Nobody's Doll: „Keine Puppen!“

Die Schauspielerin Anna Brüggemann geht nach vorn. Pünktlich zur Berlinale. Foto: William Minke
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Im Zuge der Metoo-Debatte wurden vermehrt die Rufe nach Gleichberechtigung laut. Ein Aspekt der Gleichberechtigung wird jedoch meines Erachtens seit Jahren stiefmütterlich behandelt. Der Druck, der auf Frauen lastet, noch immer viel zu dünn, makellos und alterslos zu sein.

Wir Schauspielerinnen empfinden uns zwar als moderne, feministisch gesonnene Frauen, sobald es aber auf den roten Teppich geht, scheinen wir das vergessen zu müssen. Die Gleichberechtigung ist auf dem roten Teppich noch nicht angekommen. Im Gegenteil, das Frauen- und auch Männerbild, das bei Festivaleröffnungen, Premieren und Preisverleihungen erwartet wird, kommt mir vor wie aus den fünfziger Jahren.

Die Frauen zwängen sich in enge Röcke, zeigen Dekolleté, balancieren auf sehr hohen, sehr dünnen Absätzen, und die Männer versuchen, möglichst markant und nonchalant ihre Bodys zu präsentieren. Wer einmal den Unterschied zwischen einem Abend im schützenden Sakko und Sneakern oder leichtem Kleidchen und High Heels am eigenen Leib erlebt hat, weiß, wovon ich spreche.

Wir Frauen tun nach wie vor Dinge, die unbequem für uns sind, unpraktisch, Dinge, von denen wir glauben, dass wir sie machen müssen, um dem unsichtbaren Dritten zu gefallen. Dieser ­unsichtbare Dritte ist nach wie vor ein Mann.

Wir überlassen noch immer die Definitionsmacht, was als attraktiv gilt, dem patriarchalisch geprägten Blick, der inzwischen geschlechterübergreifend ist. Dabei sind wir doch eigentlich schon alle weiter. Aber für uns und für alle, die sich Bilder von den roten Teppichen dieser Welt anschauen und daraus folgern, was als ­attraktiv gilt, sollte das auch endlich visuell rüberkommen.

Attraktiv ist nämlich, was eine Frau macht. Nicht, was man mit ihr machen kann. Interessant sind die Wege, die wir ­gehen, und nicht eine zur Statue erstarrte Person, die man sich ins Regal stellen kann.

Wir sind Künstlerinnen und keine Puppen. Nobody’s Doll. Das hier ist kein Aufruf, in Sack und Asche zu gehen. Im Gegenteil. Ich mag Mode. Ich mag schöne Frauen. Ich mag schöne Männer. Ich mag, wenn ich selber schön bin. Das hier ist ein Aufruf, die eigene Schönheit zum Leuchten zu bringen und sie nicht durch reale oder eingebildete Zwänge einzukerkern. Das geht aber nur, wenn wir das Spektrum öffnen. Fühlen wir uns zum Beispiel wirklich alle in High Heels wohl? Und muss eine Frau immer geschminkt sein? Gibt es wirklich nur eine Sorte Mann, den wir in Filmen sehen wollen?

Wenn eine Schauspielerin bei der Berlinale vor allem Filme gucken und interessante Gespräche führen will, und weder Zeit noch Lust hat, sich aufwendig um ihr Styling zu kümmern, dann sollte das genauso interessant sein, wie wenn sie auf drei Partys in drei Outfits steht. Vielleicht sogar interessanter.

Die Frauen, denen ich im Vorfeld von meinem Vorhaben erzählt habe, atmeten ­erleichtert auf und sagten: „Das wird auch Zeit.“ Bei Männern war die Reaktion ­unterschiedlich. Andere verstanden das ­Bedürfnis nach einem eindeutigen Zeichen nicht: „Zieh’ dich doch einfach anders an.“

Natürlich, kein Problem. Dann bin ich eben die lustige Anna, die immer ein bisschen anders rumläuft. Dann ist das mein kleiner, persönlicher Tick. Mir geht es aber um das Ganze. Mir geht es darum, was bei einer Frau (und auch bei einem Mann) als attraktiv gilt. Und das betrifft nicht nur mich, das betrifft auch meine Kolleginnen, Kollegen, das betrifft eine Ärztin in Amsterdam genauso wie einen Teenager in Warschau. Das betrifft uns Frauen. Und damit auch die Männer.

Wir werden ab dieser Berlinale das Spek­trum dessen, was man auf dem roten Teppich anziehen „darf“, öffnen. In jede Richtung. Wir werden übertreiben und untertreiben. Und wir freuen uns über alle, die mitmachen. Wir freuen uns über alle, die den Hashtag benutzen, den Button tragen, die für sich selber definieren, wie sie oder er attraktiv sein wollen. Wir werden Spaß haben. Und zwar ab jetzt für immer.

Holt euch die Definitionsmacht zurück. Wir sind viele, wir sind klug, wir haben keine Angst und wir sind #NobodysDoll.

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