Wie zerrissen sind arabische Männer?

Stefan Zeitz/Imago
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"Habt Ihr das Video auf Facebook gesehen, wie A. M. seine Frau absticht? Ich fand das widerlich – vor allem die Reaktionen darauf. Wie fandet ihr das?“ Mein Co-Trainer schneidet das Thema Sexismus sehr drastisch an.

15 junge arabische Männer sitzen im Stuhlkreis im Raum eines Migranten-Vereins in einer Stadt im Ruhrgebiet. Der Theaterpädagoge Ghiath ­Mitha­wi und ich sollen mit ihnen über „gruppen­bezogene Menschenfeindlichkeit“ diskutieren, in diesem Fall über Sexismus und Rassismus. Wie Mithawi sind viele der Teilnehmer Flüchtlinge aus Syrien, zwei sind in Deutschland geboren. Frauen sind keine gekommen, obwohl sie ein­geladen waren.

Es geht um eine Bluttat, bei der ein vierfacher Familienvater seine getrennt lebende Ehefrau in ihrer Wohnung in Mühlacker bei Pforzheim erstach – mutmaßlich vor den Augen der Kinder. Dabei filmte er sich und schnitt das zusammen mit einer Erklärung, warum er seine Frau getötet hatte. Den Film stellte er auf eine Facebook-Seite für Syrer in Deutschland. Das Echo war enorm: Hunderte sympathisierten mit der Tat und klickten auf den Daumen-hoch-­Knopf. Deutlich weniger drückten in den Kommentaren ihre Abscheu aus.

Auch in unserem Workshop finden sich Verteidiger des Mordes. „Er hat alles Recht dazu. Es ist seine Frau“, sagt ein Sohn libanesischer Eltern. Ich atme tief durch und setze mich erstmal, beobachte. Mein Kollege bleibt ruhig: „Wozu hat er das Recht? Sie zu töten?“ Ja. „Aber sie war nicht mehr seine Frau. Sie wollte die Scheidung.“ Darauf entgegnet der junge Mann: „Sie bleibt seine Frau. Sie hat ihn betrogen. Da hat jeder Mann das Recht zu machen, was er will.“

„Wer ist noch dieser Meinung?“ fragt Mithawi. Drei Männer melden sich. Er spricht ein paar andere an. Die meisten zucken die Achseln oder schütteln zaghaft den Kopf.

Zwei blicken wütend, fast angewidert auf den Verteidiger des Ehrenmords. Es sind die beiden, die uns in der Pause erzählt haben, dass sie in der Demokratiebewegung in Syrien aktiv waren. „Ist sie etwa sein Eigentum?“ bricht es aus einem heraus. „Willst du deine Frau behandeln wie einen Gegenstand?“ Wir brechen die Diskussion ab, als sie eskaliert.

Dies ist nur ein Test für das Rollenspiel am nächsten Tag. Vor dem Workshop hat Mithawi mir erklärt, dass unser wichtigstes Thema zum Komplex Sexismus die Scheidung sein sollte. „Darüber reden die Männer ständig. Da flippen sie aus.“ Für das Rollenspiel ist es wichtig, die richtigen Leute auszuwählen. Das Thema ist so heikel, dass die Stimmung in die falsche Richtung kippen könnte.

Das Meinungsbild haben wir: Vier sind pro Mord, vier sind Contra – zwei davon macht diese Frauenverachtung sehr wütend. Sie werden die Zeit nutzen, um sich gute Argumente zu überlegen. Denn sie wollen genauso wie wir den unentschiedenen Rest gewinnen: Die sieben Leute, die in der Runde Sätze sagen wie: „In Syrien hat er ein Recht dazu. Aber wir müssen uns an die Gesetze in Deutschland halten.“

Durch die arabischen Gesellschaften geht ein Riss. Während sich Demokratie-Aktivistinnen und -Aktivisten in den Revolutionen gegen autoritäre Strukturen und für Gleichberechtigung eingesetzt haben, verharrt ein Großteil der Gesellschaft im traditionellen Denken. Islamisten mahnen Zweifler, sie vergingen sich gegen Gott, wenn sie Frauen gleiche Rechte in Ehe und Familie zugestehen.

In Syrien ist Ehrenmord erst seit 2009 strafbar – allerdings liegt die Mindeststrafe bei nur zwei Jahren. Vorher konnte der Richter den Angeklagten freisprechen, wenn bewiesen war, dass die Frau tatsächlich Sex vor der Ehe oder ihren Ehemann hintergangen hatte.

„Das Gesetz wurde zwar geändert, aber der Staat hat nie etwas getan, um die Praxis einzudämmen“, berichtet der Menschenrechtsaktivist Hussein Ghrer. Auch er arbeitet in unserem ­Projekt, gibt Workshops zu Demokratie und Rassismus für Flüchtlinge. Er hatte schon vor der Revolution in der politischen Opposition zu Frauenthemen gearbeitet. „Bei einer Kampagne gegen Ehrenmorde wurden wir von den Islamisten als Ungläubige beschimpft“, erzählt er.

Die untergeordnete Rolle der Frau ist für ihn das Kernproblem der arabischen Gesellschaften. Deutlich zu spüren bekam er das im Gefängnis. Als Oppositioneller wurde er mit vielen Islamisten zusammengesperrt. „Sie haben akzeptiert, dass ich säkular bin. Ich konnte sogar sagen, dass ich nicht an Gott glaube. Aber wenn ich die Gleichberechtigung der Frau verteidigt habe, wurden sie wütend.“

Hier in Deutschland angekommen, empfinden die Männer einen totalen Kontrollverlust. „Sie sind nicht mehr der starke Mann. Sie verdienen kein Geld. Oft sind die Frauen auch noch besser beim Deutschlernen. Alle kriegen Geld vom Job-Center, Frauen wie Männer. Auf einmal sind die Frauen gleich und müssen nicht mehr gehorchen“, erläutert Mithawi. „Viele Frauen merken das schnell und machen nun ihr eigenes Ding.“

In Facebook-Gruppen, wo syrische Flüchtlinge diskutieren, ist die Rolle der Frau ein Dauerthema. „Sie klagen, die Syrerinnen würden wie die Deutschen“, erzählt Mithawi.

Auch sexuelle Frustration spielt eine Rolle. „Es ist sehr schwer für Flüchtlinge, eine Frau zu finden. Erstmal sind weniger Frauen als Männer gekommen. Die Frauen, die ohne Mann kamen oder sich nun scheiden lassen, suchen sich andere Männer, oft Araber, die schon länger hier sind. Die haben einen höheren Status, Job und Geld. Vor allem sind sie nicht so konservativ und lassen der Frau mehr Freiheiten“, erklärt Mithawi.

Sind Kinder da, droht ein weiterer Gesichtsverlust für den Mann. In seinem Bekennervideo hatte der Mörder von Mühlacker mehrfach wiederholt, er habe das nur getan, um mit seinem Sohn zusammen zu leben. „Es gilt als Schande, die Kinder bei einem Stiefvater aufwachsen zu lassen“, erläutert Ghrer.

In unserem Workshop wählt Mithawi am nächsten Tag einen der Demokratie-Aktivisten für das Rollenspiel. Er soll eine Frau spielen, die sich scheiden lassen will. Den Mann spielt einer, der den Mord von Mühlacker verteidigt hatte.

Danach wird diskutiert. Hat die Frau nicht gute Argumente gebracht? Dem stimmen viele zu. „Er hat sie nicht gut behandelt. Er sollte sich ändern“, sagt einer. Der Trainer hält dagegen: „Aber was, wenn sie ihn einfach nicht mehr will. Sie liebt jetzt einen anderen.“ Viele wiegen unwillig den Kopf. Der Darsteller des Mannes lacht auf: „Nein, das geht nicht. Sie kann nicht einen anderen lieben.“

Ich würde jetzt fragen, warum denn nicht. Aber Ghiath fragt den Jüngsten im Raum, einen 16-Jährigen: „Was passiert denn, wenn der Mann eine andere liebt?“ Der Junge zuckt mit den Achseln und sagt: „Dann heiratet er sie auch.“ Der Trainer nickt und wiederholt: „Genau so ist das. Er heiratet sie auch.“ Sein Blick wandert von einem zum anderen. Er fragt: „Ist das fair?“ Alle schweigen.

Dann reden die beiden Demokratie-Aktivisten. Es ist eine kleine politische Ansprache: „Wir haben die Revolution gemacht, damit auch Frauen gleiche Rechte bekommen.“ Viele nicken.

In der Abschlussrunde sagen die meisten, dass die beiden Revolutionsaktivisten Recht haben: „Ja, wir wollten gleich Rechte für alle.“ Der Darsteller des Ehemannes, der am Tag zuvor noch so überzeugt vom Ehrenmord war, lächelt unsicher. „Naja, ich werde mal drüber nachdenken.“ Der 16-Jährige sagt: „Ich habe viel gelernt. Ich kämpfe mit meinen Gedanken.“ Ein Anfang.

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