Bruder Jim

Sergio Vitale
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Seinen ersten Crashkurs in Sachen Feminismus absolvierte Jim Baker Mitte der 1980er in Philadelphia. Er war gerade nach einem wenig erfreulichen Coming Out aus seinem baptistischen Elternhaus in den Südstaaten geflohen und jobbte neben seinem Germanistik-Studium in einem lesbisch-schwulen Buchladen. Vier Männer, vier Frauen, eine Wand voller feministischer Literatur. „Lies das!“ sagten Jims Kolleginnen. Das tat er. „Anschließend haben mich die Lesben dann abgefragt.“

Seinen zweiten Crashkurs in Sachen Feminismus absolvierte Jim Baker, heute 56, als er 1995 in Berlin den Querverlag gründete, den ersten und bis heute einzigen schwul-lesbischen Buchverlag Deutschlands. Seine Geschäftspartnerin Ilona Bubeck (Foto links) förderte Jims „Fähigkeit zum konstruktiven Streiten“. In seiner Südstaaten-­Fami­lie hatte eher das Prinzip Konfliktvermeidung durch Schweigen gegolten.

Zwölf Titel bringt der Verlag jedes Jahr heraus, „selbstverständlich paritätisch“, also immer halbe-­halbe Bücher von/für homosexuelle Frauen und von/für homosexuelle Männer. „Die meisten denken, wir teilen uns die Titel auf: Ilona macht die Lesbentitel, ich die Schwulentitel“. Stimmt nicht. Bankkauffrau Ilona ist für die Finanzen zuständig, Buchhändler Jim für das Lektorat, also auch für die „Lesbentitel“.

Heute sagt Jim Baker: „Natürlich bin ich Feminist, ja klar! Und das habe ich den Frauen in meinem Leben zu verdanken.“ Viele seiner schwulen Freunde haben keine Frauen in ihrem Leben. Über diese Ignoranz ist Jim Baker irritiert. Dieses „Dauerthema“ spricht er unermüdlich an. „Es ist oft gar keine offene Feindseligkeit“, sagt Jim. „Sie interessieren sich einfach nicht für Frauen.“

Jim Baker interessiert, dass der schwule Mann auch in den Medien als Prototyp des homosexuellen Menschen gilt, während homosexuelle Frauen sich „mitgemeint“ fühlen dürfen, wenn von „Schwulenehe“ oder „Schwulenparaden“ die Rede ist. Und manchmal wird es eben sogar feindselig zwischen homosexuellen Männern und Frauen. Stichwort Homo-Mahnmal. Stichwort Pascha-Wagen auf dem CSD.

Aktueller Konfliktschauplatz in Berlin ist der Kampf um ein Grundstück in Schöneberg, auf dem die Berliner Lesbenberatung „Rad und Tat“ (RuT) das bundesweit erste lesbische Alters-­Wohnprojekt für 80 Frauen errichten wollte. Noch nachdem RuT den Zuschlag erhalten hatte, jagte die Schwulenberatung den Lesben das Grundstück mit Einsprüchen gegen das Vergabeverfahren wieder ab. Sie will nun dort selbst ein schwules Wohnprojekt initiieren, das dritte in der Hauptstadt.

Der Skandal wurde zum Auslöser für das Lesben-­Magazin L-Mag, die Aktion #SchwuleFür Lesben ins Leben zu rufen. Natürlich ist Jim Baker dabei. „Gerade jetzt, wo wir das 50-jährige Jubiläum der Stonewall-Aufstände feiern!“ Er weiß aber auch: „Schwule werden sich nur dann mit feministischen Themen auseinandersetzen, wenn die Lesben das von ihnen einfordern.“

Das tun die Lesben immer lauter, zum Beispiel mit den „Dyke Marches“, den eigenen Lesbenmärschen zum CSD. Berlin machte 2013 den Anfang. Jim Baker ist „natürlich immer dabei“. Er ist halt ein überzeugter Schwuler für Lesben.

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