Ausstellung: Diane Arbus in Berlin

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Die Ausstellung der Fotografien von Diane Arbus wurde in Paris konzipiert und tourt zurzeit durch Europa. Jetzt ist sie in Berlin zu sehen. Und sie lohnt sich. Denn diese Retrospektive der bis heute wohl stilprägendsten Fotografin versammelt nicht nur die bekannten Bilder, sondern auch Fotos, die bislang noch nie gezeigt wurden. Die rund 200 Fotografien ermöglichen einen tiefen Einblick in das Werk und seine Entstehungsgeschichte. Und dazu gibt es jede Menge Biografisches zu sehen: von Tagebüchern über Abbildungen ihrer Pinnwände bis hin zum Arbeitswerkzeug. Das Werden von Diane Arbus, deren Werk bis heute einzigartig ist und unsere ästhetischen Maßstäbe in der Fotografie, ja unser Sehen verändert hat, kann in dieser ­Ausstellung also genau studiert werden.

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1923 wird Diane Nemerov als zweite Tochter von Gertrude und David Nemerov in New York geboren. Ihr Vater ist Direktor von „Russek’s“, einem der führenden Pelzläden, mit Sitz auf der feinen 5th Avenue. Ein expandierendes Pelz­imperium, gegründet von Gertrudes Vater Frank Russek, einem polnischen Emi­granten mit jüdischen Wurzeln. Diane und ihre beiden Geschwister wachsen in Wohlstand und Einsamkeit auf, mit wenig Kontakt zu den Eltern und in ständiger Obhut von Gouvernanten. Später wird Arbus die „emotionale Leere“ und die „Irrealität“ beklagen, in der sie groß wurden. Mit ihrem älteren Bruder, der später Schriftsteller wird, verbindet sie eine lebenslange, enge Beziehung. Wie eng diese Beziehung tatsächlich war, ­darüber wurde nach ihrem Tod viel ­spekuliert.

Bereits mit 14 Jahren begegnet Diane Arbus ihrem späteren Ehemann Allan Arbus, 19, der als Werbefotograf im Kaufhaus ihres Vaters arbeitet. Sie heiraten, als Diane 18 Jahre alt ist, und noch im gleichen Jahr schenkt Allen ihr den ersten Fotoapparat. Dies ist der Beginn einer 30 Jahre andauernden Leidenschaft, die bis zu ihrem Tod im Jahre 1971 die Fotografie revolutionieren wird.

Doch zunächst arbeitet sie noch mit ihrem Ehemann Allen, mit dem Diane Arbus inzwischen zwei Töchter hat, im ­eigenen Studio. Werbeaufnahmen und Modefotos, bei denen sie Bildideen entwickelt und er fotografiert. Sie arbeiten für Vogue und Glamour und verdienen nicht schlecht dabei. Dann, 1958, trennt sich das Paar, bleibt aber lebenslang befreundet. Diane Arbus ist 35 und geht nun beruflich ihre eigenen Wege.

Sie zieht mit ihrer Kamera durch New York. Das behütete Mädchen aus gutem Hause geht von der Mitte in die Rand­bezirke der Gesellschaft. Sie fotografiert Obdachlose, Nudisten, Wunderheiler, Transvestiten. Und sie zeigt entfremdete Highclass-Ehepaare, Damen und Herren auf Stehpartys in Manhattan, einen texanischen Ölbaron auf seinem Anwesen in Dallas etc. Fortan switcht sie zwischen den Welten: zwischen der großbürger­lichen, der High-Society-Welt, deren „emotionale Leere“ sie in der Kindheit am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte; und zwischen der Welt der Freaks und Outsider, bei denen sie vermutlich nach der Realität des Lebens sucht.

Auf fast allen Fotos ist sie präsent – die Arbus-Atmosphäre. Diese ganz eigene, nie vor ihr und nie nach ihr erreichte Mischung von kompromissloser Direktheit und mystischer Entrücktheit. Merkwürdig nah und fern zugleich sind die Menschen, die da für sie posieren. Immer ist da dieser Lufthauch zwischen Schein und Sein.

Arbus’ freie Arbeiten, bei denen sie die Ränder immer weiter ausdehnt und die sie sowohl ins Dominastudio, wie in Schausteller-Wohnwagen oder in Leichen­schauhäuser führen, werden 1963 und 1966 mit einem Guggenheim-Stipendium gefördert. Gleichzeitig arbeitet Arbus in diesen Jahren für Zeitschriften wie Harper’s Bazar und das Sunday Times Magazine. Für sie fotografiert Diane Arbus die Großen der Kultur und High Society. Und auch hier hält sie mit dem Fotoapparat kompromisslos drauf. „Diane Arbus eine Kamera in die Hand zu geben ist dasselbe, als würde man ein Kind mit einer scharfen Handgranate spielen lassen“, kommentiert Norman Mailer das Porträt, das sie von ihm macht.

Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Sie bekommt Preise und Anerkennung. Das „Museum of Modern Art“ in New York stellt ihre Arbeiten aus, manche ihrer Fotos werden vom Publikum bespuckt. Das Ende der traditionellen Dokumentarfotografie wird mit dieser Ausstellung besiegelt und die moderne subjektive Fotografie eingeläutet.

Und dennoch, irgendwann wird die ­Erfolgreiche von etwas eingeholt. Die Rastlose, die ihr Leben lang sexuelle Verhält­nisse mit Männern wie Frauen hatte – und nach eigenem Bekunden im Sex „authentische Erfahrung“ suchte – sie muss irgendwann abgedriftet sein. Sich verloren haben in der Welt der Swinger-Clubs, SM-Partys, Pornofilmproduktionen. Dort hat sie nicht nur fotografiert, sondern auch agiert, war Beobachtende wie Teilnehmende, wohl immer auf der Suche nach emotionaler ­Erfüllung. Doch zu spüren bekommen hat sie sich wohl nicht. In ihrem letzten Lebensjahr scheinen die lebenslangen Depressionen ganz von ihr Besitz zu ergreifen.

Ein Freund, der sie zwei Tage lang nicht erreichen kann, fährt am 28. Juli 1971 zu ihrer Wohnung. Er findet Diane Arbus mit aufgeschnittenen Pulsadern in ihrer Badewanne. Nach ihrem Suizid zeigt das Museum of Modern Art eine große Retrospektive ihrer Arbeit. Ein Jahr später wird Diane Arbus als erste amerikanische Fotografin auf der Biennale in Venedig gezeigt.

Wie hatte Diane Arbus einmal gesagt? „Ich glaube wirklich, dass es Dinge gibt, die niemand sähe, wenn ich sie nicht fotografieren würde.“    

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Eine sehr fundierte Biografie über Diane Arbus, "Revelations", erschien in Amerika. Zahlreiche Bildbände von Diane Arbus in diversen deutschen Verlagen.

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