Sexismus wird zum Bumerang

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Der Mann ist nicht gerade beliebt in Harvard. Zwar treibt der Ökonom Lawrence (Larry) Summers als Präsident der privaten Elite-Hochschule seit Jahren mehr Spendengelder auf als jede andere amerikanische Universität. Aber die Fakultäten beschweren sich seit langem über

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sein arrogantes Gehabe und seinen autoritären Führungsstil. Und: Der Anteil der Frauen, die auf lebenslange Professorenstellen eingestellt werden, ist in Summers vierjähriger Amtszeit um ein Drittel gesunken. 2004 gingen von 32 Stellen gerade mal vier an Frauen.

Ausgerechnet dieser Larry Summers setzt nun zum Abschluss einer Konferenz über „Frauen und Minderheiten in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften“ skandalträchtige Thesen in die Welt: Die deutlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Top-Positionen der harten Wissenschaften lägen primär daran, dass Frauen weniger bereit seien, eine 80-Stunden-Woche im Job zu schieben. Auch seien Frauen vermutlich intrinsisch weniger begabt für die exakten Wissenschaften, die viel beklagte weibliche Sozialisierung und Diskriminierung spielten hingegen eine viel kleinere Rolle als bisher angenommen.

Beweis: Seine zweieinhalbjährigen Zwillingstöchter nennen ihre Spielzeuglaster „Papa Laster“ und „Baby Laster“ – durchaus übliche Babysprache für „groß“ und „klein“. Für Summers ein hinreichender Beweis dafür, dass das Mütterliche seinen Mädels angeboren sein muss.

An dieser Stelle von Summers Ausführungen verließen fünf Teilnehmerinnen den Raum. „Mir wäre sonst schlecht geworden“, kommentierte Nancy Hopkins, Biologin am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Tröstlich: Dies war nur der Anfang des Proteststurms, der Prof. Summers seither ins Gesicht weht. Selbst die AutorInnen der einzigen wissenschaftlichen Studie, auf die Summers sich zur Stützung seiner Behauptungen berufen hatte, Kimberlee Shauman und Yu Xie, distanzierten sich umgehend: Summers habe ihre Ergebnisse „grob vereinfacht“. Punkt für Punkt widerlegten WissenschaftlerInnen die „Thesen“, die Summers von sich gegeben hatte.

So ist zum Beispiel nachgewiesen, dass Jungen und Mädchen bis zur sechsten Klasse gleich begabt und gleich interessiert an Naturwissenschaften sind. Haben Physikerinnen erst einmal ihren Bachelor in der Tasche, machen sie im selben Tempo Karriere wie Männer auch.

Doch der Prozentsatz an Doktorandinnen in Physik ist in den USA seit 1970 von lediglich 2,4% auf immerhin 18% gestiegen. (In Mathematik, Chemie, Biologie und Medizin sehen die Zahlen sowieso rosiger aus.) Doch noch immer studieren wesentlich weniger Frauen als Männer Physik. Die große Lücke tut sich also zwischen Oberstufe, wo noch mehr als die Hälfte aller amerikanischen Mädchen Physik belegen, und Universität auf. Und das spricht exakt für die Sozialisierungsthese, die Summers so locker über Bord zu werfen versucht.

Vor der Wucht des politischen Protests und der wissenschaftlichen Kritik musste selbst der Präsident von Harvard sich beugen: „Ich wollte ja nur provozieren“, versuchte er lässig zu beschwichtigen. Passieren wird Summer trotz des internationalen Skandals, den er ausgelöst hat, nicht viel, entlassen wird er schon gar nicht. Den ersten Misstrauensantrag in der Geschichte der Universität hat er dank seines Männernetzwerks locker überlebt: Drei von sieben Mitgliedern des Universitätsvorstands – das einzige Gremium, das ihn feuern könnte – wurden von Summers in diese Posten berufen, der vierte im Bunde ist er selbst.

Auch die Medien ließen den Wissenschaftler nicht allein im Regen stehen. Das Politmagazin Atlantic Monthly klagte, „feministische Karrieristinnen“ hätten Summers „kastriert“, um ihre „Quoten-Karrieren“ zu sichern.

Wie auch immer: Nirgendwo werden Wissenschaftlerinnen in den kommenden Jahren so große Chancen haben wie in Harvard: Der öffentlich kritisierte Präsident Summers gründete gerade zwei mit 25 Millionen Dollar ausgestattete Task Forces zur „Förderung von Frauen und Minderheiten“. Und die Moral von der Geschicht? Zu grober Sexismus kann zum Bumerang werden – zumindest in Amerika.

Dieser Artikel gehört zum Dossier: Einsteins Töchter.

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