Der Prozess gegen den Vater hat begonnen

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Heute stehen die Angehörigen der 15 Opfer von Winnenden zum ersten Mal dem Vater des Amokläufers Tim K. gegenüber. Denn heute beginnt vor dem Stuttgarter Landgericht der Prozess gegen Jörg K., der wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagt ist: Er hatte den Waffenschrank, aus dem sein 17-jähriger Sohn am 11. März 2009 die Mordwaffe nahm, unverschlossen gelassen. Ursprünglich wollte die Staatsanwaltschaft nur einen Strafbefehl gegen Jörg K. ausstellen, aber die Eltern der erschossenen SchülerInnen - acht Töchter und ein Sohn - haben dafür gekämpft, dass es zum Prozess kommt.

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Einige von ihnen treten als NebenklägerInnen auf. Wie Gisela Mayer, deren Tochter Nina von Tim K. erschossen wurde. „Als Nebenklägerin habe ich das Recht, Fragen zu stellen. Das war mir wichtig“, erklärte die Sprecherin des Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden im EMMA-Interview. Denn: „Ich will Klarheit!“

In der Tat stellen sich auch anderthalb Jahre nach dem Amoklauf viele Fragen, die bis heute nicht beantwortet sind. Wie kann es sein, dass der Waffennarr Jörg K. seinem Sohn Zugang zu seinem Waffenarsenal gewährte und mit ihm schießen ging, selbst dann noch, als Tim K. sich in psychiatrische Behandlung begab und dort von seinen „Tötungsfantasien“ und seinem „Hass auf die ganze Menschheit“ sprach? Was ist mit Tim’s Hass speziell auf die weibliche Hälfte der Menschheit? Die Frage, warum der Junge, der alle seine Opfer in der Albertville-Realschule gezielt mit Kopfschüssen getötet hatte, fast ausschließlich Mädchen und Frauen erschossen hatte, stellte nach der Tat nur EMMA.

Auch die Staatsanwaltschaft interessierte sich nicht für das mögliche Tatmotiv Frauenhass. Hätten die Eltern erkennen müssen, dass ihr Sohn, der hunderte SM-Pornos auf seinem Computer hatte und sich bei seiner Nachhilfelehrerin über die „Scheißweiber“ in der Schule beklagte, ein, vorsichtig ausgedrückt, schwieriges Verhältnis zu Frauen hatte? Und welches Männerbild hat Jörg K., der, wie der Stern berichtet, selbst schon als Jugendlicher zum Waffennarren wurde und seine Großmutter mit der Luftpistole bedroht haben soll, als die sich über seine laute Musik beschwerte, seinem Sohn vermittelt? Wie kann es sein, dass Tim’s Mutter ihrem Sohn, der sich schon länger in seine virtuelle Gewaltwelt zurückgezogen hatte, immer weiter mit Horrorvideos versorgte?

„Die Eltern möchten wissen, was in dieser Familie los war“, sagt Anwalt Jens Rabe, der im Prozess fünf Familien als Nebenkläger vertritt. Seit anderthalb Jahren wohnt die Familie K. an einem neuen Ort. Seitdem seien „die Eltern in völliger Ungewissheit, wie Jörg K. lebt und ob er sich seiner Verantwortung stellt. Übernimmt er die Mitverantwortung für den Amoklauf und entschuldigt er sich?"

Kurz nach der Tat hatten Jörg und Ute K. einen Brief an die Eltern der Opfer geschrieben: „Immer und immer wieder fragen wir uns, wieso dies geschehen konnte. Warum wir seine Verzweiflung und seinen Hass nicht bemerkt haben. Bis zu dem furchtbaren Geschehen waren auch wir eine ganz normale Familie.“
Ab heute werden die Eltern der Opfer sehen, ob Jörg K. bereit ist sich anzuschauen, ob das, was er normal fand, lebensgefährlich war. Der Richter erklärte, es sei durchaus möglich, dass Jörg K. auch wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werde.

Der Prozess ist auf 27 Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil wird Anfang 2011 erwartet.

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