Dokumentarfilm: Alice im Kino

Hier sitzt Alice Schwarzer im Jahr 1975 auf der legendären Fraueninsel Femø an ihrer geliebten Schreibmaschine. - Foto: C. Perincioli
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Auch Alice Schwarzer hat einmal klein angefangen. Als junge Volontärin bei den Düsseldorfer Nachrichten berichtete die gebürtige Wuppertalerin in hinreißenden Artikeln über – beispielsweise – vandalisierte Telefonzellen. Muss auch sein! Egal was diese Frau je anpackt, sie macht es mit Entschlossenheit und maximaler Hingabe. Und ohne Angst. Unerschrockenheit war in Schwarzers Biografie gewiss eine Voraussetzung, um eine so steile Karriere als Journalistin und Frauen- wie Menschenrechtlerin hinzulegen. Verwunderlich ist nur, dass es bis dato kein filmisches Porträt der heuer noch ihren 80. Geburtstag feiernden Ikone gab. Alice Schwarzer von Sabine Derflinger ändert das jetzt.

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Der Wert dieses Dokumentarfilms liegt in der Fülle an Archivmaterial, das die österreichische Regisseurin (zuletzt "Die Dohnal", 2019) zu einhundert Minuten Film montiert hat. Er startet mit einem der schärfsten Gesprächsduelle der deutschsprachigen Fernsehgeschichte, als Schwarzer 1975 live im WDR auf die Autorin Esther Vilar trifft und deren Behauptungen im Buch "Der dressierte Mann" pulverisiert.

Derflinger begleitet ihre Titelheldin an wichtige Orte ihres Lebens und Wirkens, in den Garten ihrer Kindheit in den Hügeln von Wuppertal, wo sie bei ihren Großeltern aufwuchs, nach Paris, wo sie lange Zeit lebte und Simone de Beauvoir kennenlernte, nach Algerien, wohin sie langjährige berufliche wie private Verbindungen hält. Und natürlich setzt Derflinger Schwarzer auch in ihrem natürlichen Redaktionshabitat in Szene, im Büro der Zeitschrift Emma, die seit 1977 von Alice Schwarzer herausgegeben wird. Dort, am außergewöhnlichen Redaktionssitz im Bayenturm, einem mittelalterlichen Wehrturm in der Kölner Innenstadt, diskutiert das Team editorische Fragen und interpretiert offenherzig so manche als Kampagnenjournalismus eingestufte Publikation.

"Alice Schwarzer" transportiert in einem weiten, aber nicht nur chronologischen Bogen viele Anliegen und zeigt die Protagonistin über die Jahrzehnte in einem gewiss nicht rosiger werdenden gesellschaftspolitischen Kampf. Der Film reproduziert in seiner Verdichtung des ausgewählten Materials zwangsläufig den steten Gestus des Einforderns oder Ablehnens, den Grundton des Dissenses, der sich irgendwann auch abnützt. Hier wird formal nicht experimentiert, sondern möglichst eng Dokumentarisches und neu Gedrehtes geschlichtet.

Nichtsdestotrotz gewähren gerade die historische Spannweite des Films und die aus der jeweiligen Zeit datierenden O-Töne wichtige Erkenntnisse. Etwa dass das Vergessenmachen frauenrechtlicher Errungenschaften immer schon gut funktioniert hat und auch die 1970er voller Unwissenheit über die vorangegangenen Bewegungen im 19. Jahrhundert waren.

MARGARETE AFFENZELLER

Die Autorin ist Kulturredakteurin der österreichischen Tageszeitung Der Standard.

Die Doku "Alice Schwarzer" ab 13. Mai im Kino in Österreich und in der Schweiz.

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