Anna Schubert: Für die Würde der Tiere
Gerade hat das Landgericht Oldenburg Anna Schubert zu Schadensersatz verurteilt. Sie und ihr Mitaktivist Hendrik Hassel von der Tierrechtsorganisation „Animal Rights Watch“ (ARIWA) haben Aufnahmen aus einem „Tierwohl“-Schlachthof verbreitet. Darauf zu sehen sind Schweine, die vor der Schlachtung in einem CO2-Aufzug betäubt worden sind – und darin nicht „sanft entschlafen“ wie die Schlachtindustrie verspricht, sondern 90 Sekunden lang in Todespanik. Diese Videos, so das Gericht, darf Anna Schubert nicht mehr verbreiten. Warum? Weil sie illegal enstanden seien. Das Gericht entschied trotz des Informationsinteresses der Bevölkerung zugunsten des Fleischbetriebes, "da die Filmaufnahmen durch vorsätzlichen Rechtsbruch der Beklagten verschafft worden sind".
Die CO2-Betäubung ist in der EU erlaubt - die Videos zeigen zum ersten Mal den Todeskampf
Die Betäubung der Tiere mit CO2 ist in der EU erlaubt. Etwa 80 Prozent aller Schweine werden in Deutschland so für die Schlachtung vorbereitet, 34 Millionen jedes Jahr. „CO2-Paternoster“ wird dieser Fahrstuhl im Fachjargon genannt – Anna Schubert hat den Kampf gegen ihn aufgenommen. Mit Bildern. Denn die hatte zuvor noch niemand gesehen.
Im Frühjahr 2024 steigt sie nachts in einen Schlachtbetrieb im niedersächsischen Lohne. Blauer Overall, Pressluftflasche auf dem Rücken, Atemschutzmaske vor dem Mund. Mit einem Kletterseil geht es runter in den neun Meter tiefen Schacht, in dem am Tag der Paternoster auf und ab fährt. Die Wände sind vollgekotet, eine Stressfolge, wenn die Schweine ersticken. Die nächtliche Einbrecherin installierte drei Kameras. Einige Nächte später holt sie sie wieder ab – und veröffentlicht die Videos von den Schweinen im Todeskampf. Die ARD-Sendung Plus-Minus sendet sie.
Der Skandal ist da. Der Schlachthof wirbt mit seinem „hohen Tierwohlstandard“, er ist „biozertifiziert“, die Tiere würden „respektvoll“ behandelt, heißt es. Die Betreiber, die Firma Brand Qualitätsfleisch will, dass die Bilder schnellstmöglich wieder verschwinden. Deswegen werden nicht die ARD oder Ariwa verklagt, sondern Anna Schubert und Hendrik Hassel persönlich, wegen „Rufschädigung“. Der Streitwert: 140.000 Euro.
„Man will uns persönlich einschüchtern, damit der Prozess schnell endet"
„Das ist immer die gleiche Methode“, sagt Anna abgeklärt im Gespräch mit EMMA. „Man will uns persönlich einschüchtern, damit es zu einem schnellen Prozess-Ende kommt.“ Slapp heißt diese Methode. Verzicht auf Schadensersatz gegen Unterlassungserklärung und umfassende Entfernung der Bilder.
Aber die Methode greift bei Anna nicht. Die gebürtige Bonnerin, die kurz nach dem Mauerfall in Magdeburg aufgewachsen ist, ist ein alter Hase in Sachen Tierrettung. Sie hat schon unzählige Hühner befreit, hat in Kuhställen gefilmt, in denen die Tiere bis zur Bewegungslosigkeit angebunden waren, war in etlichen Mastbetrieben unterwegs. Immer steht sie mit ihrem Gesicht und Klarnamen für ihre Aktionen ein. Die meisten MitstreiterInnen bleiben lieber anonym.
„Mein Motor ist das Mitleid für die Tiere, ihr Schmerz“, sagt sie. Sensibilisiert wurde sie dafür schon als Kind von ihrem Vater, einem Forscher in der Medizin. Die Mutter war an der Uni Leipzig Althistorikerin. „Mein Vater hat mir Wertschätzung auch für die kleinsten Lebewesen beigebracht. Er war zum Beispiel fasziniert von Ameisen. Insekten wurden bei uns nicht getötet, sondern aus dem Haus getragen“, erzählt Anna. Die Würde von Tieren gehörte in der Familie zur innersten Überzeugung.
In Magdeburg schließt Anna sich einer Tierrechtsgruppe an, sie studiert Landwirtschaft, mit dem Schwerpunkt Umweltauswirkungen. Sie forscht zu einer zukunftsorientierten Landwirtschaft. Doch die ist nicht in Sicht. Also richtet sie ihr Leben auf Tierrechte aus, bringt strukturelle Tierrechtsverstöße in Deutschland in die Öffentlichkeit. Als Freelancerin für Ariwa bestreitet sie ihren Lebensunterhalt.
Anna Schubert will sich nicht einschüchtern lassen. Sie will das das Thema CO2-Betäubung in der Öffentlichkeit halten. Sie will, dass sich endlich was ändert! Über Crowdfunding stemmt sie die Anwaltskosten. Sie hat angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. „Der Prozess kann meinetwegen über Jahre gehen. Wir werden nicht aufgeben. Notfalls ziehen wir vors Bundesverfassungsgericht.“