Alice Schwarzer schreibt

Grüne Menschenhändler?

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14. Februar. Nach drei Wochen Schweigen beugt sich der Minister dem steigenden Druck der Medien. Er erklärt: „Es gilt das Prinzip der Ministerverantwortung, und ich stehe hinter meinen Mitarbeitern.“ – Die Überraschung ist nicht groß. Denn schließlich ist es selbstverständlich, dass ein Minister für das, was er selber angeordnet hat, und was jahrelang in seinem Ministerium passierte, verantwortlich ist. Und in diesem Falle stellt sich auch die Frage, ob der Minister wirklich hinter seinen Mitarbeitern steht – oder davor.

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Es ist der von Außenminister Fischer veranlassten Anweisung des damaligen Staatsministers Volmer zu verdanken, dass Menschenhändler und Schleuser hunderttausende von „weißen Sklavinnen“ und Arbeitssklaven nach Deutschland verfrachten konnten – und das, obwohl DiplomatInnen ab Dezember 1999 bis Oktober 2004 zahllose Hilferufe an die Berliner Zentrale geschickt und auf die skandalösen Folgen des Erlasses aufmerksam gemacht hatten. Ja, noch nicht einmal die Warnung des Bundeskriminalamtes (BKA) 2001 vor der dadurch quasi unbegrenzt möglichen Förderung einer „modernen Form der Sklaverei“ (mit Zwangsprostituierten) wurde erhört.

Erst nach über fünf Jahren scheinen die Medien begriffen zu haben, was da seit 1999 lief und veröffentlichte der Spiegel die Etappen der skandalösen Chronik („Grünes Licht für Menschenhändler“, 6/2005). Der ist zu entnehmen, dass da nicht etwa nur Missstände nicht rechtzeitig gestoppt wurden, was gereicht hätte, sondern dass die Direktive „im Zweifel für die Reisefreiheit“ die Möglichkeit zum Missbrauch in dem Ausmaß überhaupt erst geschaffen hatte. Und, das ist das Erschreckendste, dass die Hilferufe aus den Botschaften in Berlin nicht nur überhört, sondern einschüchternd gestoppt wurden. Die Verluderung im Namen der „Weltoffenheit“ ging so weit, dass die Botschaften sich regelrecht genötigt sahen, mit Betrügern und Menschenhändlern zusammen zu arbeiten.

Im Februar 2004 gewährte der Kölner Richter Ulrich Höppner bei der Verurteilung eines russischstämmigen Menschenhändlers dem Täter Straferlass mit der Begründung, das Außenministerium habe „durch sein Fehlverhalten“ dem Verbrechen Vorschub geleistet. Der Richter bezeichnete den Fischer/Volmer-Erlass als einen „kalten Putsch gegen die bestehende Gesetzeslage“, also gegen geltendes Ausländerrecht.

Als der Skandal Anfang des Jahres endlich öffentlich wurde und die Union die Berufung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses durchsetzte, wurde das Ganze von den einig Grünen erst einmal runtergespielt wie gewohnt. Von einer „infamen, rein parteipolitisch motivierten Stimmungsmache gegenüber den Grünen“, sprach Parteichefin Claudia Roth. Von einer „Kampagne“, die „an gewerbsmäßige Verleumdung“ grenze, ihr Kollege Reinhard Bütikofer. Und Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke geißelte gar die „Bluthund-Mentalität“ des CSU-Abgeordneten Hans-Peter Uhe, Experte im Ausländerrecht, und Vorsitzender des Untersuchungsausschusses.

Die selbstgerechte Reaktion ist den Grünen nicht anzukreiden, ist sie doch quasi Gewohnheitsrecht. Denn bisher klagte die Grünenklientel noch nie ein, dass die gewaltige Kluft zwischen dem, was die grüne Partei sagt und dem, was sie tut, erklärt wird. Die ökologische Nachfolgepartei der FDP hat sich darauf verlassen können, von ihren AnhängerInnen als Statthalter der politischen Moral gewählt zu werden – egal wie unmoralisch sie selber in Wahrheit ist.

Es war den pazifistischen Grünen zu verdanken, dass Deutschland 1999 erstmals wieder in den Krieg zog: in den Kososvo, „um ein zweites Auschwitz zu verhindern“ (Fischer). Es geht vor allem auf das grüne Konto, dass Rotgrün seit Regierungsantritt 1998 die islamistische Gefahr fahrlässig unterschätzt hat und mit ihrer so großzügigen Asylvergabe, auch an in ihren Heimatländern als Mörder gesuchte islamistische Führer, Deutschland zur „europäischen Drehscheibe des islamistischen Terrorismus“ werden konnte. Und es ist vor allem den Grünen (und der willfährigen SPD) zu verdanken, dass Prostitution heute in Deutschland kein Verstoß gegen die Menschenwürde, sondern ein „Beruf wie jeder andere“ ist; Freiertum kein Kavaliersdelikt, sondern cool; und Zuhälter keine Verbrecher, sondern Geschäftspartner. Nicht überraschend also, dass die Erschütterung über die Förderung von Zwangsprostitution sich bei den Grünen in Grenzen zu halten scheint.

Sicher, auch dem SPD-Innenminister war seit langem klar, welche Gefahr in der grünen Visa-Praxis für Deutschland lag. Schily artikulierte seine Warnungen jedoch nur intern und ließ sich rasch vom Kanzler zurückpfeifen. Schließlich ist der Machterhalt für Rotgrün abhängig von dem grünen Koalitionspartner – und ist Fischer, grünenintern „Gottvater“ genannt, das dickste Pfund der Grünen. Prompt erklärte der Kanzler also nach Fischers mattem Statement, der Außenminister habe sein „volles Vertrauen“ und „die volle Unterstützung der gesamten Koalition“. Die rotgrünen Reihen schließen sich.

Joschka Fischer, der Metzgersohn, Taxifahrer und einst gegen den „Bullenstaat“ fightende Sponti, ist einen steilen Weg gegangen und auch darum heute als Außenminister der Deutschen liebster Politiker. Bis jetzt. Sollten die Grünen und ihr Gottvater nun auch noch diesen Skandal unbeschadet und unbelehrt überstehen – dann ist nicht nur an ihrer Demokratiefähigkeit, sondern auch am Verstand ihrer WählerInnen zu zweifeln.

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