Anna von Sachsen, die Apothekerin

Kurfürstin Anna von Sachsen (1532-1585) war eine bedeutende Forscherin. - Foto: SLUB/Fotothek
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Medizin, Alchimie und Astrologie – auch für die Wissenschaft findet die Landesherrin noch Zeit. In ihren Labors stellt sie eigenhändig Arzneien her, und die "Neue deutsche Biographie" nennt Anna von Sachsen (1532–1585) die "erste Apothekerin Deutschlands". Als fromme und verantwortungsbewusste "Landesmutter" versorgt sie ihre Untertanen ab 1581 in der Dresdner Hofapotheke unentgeltlich mit ärztlichem Rat und den entsprechenden Heilmitteln. Wo sollten die armen Leute denn sonst hingehen, nachdem die Klöster im Zuge der Reformation ihre Pforten geschlossen hatten?

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Wie bei den Mönchen ist das "Regnum vegetabile", das Pflanzenreich, immer noch die wichtigste Grundlage der Arzneimittelherstellung. Neu hinzugekommen ist die naturwissenschaftliche Neugier, mit der auch Astrologie und Alchimie für die Pflanzenkunde bemüht werden. Insbesondere die Heilkraft der Pflanzen wird mit den Planeten und geheimen Zauberkräften der Elemente in Verbindung gebracht. Annas eifriger Berater auf diesem Gebiet ist Dr. Paul Luther, Sohn des Reformators und einer der kurfürstlichen Leibärzte.

In Annaburg unterhält sie ein geräumiges Laboratorium und das leistungsfähigste ihrer Destillierhäuser. Die Anlage misst "200 Schritt im Geviert" und ist mit Wall und Wassergraben umgeben. An vier großen Öfen wird hier gearbeitet. Eins der Häuser soll so groß wie eine Kirche gewesen sein, mit einer freitragenden Gewölbedecke und vielen Schornsteinen, berichtet ein Augenzeuge, der das Gelände nach dem Dreißigjährigen Krieg besucht hat: "Im Garten ist noch eines, auch etwa von 16 Schornsteinen, welches mit Pfeilern und sehr kostbar aufgebauet gewesen, darinnen die Öfen in der Gestalt von großen Pferden in Lebensgröße gestanden, item Löwen, Affen und ein großmächtiger Adler mit vergüldeten Flügeln, darinnen eine Kapelle gewesen."

In weitläufigen Gewölben werden die unterschiedlichsten Ingredienzen in großen Mengen aufbewahrt. Viele Blüten, Blätter, Früchte und Wurzeln stammen aus den kurfürstlichen Gärten, während die Wildpflanzen von "Kräuterweibern" und Pflanzen-Sammlerinnen aus den Wäldern und Fluss-Auen herbeigeschleppt werden. Alle erdenklichen Pflanzen werden getrocknet, gepresst und gestoßen. In wertvollen Glasgefäßen werden Flüssigkeiten erhitzt, verdampft und wieder kondensiert, wobei das Destillieren als wichtigste Technik gilt, um die nutzlose Materie einer Pflanze von ihrer heilenden Essenz zu trennen.

Aus den Essenzen werden Salben und Heilpflaster gerührt, Liköre aufgesetzt und Sirupe gekocht; Sirup, mit gestoßenem Pulver vermengt, ergibt Latwerge: zum Beispiel Magenlatwerge aus Seelilienwurzeln oder Nüssen; Latwerge aus Rosen, Hagebutten, Quitten oder Holunderbeeren; und Latwerge gegen den Kater, "wenn sich einer etwas mit einem harten übermäßigen Trunk beladen und dann unlustig wird". Daneben entstehen Öle aus Königskerze oder Muskatnuss; Nelken- und Lavendelblütenzucker – das Angebot der Naturmedizin scheint unerschöpflich.

Als Allheilmittel aber gelten die gebrannten Wasser, die "aquae vitae". Ein Branntwein aus Blüten, Blättern und Stengeln der Akelei sei "sonderlich gut für die Krankheit des Herzens oder da der Mensch ohnmächtig oder schwach ist". Auch die Apothekerin selbst trinkt gern ein Schlückchen von ihrem Aquavit zur Stärkung und hat dafür ein zierliches, aus einer Muschel bestehendes Becherchen in ihrem Schreibtisch stehen.

Seit 1556 kümmert Anna sich höchstpersönlich um die Herstellung dieser Spirituosen, und sie wird berühmt für ihre als wahres Lebenselixier geltende Arznei. Erst in ihren letzten Lebensjahren überlässt sie die Branntweinherstellung dem Hofapotheker und den "Wasserbrennern", wobei sie dazu auch Frauen beschäftigt und so mittellosen Witwen zu einem Einkommen verhilft.

Freigebig verschenkt sie den Branntwein in kleinen Glasfläschchen: "Das größte Lager ihres Aquavits hatte die Kurfürstin in Annaburg. Alljährlich zu Neujahr öffnete sie nach hergebrachter Sitte ihre Vorratskeller und versendete viele hundert von Flaschen weißen und gelben Aquavits." Häufig liefert sie die Anweisung, wie die Medizin einzunehmen sei, gleich mit: "Man nimmt die Brosamen von altbackenen Semmeln klein gerieben, thut dazu so viel gestoßenen Zuckerkant oder sonst reinen Zucker, als der Semmel sind, mischet es durcheinander und feuchtet dann die Semmelkrume mit dem aqua vitae an und gebraucht es Abends und Morgens, wenn es die Noth erfordert ungefährlich einer wälsche Nuß groß auf einmal." Nur die Behältnisse erbittet die sparsame Hausfrau zurück, da Glas rar und teuer ist.

Kosmetische Produkte aus ihrem Laboratorium sind Seife und eine "wohlriechende Handsalbe", Zahnseife und Zahnpulver. Großer Beliebtheit erfreuen sich die Duftwässer. Als Körperpflegemittel bringen die "aquae aromaticae" eine angenehme Duftnote in einen Alltag voll übler Gerüche. Die kostbarsten Duftsubstanzen liefern die Blüten und Früchte der Zitrusbäume; von großer Bedeutung sind auch Veilchen und Maiglöckchen. So ergeht zu Beginn jedes Frühjahrs an mehrere Ämter die Order, sie sollen Veilchen und Maiglöckchen, "deren die Kurfürstin in großer Menge zur Arznei bedürfe, so viel sie bekommen könnten, um leidliche Bezahlung verschaffen und frisch in Handkörben verwahrt, in das Destillierhaus nach Dresden zu schicken, auch dafür sorgen, daß sie sonst nirgends hin verkauft würden".

Darüber hinaus aber gelten Duftaromen als medizinisch wirksam. So tragen vornehme Leute als Schutz vor Krankheiten silberne Duftkapseln am Gürtel, und bricht eine Epidemie aus, werden die Zimmer gegen die Ansteckungsgefahr ausgeräuchert. Gegen die Pest, die Sachsen in jenen Jahren häufig heimsucht, ist allerdings kein Kraut gewachsen, und immer wieder fallen Hunderte den unheimlichen Epidemien zum Opfer.

Wenngleich Anna auf dem Gebiet der Medizin Autodidaktin ist, steht sie in dem Ruf, es zu beachtlichem Können gebracht zu haben. Dabei baut sie immer auch auf Erfahrungen anderer auf. Eifrig sammelt sie Rezepturen, lässt sich aber auch von Leuten aus dem Volk beraten und lehnt weder volkstümlichen Aberglauben noch alchimistisches Geheimwissen ab.

Das ist nicht ungefährlich in einer Zeit, in der Frauen leicht in den Verdacht der Hexerei geraten und dafür mit ihrem Leben bezahlen. Nicht einmal drei Monate vor Annas Tod wird eine gewisse Helene Wiedemann vor einem Dresdner Stadttor wegen Zauberei auf dem Scheiterhaufen verbrannt, nachdem sie unter der Folter gestanden hatte, die Zauberkunst von einem Mönch gelernt zu haben. Eine Kurfürstin ist jedoch aufgrund ihrer Machtstellung vor den Konsequenzen solcher Anwürfe geschützt. Sterben aber muss auch sie. Anna kränkelt schon eine Weile, als sie am 1. Oktober 1585 gegen sieben Uhr abends sanft entschläft; es heißt, sie sei "endlich fast in sich selbst verloschen". Scharen von Menschen pilgern nach Dresden, um am Sarg Abschied von ihrer "Landesmutter" zu nehmen.

Danach ist die einflussreiche und auf vielen Gebieten aktive Renaissancefürstin mehr als dreihundert Jahre fast völlig aus der Geschichtsschreibung verschwunden. Allenfalls in der Nebenrolle der Gattin des Kurfürsten August I. taucht sie auf. Es bedurfte erst einiger feministisch inspirierter Forscherinnen unserer Tage, die im Rahmen der historischen Frauenforschung den Spuren der Agrarpionierin Anna von Sachsen nachspüren. Umso erstaunlicher ist, dass die dänische Königstochter und sächsische Kurfürstin 420 Jahre nach ihrem Tod den Menschen zumindest in Sachsen immer noch als "Mutter Anna" im Gedächtnis ist.

Der Text ist ein gekürzter Nachdruck aus "Süchtig nach grün – Gärtnerinnen aus Leidenschaft" von Renate Hücking (Piper).

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