Geschwind im Ländle

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Turbo-Ministerin Annette Schavan mischt mit Entschlossenheit das Schwabenland auf. Und schlägt Wellen bis Berlin, wo sie zum engen BeraterInnenkreis der Preußin Merkel zählt.

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Einmal, ein einziges Mal, reißt es sie wirklich mit. Da streift sie das Korsett ab und ist nicht mehr allzeit freundlich, patent und ausgeglichen. Da bricht die Leidenschaft am Streit durch. Die Lust, andere dazu zu bringen, genau das zu tun, was sie will. Kampfeslust und die Freude am Sieg. Wenn sie jetzt davon erzählt, dann ist dieser Freitag im September plötzlich lebendig.
Im Audimax der Universität Freiburg wird diskutiert. Über Bildung, natürlich. Wäre sie sonst da? 600 Leute lauschen Annette Schavan, der baden-württembergischen Kultusministerin. Da wird es draußen laut. Demonstranten ziehen durch die Gänge, im Lärm ist kaum mehr etwas zu verstehen. Die Herrschaften auf dem Podium blicken betreten, einer müsste jetzt mal was tun. Aber keiner tut was. Da steht die Ministerin auf, geht raus, steuert zielstrebig auf die Demonstranten zu. "Kommen Sie mal alle mit mir raus!", ruft sie und geht zum Ausgang. Die Demonstranten laufen hinter ihr her.
Draußen, vor der Uni, stellt sie sich hin, diskutiert, streitet und zischt zwischendurch den unsicher wartenden Polizisten zu: "Jetzt sperren Sie aber mal die Türen zu." Für was hat sie die Leute denn rausgeholt? Muss man denn immer allen erst sagen, was zu tun ist? Ist denn hier keiner praktisch veranlagt? Nach zehn Minuten geht Schavan wieder rein – allein. "Und kein Lärm mehr", sagt sie noch streng – wie eine Lehrerin, die für Ruhe auf dem Pausenhof sorgt.
Sie ordnet nicht nur Schulhöfe, sie steht auch auf dem Kampfplatz der Kulturen. Schavan hat der muslimischen Lehrerin Fereshta Ludin verboten, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Und als die Muslimin es nicht abnehmen wollte, hat sie ihr das Unterrichten an den staatlichen Schulen des Landes untersagt. Zweimal hat Schavan vor Gericht Recht bekommen. Am 24. September hat sie halb Recht bekommen: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass sie für ihr Verbot keine Rechtsgrundlage hat.
Für die rheinische Christin Schavan, die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, ist das Kopftuch von Fereshta Ludin nicht in erster Linie ein Zeichen der Religion, sondern eines der kulturellen Abgrenzung und der Unterdrückung von Frauen. Doch sie holt das Thema schnell runter aus den Sphären des Kulturkampfes – mitten hinein ins Klassenzimmer. "Man muss in der Schule auf Eigenheiten verzichten – um des konstruktiven Miteinanders willen", sagt sie unpathetisch. Und weiß doch gleichzeitig, dass kaum ein anderes Thema solche Emotionen auslöst.
Für Schavan war das Kopftuch-Verbot "die schwierigste Entscheidung meiner Amtszeit". Und die dauert immerhin schon acht Jahre. Seit 1995 ist die in Neuss aufgewachsene Doktorin der Philosophie Kultusministerin in Baden-Württemberg und "Turbo-Ministerin", im Land von Mercedes und Porsche gilt das als Lob.
Die Frau weiß auf jeden Fall genau, was sie will. Sie ist der personifizierte Gegenentwurf zum Chaos. Ihre oberste Prämisse: Effizienz und Leistung. Sie hat das Abitur nach nur 12 Jahren Schulzeit eingeführt. Die Abiturienten müssen bei ihr in fünf Fächern ihre Prüfung machen, nicht nur in vier. Im Herbst haben 5000 erste Klassen begonnen, nicht nur das Alphabet, sondern auch gleich eine Fremdsprache zu lernen. "Ein pädagogischer Meilenstein", sagt sie stolz. Im sonst so vorweg strebenden Nachbarland Bayern laborieren sie immer noch an Pilotprojekten zum Fremdsprachenunterricht in der Grundschule herum. Die Schavan ist einfach voraus.
Das hatte auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber bemerkt, der nicht seine Schulministerin, sondern Schavan in sein Kompetenzteam für die dann doch nicht gewonnene Bundestagswahl 2002 berief. Seit 1998 ist Schavan auch Vizevorsitzende der CDU und eine der engsten Vertrauten von CDU-Chefin Angela Merkel.
Sie hält sich zugute, nicht immer auf ihre Partei Rücksicht zu nehmen – und hat doch ausgerechnet eine Erzählung aus dem Fächerkanon gestrichen, die sich mit dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger und dessen Todesurteilen während der NS-Zeit befasste. Damals trat die zuständige Schulbuchkommission zurück. Schavan irritierte das nicht. Sie hat ihren Doktor über die Frage des Gewissens geschrieben. Die Frau ist Moraltheologin. Wann sie das letzte Mal bei der Beichte war in Sachen Politik? "Ist schon lange her", antwortet sie. Wenigstens sagt sie nicht: Nie passiert.
Sie hat etwas Unprätentiöses und Gerades – obwohl sie diese kleinen, spitzen Schühchen trägt, mit dem Schleifchen obendrauf. Und diese Armbanduhr mit der stilisierten Eule auf dem Zifferblatt. Aber sie hat eine Waffe, die man nicht unterschätzen sollte: Sie lächelt die Leute nieder. Getreu dem chinesischen Sprichwort: Lächeln ist die wirksamste Art, deinem Gegner die Zähne zu zeigen.
Sie lächelt, wenn ihr vorgeworfen wird, sie sei mit ihrer Kopftuch-Entscheidung intolerant bis auf die Knochen. Sie lächelt, wenn ihr die Philologen einreden wollen, jede ihrer Reformen bedeute den Untergang des Abendlandes. Und sie lächelt, wenn bei der Diskussion über das Amt des Bundespräsidenten erklärt wird, zwei Frauen an der Spitze des Staates seien Deutschland nicht zumutbar – eine Präsidentin vielleicht, aber dann nicht auch noch eine Kanzlerin. Da gerät ihr Lächeln fast zum Zähnefletschen.
Immerhin wird auch sie selbst als präsidiabel angesehen. Nur zu jung ist sie und eine Frau und eine ohne Mann noch dazu.
Also: lauter Ausschlussgründe. Zumindest in Berlin. Vielleicht ist Baden-Württemberg auch da vorneweg. 2006 stehen in Stuttgart Landtagswahlen an.
Annette Ramelsberger, EMMA 6/2003

 

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