Aufstand für Frieden & die Medien

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BERLINER ZEITUNG Über die Teilnehmerzahl beim Aufstand für Frieden wird gestritten. Fest steht: Es waren sehr, sehr viele. Jeder, der vor Ort war, und jeder, der in Mitte oder Tiergarten unterwegs war, hat es erlebt: Der Zustrom zur Kundgebung am Brandenburger Tor war endlos. Die Polizei musste den abgesperrten Bereich erweitern und Menschenmas­sen großflächig umleiten – wegen Überfüllung. Der S- und U-Bahnhof Brandenburger Tor wurde zeitweise gesperrt. Die Züge hielten dort nicht mehr. Wer Zeitungen, Flugblätter oder Hochhalteschilder austeilte, stand schnell mit leeren Händen da. Vormittags waren alle Regionalzüge nach Berlin brechend voll. Und noch Stunden nach der Kundgebung dräng­ten sich Rückreisende im Bahnhof Friedrichstraße. Dazu kamen die vielen Reisebusse, die von lokalen Friedensinitiativen, Gewerkschaftern und Kreisverbänden der Linken organisiert worden waren. Basierend auf Ordner­aussagen, Foto- und Videomaterial waren es 50.000 Teilnehmer und damit deutlich mehr als die angemeldeten 10.000.

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Offenbar hat die Teilnahme Zehntausender an unserer Kundgebung einigen Medien-Vertretern einen regel­rechten Schock versetzt. Und dass alles friedlich blieb und das Bild der Kund­gebung von ganz normalen friedliebenden Menschen, von teilweise weit angereisten, Paaren und Familien mit Kindern dominiert war und nicht etwa, wie von einigen Medien und politischen Gegnern herbeigesehnt, von Querfront, AfD & Co., machte es für sie offenbar noch unerträglicher. Anders kann ich mir den Versuch, die Veranstaltung kleinzuschreiben, nicht erklären.

Die angebliche massenhafte Mobilisierung von Rechten zur Kundgebung, in manchen Medien in der offensichtlichen Absicht herbeigeschrieben, Menschen von der Teilnahme abzuhalten, hat sich als Mumpitz erwiesen.

Die unglaublichen und sehr persönlichen Entgleisungen in einigen Medien gegen Wagenknecht („schwarzes Herz“, „von Putin bezahlt“, „Gefahr für die Demokratie“) und – etwas abgeschwächt – gegen Schwarzer gingen auch nach der Kundgebung und trotz ihres guten Verlaufs weiter. Solche Kampagnen sind gefährlich. Nicht nur für die Betroffenen, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Sie sollten deshalb dringend Anlass für eine Debatte über die Diskussionskultur in Deutschland geben. ALEXANDER KING, ABGEORDNETER DER LINKSPARTEI, IN DER BERLINER ZEITUNG

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DER FREITAG

Zwei Tage nach der „Manifest für Frieden“-Kundgebung in Berlin ließ die Redaktion des ARD-Politmagazins Fakt einen Praktikanten alle Erstunterzeichner der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Manifest-Petition anschreiben: „Auf dem Hintergrund unserer Recherche“, heißt es darin wörtlich, „und mit der Kenntnis, was über die Veranstaltung jetzt bekannt wird, würden Sie das ,Manifest für Frieden‘ erneut unterzeichnen? Wenn ja, warum? Wenn Sie sich anders entscheiden würden, können Sie uns die Gründe dafür nennen?“ (…) Nur „eine kleine laute Minderheit“ sei da in Berlin am 25. Februar zusammengekommen, sagte Ralf Fücks, Geschäftsführer der staatlich geförder­ten Denkfabrik „Zentrum liberale Moderne“. Dessen Ukraine-Solidaritätskundgebung tags zuvor unter dem Motto „Das Ungeheuerliche nicht hinnehmen“ kam medial weitaus besser weg. Indessen war die von Wagen­knecht und Schwarzer mobilisierte mutmaßliche Minderheit so klein nicht. Die von der Polizei angegebene Teilneh­merzahl war mit 13.000 augenscheinlich viel zu gering bemessen.

Zu sehen sind auf der Straße des 17. Juni vor allem über 50-Jährige, unauffällig bis bunt Gekleidete, dem Anschein nach eher untere als obere Mittelschicht. Sie haben besorgte Gesichter, tragen Rucksäcke über Thermojacken und frieren im Schneeregen. (…)

Obwohl die feuchte Kälte in die Knochen zieht, harren die Demonstrierenden aus, einige mit zu Transparenten umfunktionierten Schirmen. Ein junger Elektriker im roten Arbeitsanzug steht dicht bei seinem Vater oder Chef. Ein Ehepaar Anfang 60 in den hinteren Reihen, weiter weg vom Brandenburger Tor, ist aus Hannover angereist.

Andernorts steht eine Familie – Mutter, Oma, Schwiegersohn – am mit Schlammspritzern verzierten Kinderwagen. Ob sie mit der Presse reden? Zögern. Vorsichtiges Nicken. Warum sind sie gekommen? „Um für den Frieden zu demonstrieren“, so die Frau. Die negative Berichterstattung hält sie nicht ab? „Ich überprüfe lieber selbst, ob da was dran ist“, sagt sie, „und was heißt schon Nazi? Kann jemand, der gegen den Krieg ist, wirklich rechtsextrem sein?“ DER FREITAG, KATHARINA KÖRTING, SEBASTIAN PUSCHNER

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NEUE ZÜRICHER ZEITUNG

Der sonst besonnene Politikwissenschafter Herfried Münkler ordnete die Petition von Schwarzer und Wagenknecht gar als „verlogen“, „kenntnisloses Dahergerede“ und „gewissenlos“ ein, und seine Äußerungen gipfelten im Vorwurf der „Komplizenschaft mit dem Aggressor“ Putin. Der Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo spottete mit Blick auf die bevorstehende Demonstration über „Friedensschwurbler“, die hauptsächlich Frieden mit sich selbst suchten. Er unterstellte einer angeblich von Antiamerikanismus zusammengehaltenen „Querfront“ einen spezifisch deutschen Ukraine-Hass. Man fragt sich, woher diese überschießende, unter die Gürtellinie zielende Rhetorik kommt. Natürlich, es geht um Krieg und Frieden in Europa. Und Angriffsflächen für Kritik gibt es in der Petition von Schwarzer und Wagenknecht reichlich; dazu gleich mehr. Aber Moralisierung und Pathologisierung sind von allen Mög­lichkeiten, darauf zu reagieren, wohl die schlechtesten. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa stimmt immerhin eine relative Mehr­heit von 39 Prozent der Deutschen den im Manifest erhobenen Forderungen ganz oder „eher“ zu. 38 Prozent widersprechen.

Es gibt eine deutsche Putin-Bewunderung und einen deutschen Antiamerikanismus, keine Frage. Allein, beides erklärt nicht die hohen Zustimmungs­werte für das Manifest – die Furcht vor Eskalation, im schlimmsten Fall hin zu einem Atomkrieg, und die Absicht, das Sterben und Leiden zu beenden, erklären sie schon eher.

Glaubt man dem im Auftrag der ARD erhobenen „Deutschlandtrend“, dann macht sich eine wachsende Zahl von Bundesbürgern große oder sehr große Sorgen, „dass Deutschland direkt in den Krieg hineingezogen werden könnte“. Immerhin 59 Prozent sind die­ser Auffassung. 58 Prozent der Befragten gehen die diplomatischen Bemühungen um ein Ende des Krieges nicht weit genug. Die Erstunterzeichner von Wagenknechts Manifest sind ein Potpourri aus Sängern, Akademikern und ehemaligen Politikern.

Tatsächlich geht es vielen Kritikern wohl darum, den auf die Straße getragenen Dissens zum Schweigen zu bringen. NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, OLIVER MAKSAN

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FAKT

Antwort von Romani Rose auf die Anfrage der Fakt-RedaktionFakt: Auf dem Hintergrund unserer Recherche und mit der Kenntnis, was über die Veranstaltung jetzt bekannt wird, würden Sie das „Manifest für Frieden“ erneut unterzeichnen? Wenn ja, warum? Wenn Sie sich anders entscheiden würden, können Sie uns die Gründe dafür nennen? Romani Rose: Ja, ich würde das Manifest wieder unterzeichnen. Dass Demonstra­tionen immer wieder von Teilnehmern aus dem rechts- oder linksextremen Milieu missbraucht werden, um sich selbst zu profilieren, ist bekannt und lässt sich nicht in Gänze verhindern. Sich nur auf diesen Aspekt zu konzentrieren, halte ich für unredlich. Es lenkt von den Inhalten und dem Anliegen des „Manifests für den Frieden“ ab: Nämlich alle diplomatischen Anstrengungen auf ein Ende des Blutvergießens zu konzentrieren! Die Spirale der Gewalt muss beendet werden. Öffentlich muss viel mehr über Friedensverhandlungen gesprochen werden und diese Initiative muss von der Bundesregierung ausgehen. Dafür stehe ich ein. Und von mir – vor dem Hintergrund meiner Biografie – ein Bekenntnis gegen rechts zu fordern, ist schon eine ziemliche Unverfrorenheit. Fakt: Können Sie uns die Details der Unter­zeichnung kurz schildern: Wer hat Sie in welcher Form angesprochen, welche Kenntnisse hatten Sie von den Initiatorin­nen, welchen Zeitrahmen gab es usw.? Rose: Frau Schwarzer, die ich aus der gemeinsamen politischen Arbeit und als engagierte Bürgerrechtlerin sehr schätze, hat mich persönlich angespro­chen und gebeten, das „Manifest für den Frieden“ zu unterzeichnen. Es war mir schon vorher ein Anliegen, in dieser Frage eine Position zu beziehen und ich bin Frau Schwarzer und Frau Wagenknecht sehr dankbar für ihre Initiative, die ich aus voller Überzeugung unterstützt habe.

ROMANI ROSE IST SEIT 1982 DER VORSITZENDE DES „ZENTRALRATS DEUTSCHER SINTI UND ROMA“.

Antworten anderer ErstunterzeicherInnen des Manifests auf die Fragen von FAKT.

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