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Ein Jahr nach Beginn des russischen Überfalls steht die deutsche Quer­front gegen die Ukraine fester als je zuvor. Ob als Vulgärpazifisten, Rechts- oder Linksnationalisten, Putin-Fans, Russland-Romantiker, Illiberale, Pro­pagandaopfer, Verschwörungstheore­tiker oder schlicht Realitätsaverse. (…) Die deutsche Querfront verlangt von Ukrainer*innen nichts anderes, als sich endlich in die faschistische Herr­schaft zu fügen, damit man in Deutschland ungestört weitermachen kann, mit was auch immer. Ukrainophobie hat passenderweise bisher keinen deutschen Wikipediaeintrag (16 andere Sprachen sind da weiter), aber diese sehr deutsche, weil selbst­gerechte Form des Ukrainehasses, verbunden mit klassischer, ebenso deutscher Weltegozentrik wird am Samstag, dem 25. Februar ihr Hochamt feiern. In Form einer Demonstration von den Leuten des „Manifestes für Frieden“ in Berlin, am Brandenburger Tor, initiiert von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. Wie passend, dass Querfront-Ikone Wagenknecht große Schwierigkeiten damit hat, sich gegen Rechte und Rechtsradikale abzugrenzen und stattdessen explizit sagt: „Jeder ist willkommen, der für Frieden demonstrieren möchte.“ Denn dadurch wird auch die Kommunika­tion der deutschen Querfront für Putin entlarvt als das, was sie ist: Faschis­mus-Verharmlosung, Faschismus-Veregalung, Faschismus-Appeasement, reitend auf einer Welle aus Propagandalügen, Selbstbetroffen- und besof­fenheit sowie Täter-Opfer-Umkehr. Ungerührt und kalt vorgetragen auf Kosten der Menschen in der Ukraine. DER SPIEGEL, SASCHA LOBO*, 22.2.2023* Transparenzhinweis: Der Autor war 2022 „The Sexist Man Alive“ von EMMA.

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Die Debattenkultur in Deutschland ist spätestens seit der Coronapan­demie schwer zu ertragen. Es gibt eine Lust am Fertigmachen, am Verleum­den, am verbalen Vernichten des anderen, eine ins Persönliche gehende Bösartigkeit, die für eine Gesellschaft, die sich als pluralistisch versteht, bedrohlich und beängsti­gend ist. Jüngstes Beispiel sind die Reaktionen auf das „Manifest für Frie­den“ der Feministin Alice Schwarzer und der Linken Sahra Wagenknecht. Dass ihre Forderung, sich im Krieg zwischen Russland und der Ukraine für einen Waffenstillstand und Ver­handlungen einzusetzen, „naiv“ sei, gehört noch zu den freundlicheren Kritikpunkten. In anderen Reaktionen zeigt sich offener Hass und eine brachiale Häme, der durchaus frauenfeindlich gegen die Initiatorinnen konnotiert ist. Es wirkt wie eine moderne Hexenjagd. Als „obszön“ und „amoralisch“ bezeichnete Jan Feddersen von der taz die Initiative, Schwarzer habe „ihr Lebenswerk rui­niert“. Als „gewissenslos“ der Politik­wissenschaftler Herfried Münkler, die Grüne Katrin Göring-Eckardt nannte es unehrlich“. Das Anliegen von Schwar­zer und Wagenknecht wird in der Öffentlichkeit bewusst verzerrt und den Frauen eine prorussische Agenda unterstellt.

Deshalb bin ich froh, dass Schwar­zer mit Wagenknecht die Resolution angestoßen hat und dass sie so einem Teil der Bevölkerung eine Stimme ver­leihen. Viele Menschen sehen den Krieg nach einem Jahr viel skeptischer, als es die öffentlichen Debatten ver­muten lassen.

Es sagt viel über die Veränderung des Meinungsklimas aus, wenn die Forderung nach Frieden plötzlich als unmoralisch gilt und das Reden vom Krieg als moralisch. Schwarzer und Wagenknecht wird vorgeworfen, sie würden Täter-Opfer-Umkehr betrei­ben, weil sie nicht eindeutig den Aggressor nennen. Aber das stimmt nicht, das tun die Autorinnen sehr wohl in der Petition – und auch in Interviews. Aber selbst, wenn sie Putin als Verbrecher bezeichnen, wird ihnen nicht geglaubt, sondern unter­stellt, sie würden nur so tun als ob.

DER SPIEGEL, SABINE RENNEFANZ, 23.2.2023

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Der Kampf um die Deutungshoheit beschränkt sich nicht auf die politische Kernbotschaft. Die Teilneh­mer? „Keine parteigebundene Stim­mung, keine Sektenstimmung“, sagte Schwarzer hinterher. „Da waren ein­fach Menschen aus der Mitte der Ge­sellschaft, die aus allen Ecken Deutschlands angereist waren, um ein

Zeichen zu setzen.“ Dabei mischte sich die Menge aus denselben Milieus wie die „Querdenker“-Demos. Rechts­extreme? Natürlich könne sie nicht ausschließen, dass einzelne da gewe­sen seien, es könne sich dabei aber nur um eine verschwindende Minder­heit gehandelt haben, sagte Schwarzer. Sie habe keine gesehen. Dabei waren zahlreiche und auch durchaus bekannte Rechtsextreme vor Ort kaum zu übersehen. DER SPIEGEL, ANN-KATRIN MÜLLER, GUIDO MINGELS, TIMO LEHMANN, MALTE GÖBEL, MITSUO IWAMOTO, 25.2.2023

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Auch Alice Schwarzer behauptete, „ihr gesamtes Engagement“ sei „sozu­sagen links“, und es sei absurd, sie auf­zufordern, sich von rechts zu distan­zieren. Dieselbe Alice Schwarzer, die spätestens seit der Kölner Silvesternacht von 2015/2016 Feminismus vor allem durch Rassismus ersetzt zu haben scheint. DER SPIEGEL, CHRISTIAN STÖCKER, 26.2.2023

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Die Spitze der Linkspartei hatte sich bereits im Vorfeld von der Veranstaltung Schwarzers und Wagen­knechts distanziert. Die Kundgebung sei nicht mit der Partei abgesprochen gewesen, sagte die Vorsitzende Janine Wissler. Sie hatte Wagenknecht zudem ermahnt, sich klar von Rechts­radikalen abzugrenzen. Während die Linke im offenen Streit ist, herrscht bei den Ampelparteien Erleichterung, dass die Kundgebung kleiner ausfiel als erwartet. Die Empörung über die mangelnde Abgrenzung nach rechts ist am Tag danach aber groß. SPD-Chefin Saskia Esken sagte im ZDF, es fehle ihr das Verständnis, wenn man gemeinsam mit Rechtsaußen und Russlandfahnen demonstriere. Das spiele einzig Wladimir Putin in die Hände. „Rechtsextreme, Holocaust-Leugner und Unterstützer Russlands waren auf Schwarzers und Wagen­knechts Demonstration. Das ist schlimm und schadet Deutschland. Nichts, was sich vor dem Brandenburger Tor abgespielt hat, hilft der Ukraine“, teilte SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast mit. Grü­nenfraktionschefin Britta Haßelmann sagte, auch Demonstrierende aus der rechten Szene und Verschwörungs­ideologen seien dem Aufruf zur Teil­nahme gefolgt. Diesen Menschen bereite Wagenknecht „in voller Absicht eine Bühne“. Das sei ein „durchschau­bares, gefährliches Spiel“. Danyal Bayaz, grüner Finanzminister in Baden-Württemberg, bezeichnete die Kundgebung als „hässliche Fratze Deutschlands“ und „eine Schande für unser Land“. „Während Russland in der Ukraine Städte mit Raketen beschießt und täg­lich Menschen tötet, unterstützen diese Demonstranten Putins Propa­ganda“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem Spiegel. „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Ukraine und von allen Menschen, die sich für die Freiheit engagieren. Das ist beschämend.“

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Bundeskanzler Olaf Scholz, derzeit zu Besuch in Indien, hatte den Inhalt von Wagenknecht und Schwarzers Aufruf bereits im Vorfeld zurückgewiesen, Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte Wagenknecht und Schwarzer „politische Irreführung der Bevölkerung“ attestiert. Finanzminis­ter Christian Lindner (FDP) warf den beiden Initiatorinnen vor, den russi­schen Angriff zu verharmlosen. „Wer der Ukraine nicht zur Seite steht, steht auf der falschen Seite der Geschichte.“ DER SPIEGEL, ANNA REIMANN, 27.2.2023

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Ich weiß, das Lied von Pippi Lang­strumpf wird oft bemüht, aber ich musste daran denken, als ich die lächelnden Gesichter der derzeit bekanntesten deutschen Friedensbewegten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sah, die am Wochen­ende zu ihrer Kundgebung „Aufstand für Frieden“ gerufen haben. „Ich mach’ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt“, heißt es ja bei Pippi. Warum dieses Lächeln, während Millionen Menschen gerade erst, tags zuvor, ein Jahr Krieg und unzählige Tote betrau­ert haben? Der Verlust von Häusern, Arbeit, Sicherheit und Ordnung, ihrer ganzen Existenz beweint haben? DER SPIEGEL, ÖZLEM TOPÇU, 27.2.2023

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