"Ich bin mit der Idee aufgewachsen, dass ich etwas tun kann."

Ani DiFranco
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Ani DiFranco war in Köln. EMMA-Redakteurin Chantal Louis hat sie getroffen – und hört seitdem nicht auf zu schwärmen. Nicht nur von der Sängerin und Musikerin und Produzentin Ani DiFranco, sondern auch von der Frau, die weiß, was sie will.

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EMMA: Du hast vor der Wahl bei der Kampagne "Vote damnit!" – "Geht wählen, verdammt!" mitgemacht, damit Bush abgewählt wird. Wie ist die Stimmung jetzt, nachdem er gewonnen hat?
Ani DiFranco: Wir waren tagelang im Schockzustand. Das ist alles sehr beängstigend. Es ist klar, dass das Bush-Regime das Recht auf Abtreibung kippen will …
Über das Thema Abtreibung hast du ja immer wieder Songs gemacht. Zum Beispiel das Stück 'Lost Woman Song', in dem du schilderst, wie mies du bei einer Abtreibung behandelt wurdest.
Genau. Und dann machen die Republikaner gerade eine regelrechte Hasskampagne gegen die Homo-Ehe. Sie wollen ja sinngemäß in unsere Verfassung schreiben: "Homosexuelle sind keine Menschen, und deshalb haben sie keine Bürgerrechte." Das Ausmaß des langfristigen Schadens, den sie in den nächsten vier Jahren anrichten, ist gar nicht abzusehen. Also: Wir müssen eine starke Opposition sein!
Du gehst also in die musikalische Opposition.
Ich bin mit der Idee aufgewachsen, dass ich etwas tun kann. Meine Mutter war sehr unabhängig und aktiv. Sie war die erste Architektur-Studentin an der Uni und knatterte in den 60ern mit ihrem kleinen Scooter durch die Gegend. Meine Eltern waren Immigranten – mein Vater kam aus Italien, meine Mutter aus Kanada – und sie waren sehr dankbar, in Amerika leben zu dürfen. Deshalb haben sie mir beigebracht, mich für mein Land und meine Regierung verantwortlich zu fühlen.
Du hast dich offenbar auch schon sehr früh für dich selbst verantwortlich gefühlt. Nach der Scheidung deiner Eltern ging deine Mutter nach Connecticut, aber du wolltest nicht mit, weil du da schon deine Band in Buffalo hattest. Also hast du mit 15 allein in New York gelebt.
Na ja, wir hatten ohnehin nie so richtig als Familie gelebt. Ich war immer viel auf mich allein gestellt. Meine Eltern haben mir einerseits viel mitgegeben, andererseits konnte ich nicht wirklich auf sie zählen. Sie haben sich wohl gesagt: "Dieses Kind scheint zu wissen, was es tut. Also vertrauen wir ihr – sie soll machen, was sie will." Und das hab ich dann auch getan.

Mit 19 hast du deine eigene Plattenfirma gegründet: 'Righteous Babe Records'.
Oh, Plattenfirma ist ein großes Wort für das, was 'Righteous Babe Records' damals war. Es gab kein Büro, keine Angestellten. Die Leute haben zu mir gesagt: "Du brauchst eine große Plattenfirma, die einen Star aus dir macht!" Ich habe schon damals bezweifelt, dass das mein großes Lebensziel sein sollte. Ich hatte keine Lust, mit dem Big Business ins Bett zu gehen. Also habe ich einen Stift genommen und 'Righteous Babe Records' auf meine kleinen Cassetten geschrieben und gesagt: "Das ist meine Plattenfirma!" (lacht). Und so blieb es jahrelang. Als ich dann langsam Erfolg hatte, habe ich meine beste Freundin angestellt. Und dann einen alten Freund. Und so weiter. Und dann wurde wirklich eine Plattenfirma draus.
Nach dieser Plattenfirma hat Prathiba Parmar ja sogar ihren großartigen Film 'Righteous Babes' benannt, in dem sie die Geschichte des Aufbruchs weiblicher Musiker in den Mainstream erzählt. In diesem Film sagt die Akustik-Gitarristin Ani DiFranco über die Spice Girls: "Ich würde sie am liebsten auf eine Insel ohne Strom schicken!"
(lacht schallend) Na ja, dieses Spice Girl-Phänomen ist für mich eine Art Ausverkauf des 'Female Empowerment' der 90er. Es gab einen Aufbruch der jungen Frauen, die die Nase voll hatten von diesen ganzen Boy Groups. Und die Musikindustrie hat das als Markt erkannt. Und dann haben sie das Wort 'Feminismus' okkupiert und ihm damit seine Tiefe und seine Stärke genommen. Dasselbe haben sie übrigens auch mit dem Wort 'Patriotismus' gemacht. Ein 'Patriot', das ist jemand, der folgt, ohne nachzudenken. Aber dieses Wort habe ich mir in 'Not a Pretty Girl' zurückgeholt. Patriotismus kann auch bedeuten, gegen die Regierung zu kämpfen.
   
Das Wort 'Feminismus' hast du dir auch zurückgeholt: "Das aufregendste F-Wort ist Feminismus!"
Ja, für mich ist es das. Aber sie haben es irgendwie geschafft, dass die Mädchen glauben, Feminismus sei eine antike Idee, die unattraktiv und unwichtig ist. Dafür haben sie ihre 'Girl Power'. Sie glauben schon an ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, das kannst du in ihren Augen sehen. Aber sie wissen nichts über die Geschichte der Frauenbewegung, sie wissen nicht, wo sie herkommen. Das war so eine Strategie der Befriedung der Mädchen, sie haben sie ruhiggestellt.

Noch ein Wort zu deiner Musik.
Ach stimmt, da war ja noch was (lacht)!         
Im Laufe der Jahre sind deine Stücke immer komplexer geworden. Du hast sie mit Band und Bläsern arrangiert, hast Ausflüge in Jazz und Latin gemacht und mit Musikern wie Prince gespielt. Auf deiner neuen CD 'Educated Guess' bist du – wie auf deinem allerersten Album – wieder allein mit deiner Gitarre.
Ich hatte mich mit meiner Band zerstritten, so dass ich mich von ihr verabschiedet habe. Ich hatte mich mit meinem Partner zerstritten und wir haben uns getrennt. Und so bin ich von einem Leben, das mit Menschen bevölkert war, in ein anderes gehüpft, in dem ich allein war: Allein auf der Bühne, allein in meiner Garderobe, allein zu Hause. Wir sind ja alle Gewohnheitstiere. Wenn man jahrelang in einer Beziehung lebt, ist es unglaublich, wie schnell man vergisst, dass man eine unabhängige Person ist. Und so war es stimmig, auch in der Musik auf mich selbst zurückzukommen. Es war ein Weg, mein Gefühl für mich selbst zurückzugewinnen. Und mir selbst zu beweisen, dass ich das kann. Es war einerseits schrecklich. Andererseits hat es mich enorm gestärkt.
Chantal Louis, EMMA 1/2005

 

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