Alla Oliynik: Die Aktivistin

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Alla Oliynik wischt mit dem Zeigefinger über die Oberfläche ihres Handys; das Foto, das sie und ihren Freundeskreis verstört hat, ist schnell parat. Es zeigt einen Mann, der am Boden liegt, zusammengekrümmt, die Arme hinterm Kopf verknotet, zum Schutz vor den Männern, die auf ihm herumtrampeln. „Ich wusste, dass etwas Schlimmes passiert, aber damit habe ich nicht gerechnet.“ Alla Oliynik wollte der ersten ukrainischen Gay Parade Mitte Mai von Anfang an fern bleiben. Ihre Sorge war berechtigt: Maskierte Männer griffen den Organisator in Kiew mit Pfefferspray an, prügelten ihn krankenhausreif. Polizisten waren vor Ort und schauten tatenlos zu.

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Wenn in diesen Tagen die Fußball-Europameisterschaft zum ersten Mal in der Ukraine und in Polen ausgetragen wird, dann wird das Mega-Event überschattet sein von der Debatte um Julia Timoschenko. Die ehemalige Ministerpräsidentin war in den Hungerstreik getreten, um gegen ihre Inhaftierung zu protestieren. „Es gibt aber auch noch andere Anlässe, um über Menschenrechtsverletzungen in unserem Land zu sprechen“, sagt Alla Oliynik. Zum Beispiel die Behandlung von Homosexuellen.

„Je offener wir uns geben, desto gefährlicher leben wir“, sagt Alla, die in Kiew geboren und aufgewachsen ist. „Deshalb sind wir isoliert.“ Sie sitzt in einem Café am Majdan, wie die Kiewer ihren „Platz der Unabhängigkeit“ nennen, dort, wo 2004 der Protest gegen Korruption und Wahlbetrug zur Orangenen Revolution geführt hat. Alla Oliynik, 29, ist eine selbstbewusste Frau mit weichen Gesichtszügen, sie spricht akzentfrei englisch. Sie ist herumgekommen in Europa, verkörpert die junge ukrainische Generation, die sich am Westen orientiert und nicht an Russland.

Es fällt ihr leicht, über ihr Coming Out zu sprechen, zumindest gegenüber dem deutschen Gast. Mit Anfang zwanzig sollte sie bei einem Trinkspiel mit Kommilitoninnen eine Freundin küssen. Der Kuss gefiel ihr besser, als sie erwartet hatte. Sie beendete die krampfhafte Suche nach einem Mann und traute ihren Gefühlen. „Meine Eltern waren verwundert, aber nicht schockiert. Ich hatte Glück, denn unsere Gesellschaft tickt völlig anders.“

2007 ermittelte das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center, dass 69 Prozent der Ukrainer Homosexualität ablehnen. 2011 reichten sechs Parlamentsabgeordnete einen Gesetzentwurf ein, der „Propaganda von Homosexualität“ unter Strafe stellen soll. Bis heute warten Aktivistinnen wie Alla Oliynik auf einen gesetzlichen Schutz vor der Diskriminierung Homosexueller – vergebens.

Alla kämpft weiter – laut und sichtbar werden darf sie dabei aber nicht. 2005 hatte sie mit Freundinnen und Freunden den Sportverein „Energy“ gegründet. Wenn die Gruppe sich auf die Suche nach einem Spielfeld macht, rückt sie nie mit der Wahrheit raus. „Wir können nicht sagen, dass wir auf Frauen stehen. Die Behörden würden uns rauswerfen und sich danach die Hände waschen. Für die sind wir eine Bedrohung der nationalen Sicherheit.“

Dennoch setzt Alla Oliynik den Sport ein, um gegen die allgegenwärtige Homophobie zu kämpfen. 2011 organisierte sie in Kiew ein Fußballturnier mit lesbischen und schwulen Teams. Informationen tauschten die TeilnehmerInnen in einem Internetforum aus, mit Passwort, aus Angst vor Beschimpfungen. Alla konnte für das Turnier keine Plakate kleben, keine Handzettel verteilen, keine Anzeigen schalten. „Zeitungen, die über Schwule und Lesben positiv berichten, bekommen Ärger. Von ihren Chefs, von der Politik, aber vor allem: von ihren Lesern.“ So veranstalteten sie ein Turnier, das kaum Zuschauer hatte, aber den Zusammenhalt und Mut der schwul-lesbischen Gemeinschaft stärkte. „Unser Verein bringt homosexuelle Frauen und Männer zusammen, die sich abgelehnt fühlen. Bei uns merken sie, dass sie nicht allein sind.“
Aus der ganzen Ukraine sind Lesben und Schwule in die Hauptstadt Kiew gezogen. Sie wollen reden, Kontakte knüpfen. Sie sehnen sich nach Normalität. Alla hat Menschen des öffentlichen Lebens kennengelernt, Politiker zum Beispiel, die schwul sind, aber gleichzeitig eine schwulenfeindliche Politik vertreten – aus Angst entdeckt zu werden. Sie selbst arbeitet in einem erfolgreichen Telekommunikations-Unternehmen, dort weiß nur eine Kollegin, dass sie lesbisch ist.

In Deutschland, der Schweiz und Spanien gibt es inzwischen 21 schwul-lesbische Fanklubs von Profivereinen, zum Beispiel die Rainbow-Borussen in Dortmund oder Andersrum Rut-Wiess in Köln. 2006 haben sie ein Netzwerk gegründet: Queer Football Fanclubs. Ihr Ziel: das Aufweichen von Chauvinismus, Homophobie und Sexismus im Fußball. „Ich konnte nicht glauben, dass es so etwas in Europa gibt“, sagt Alla Oliynik: „Bei uns gibt es niemanden, den wir um Unterstützung bitten könnten. Niemanden!“

Dem ukrainischen Populisten Ruslan Kukharchuk laufen dagegen die Menschen in Scharen zu, der Titel seiner Kampagne: „Liebe gegen Homosexualität.“ Niemals würde Alla Oliynik mit ihrer Freundin, mit der sie seit sieben Jahren zusammen ist, Hand in Hand durch die Straßen von Kiew gehen. FußballtouristInnen aus dem toleranten Westen rät sie ebenfalls dringend davon ab.

Das Netzwerk „Football Supporters Europe“, das sich gegen Diskriminierungen einsetzt, wird in den Austragungsorten mobile Fan-Botschaften einsetzen und in einem Internetportal über Klubs und Treffpunkte für Homosexuelle in der 2,8 Millionen-Stadt Kiew informieren. Alla Oliynik hat ihre Lieblingscafés angegeben. Sie konnte sie an einer Hand abzählen.

 

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