreckt. Denn sexuelle Belästigung ist erst seit einigen Jahren strafbar. Manchem Senator mag bei dieser Anhörung darum heiß geworden sein, wenn er an seine eigene Vergangenheit dachte.

Einer der traurigsten Aspekte dieser Anhörung des Justizkomitees, die live von allen großen Fernsehsendern übertragen wurde, war das politische Versagen von Senator Ted Kennedy, der sich auf Seiten der Demokraten für Anita Hill hätte stark machen sollen. Dieser sonst so wortgewandte Fürsprecher aller links-liberalen Anliegen saß in seinem Stuhl und schaute betreten vor sich hin. Dachte er an seine Ex-Mitarbeiterin Mary-Jo Kopechne, die vor über 20 Jahren bei einem Autounfall in Massachusetts starb, den Kennedy unter bis heute ungeklärten Ursachen verschuldete? Dachte er an seinen Neffen Willie Smith, der gerade in Palm Beach unter Anklage steht, eine junge Frau vergewaltigt zu haben, nachdem er mit seinem berühmten Onkel eine Nacht durchgezecht hatte? Vor ein paar Tagen gab Senator Kennedy eine Pressekonferenz, auf der er sich für die Fehler in seinem Privatleben entschuldigte und ankündigte, das Blatt werde sich nun wenden.

Richter Thomas setzte den gefühlsmäßig so beladenen Begriff des Lynchens ein, um die Frage zu verschleiern, ob er tatsächlich Anita Hill in seinem Büro mit Bemerkungen über Pornographie und ständigem Drängen auf private Rendezvous belästigt hatte. Die meisten politischen Beobachter waren von dieser Unverfrorenheit beeindruckt. Doch die wenigsten Journalisten fanden sein Vorgehen überzeugend. In Privatgesprächen wurden Stimmen, laut die fanden, was Clarence Thomas laut Anita Hill gesagt haben solle, sei noch milde in Vergleich zu dem, was Frauen sonst von Männern zu hören bekämen. Was uns hier aber fast alle - Männer wie Frauen - wirklich wütend machte, war die Art, in der die republikanischen Senatoren versuchten, Anita Hills Glaubwürdigkeit zu zerstören: sie bezichtigten sie, zu phantasieren und zu lügen. Hier war sie wieder, die gute, alte Strategie, die typische, altmodische, männliche Verteidigung gegen den Vorwurf der Vergewaltigung. Es war entlarvend! Das einzig Gute an dem Skandal: Die Nation, die gebannt wie bei "Dallas" und "Denver" vor dem Fernseher hockte, bekam ein Thema serviert, dem sonst kaum Beachtung geschenkt wird.

An der Spitze des Kampfes stehen schwarze Frauen

Es ist wichtig zu wissen, dass es schwarze Frauen waren, die in den Vereinigten Staaten von Beginn an den Kampf gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz anführten. Die meisten von ihnen kamen aus der Arbeiterklasse und kämpften dafür, in traditionelle Männerberufe zu kommen. Eleanor Holmes Norton, eine schwarze Rechtsanwältin und frühere Aktivistin der Bürgerrechtsbewegung aus Washington, D.C, die zurzeit dem Kongress als nicht stimmberechtigtes Mitglied angehört, findet es "völlig offensichtlich", warum schwarze Frauen diesen Kampf anführen. Sie sagt: "Bei dem historischen Wissen schwarzer Frauen um Sklaverei und Vergewaltigung erstaunt mich das überhaupt nicht."

Es gibt auch noch andere Gründe. Viele der frühen Fälle, die vor Gericht kamen - Fälle, die dafür sorgten, dass sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt wurde - sind von schwarzen Frauen vorgebracht worden, deren weiße Vorgesetzte sie belästigt hatten. Für diese Frauen ein doppelter Affront -nicht nur sexuelle auch rassische Diskriminierung. Natürlich wurden in den USA rechtliche Möglichkeiten, rassische Diskriminierung zu verfolgen eher eingeführt als Gesetze gegen sexuelle Diskriminierung - wie üblich, wenn es um Anliegen von Frauen geht. So waren die schwarzen Frauen aus der Arbeiterklasse doppelt motiviert. Im Nacken die Angst, aufgrund solcher Belästigungen ihren Beruf aufgeben zu müssen und dann das gleiche Schicksal zu erleiden wie ihre Mütter, die in den Häusern weißer Leute putzen gehen mussten. Schwarze und weiße Frauen werden am Arbeitsplatz schon ebenso lange sexuell belästigt, wie es Arbeitsplätze für Frauen gibt. Im Jahr 1974, ein paar Jahre, nachdem Frauen angefangen hatten, offen über Vergewaltigung zu reden, wurde in den USA auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zum feministischen Thema. In einer Selbsterfahrungsgruppe an der Cornell University packten ein paar Studentinnen erstmals über ihre Erfahrungen in den Sommerjobs aus. Einmal angesprochen, hatte fast jede eine solche Geschichte zu erzählen. Aber es fiel den Frauen nicht leicht, darüber zu reden. "Er konnte mich nicht in Ruhe lassen" - "Nein war für ihn keine Antwort" - "Dauernd musste er irgendwo an mir rumfummeln", etc. etc.. Manche waren sogar gezwungen, deswegen zu kündigen.

Zufällig musste zur gleichen Zeit eine Verwaltungsangestellte ihren Job im Büro eines berühmten Arztes in Cornell aufgeben, weil der Stress, seine permanenten Annäherungsversuche abzuwehren, sie körperlich krankgemacht hatte. Nach Überprüfung des Falles wurde der Mutter von vier Kindern Arbeitslosengeld mit der Begründung verweigert, sie habe aus "persönlichen" Gründen gekündigt. Das war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte! Eleanor Holmes Norton, damals Vorsitzende der New Yorker Kommission für Menschrechte, lud im folgenden Jahr Frauen zu Hearings ein. Aus Cornell kam Lin Farley, um auszusagen, wobei sie halb und halb erwartete, im Hearing ausgelacht zu werden. Diesmal war das Gegenteil der Fall! Eine Reporterin der New York Times berichtete im August 1985 unter dem Titel "Frauen beginnen, öffentlich über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu sprechen". Der Artikel wurde in den gesamten USA nachgedruckt und löste bei den Frauen im ganzen Lande eine Flutwelle von Reaktionen aus.

Feministinnen begannen, Beschwerden von Frauen zu sammeln

Lin Farleys Buch "Sexual Shakedown: The Sexual Harassment of Women on the Job" ("Sexuelle Erpressung: Die sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz") wurde 1978 veröffentlicht. Darin sagt sie sehr konkret, was unter sexueller Belästigung zu verstehen ist: Kneifen, Hinterherpfeifen, Anstarren, Streifen des Körpers einer Frau und sie alleine abpassen, um ihr sexuelle Intimitäten aufzuzwingen oder offene, sexuelle Anträge, verbunden mit der Drohung, dass sie sonst den Job verliere.

Feministinnen begannen, Beschwerden von Frauen zu sammeln und an Anwälte und Berater weiterzuleiten, die sich freiwillig zur Verfügung gestellt hatten. Die Frauen, die jetzt klagten, hatten alle entweder ihren Arbeitsplatz verloren, weil sie sich weigerten, mit dem Chef zu schlafen oder hatten aus diesem Grund selber gekündigt oder waren nicht befördert worden.

Ende der 70er Jahre war es soweit: Das Appellationsgericht erkannte das Recht einer sich am Arbeitsplatz sexuell belästigt fühlenden Frau an, die Firma zu verklagen. Jetzt war klar, dass die Gerichte sexuelle Belästigung nicht mehr länger als etwas Privates und Persönliches zwischen einem Vorgesetzten und seiner Untergebenen betrachten konnten, sondern als sexuelle Diskriminierung, für die der Arbeitgeber verantwortlich gemacht werden musste.

Wieder waren es vor allem schwarze Frauen, die diese Geschichte machenden Fälle ausfochten: Die Lohnbuchhalterin Paulette Barnes, die Maschinistin Margaret Miller, die Regierungsangestellte Dian Williams, die Lageristin Rebekkah Barnett. Am Ende der 70er Jahre gab es in den USA keine Frauenzeitschrift und keine der nachmittäglichen Talkshows mehr, die dieses Thema nicht aufgegriffen hatten.

Langsam und fast unbemerkt wurde Anfang der 80er Jahre die Definition gesetzwidriger sexueller Belästigung durch Präzedenzfälle juristisch erweitert. Als Frauen in immer größerer Anzahl auf den Arbeitsmarkt drängten, sich nicht mehr mit Jobs begnügten, sondern Karriere machen wollten, verschärfte sich auch die Erniedrigung und Einschüchterung der sexuellen Belästigungen durch die konkurrierenden Kollegen! Jetzt entschied ein Gericht in Minnesota, dass die Belästigung durch Mitarbeiter sich genauso nachteilig auf das Arbeitsklima auswirkt wie die Belästigung durch einen ranghöheren Vorgesetzten oder Chef. Ebenso erhöhte sich mit zunehmendem Drängen der Frauen auf qualifizierte Stellen der Druck auf diese Frauen, "sexy" auszusehen, sich zum Objekt zu degradieren. Auch hier erfochten kämpferische Frauen ein wichtiges Urteil: Ein New Yorker Gericht entschied, dass von einer Empfangsdame nicht verlangt werden kann, allzu offenherzige Kleidung zu tragen, mit der sie eine ihr unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich lenkt. 

Auch verbale Beleidigungen verstoßen gegen das Gesetz

Während der Carter-Administration war Eleanor Holmes Norton Vorsitzende der Equal Employment Opportunity Commission (EEOC - Kommission für gleiches Recht auf Arbeit). Sie nutzte die Gelegenheit, eine Reihe von Regierungsrichtlinien zur sexuellen Belästigung aufzustellen. Die Richtlinien der EEOC von 1980 waren nicht mehr als ein einseitiges Merkblatt. Sie legten kurz und bündig fest, dass "sexuelle Forderungen als Voraussetzung für die Einstellung, Weiterbeschäftigung oder Beförderung einer Frau" gegen das Gesetz verstoßen. Auch die Schaffung eines "einschüchternden, feindlichen oder herabwürdigenden Arbeitsklimas" verstößt gegen das Gesetz, dazu gehören auch "verbale Beleidigungen". Die Richtlinien forderten Firmen auf, ihre eigenen Merkblätter zu erstellen und ihre weiblichen Angestellten über ihre Rechte und Entschädigungen zu unterrichten.

Das Beschwerdegericht erkannte 1981 die Richtlinien der EEOC als gesetzlich an. Da einige europäische Journalisten versucht haben, die aktuelle Diskussion über sexuelle Belästigung auf die platte Ebene von Sexismus kontra Rassismus zu bringen, möchten wir hier besonders betonen, dass damals sowohl der Anwalt der EEOC als auch der Richter, der diesen Fall zu Gunsten der Klägerin entschied, Schwarze waren.

Während des ersten Jahres der Reagan-Administration gab eine staatliche Aufsichtsbehörde die Ergebnisse einer Umfrage bei 20.000 Regierungsangestellten bekannt. Man hatte feststellen müssen, dass 42 Prozent der weiblichen Regierungsangestellten in den letzten zwei Jahren am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden waren! Die Umfrage wurde 1988 wiederholt und kam zu exakt dem gleichen Ergebnis.

Erst 1986 rang sich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten einstimmig zu der Auffassung durch, anzuerkennen, dass sexuelle Belästigung auch ohne ökonomischen Schaden eine sexuelle Diskriminierung ist. Wieder war es eine schwarze Frau, die diesen Fall zur Anklage gebracht hatte: Mechelle Vinson, eine Bankangestellte in der Ausbildung. Anita Hill war inzwischen Professorin an der juristischen Fakultät der Universität von Oklahoma, und bis zu den Anhörungen zur Nominierung von Richter Clarence Thomas sollten noch fünf weitere Jahre vergehen. Sicher, Anita Hill sagte zu Vorkommnissen aus, die bereits zehn Jahre zurück lagen. Aber die gnadenlosen Angriffe auf ihre Glaubwürdigkeit weckten Erinnerungen an die Qualen all ihrer Vorgängerinnen im Kampf gegen sexuelle Belästigung. Auch sie hatten sich nicht gescheut, selbst auf die Gefahr hin, der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden.

Sexuelle Belästigung ist eine sexuelle Diskriminierung

Clarence Thomas wurde trotz der schweren Vorwürfe von Anita Hill einer der Obersten Richter der Vereinigten Staaten. 52 von 100 Senatoren stimmten für ihn. Das wird schwerwiegende Konsequenzen für die Frauen in diesem Land haben: Wenn der Supreme Court demnächst über die Abtreibungsfrage zu entscheiden hat, wird Thomas' Stimme das Zünglein an der Waage sein. Zwar behauptete er im Bewerbungsverfahren, er habe "keine Meinung" zu diesem Thema und habe auch "noch nie darüber diskutiert". Doch jeder weiß, dass er nicht die Rolle seines Vorgängers Thurgood Marshall übernehmen wird: Marshall, Schwarzer wie Thomas, aber eben ein Liberaler, war jahrelang das Bollwerk gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechtes gewesen.

Trotzdem: eine überwältigende Mehrheit der Frauen (und auch nicht wenige Männer) in den USA sind auf der Seite von Anita Hill. Sie ist eine Heldin, sogar eine mit Auszeichnung: Die Nationale Koalition schwarzer Frauen der USA verlieh ihr den "lda-B.-Wells"Preis, der eigentlich für die Golfkriegs-Generäle Schwarzkopf und Powell bestimmt gewesen war. Anita Hill habe mindestens "ebenso viel Heldenmut wie die Generäle" gezeigt, befand die Jury. Keine Frage: Anita Hill hat gesiegt. Denn sie hat gezeigt, dass eine Frau es wagen kann, sich zu wehren. Die Würde, die sie in der Auseinandersetzung wahrte, macht Millionen Frauen Mut.

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