Brustamputation mit 14?

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Was für verheerende Folgen es haben kann, wenn TherapeutInnen und ÄrztInnen die Diagnose „trans“ zu schnell und unhinterfragt stellen, zeigt dieses Gespräch mit den drei jungen Frauen. Um solche Fehldiagnosen zu vermeiden, müssten die BehandlerInnen angehalten werden, sehr genau hinzuschauen: Was steckt hinter dem jeweiligen individuellen „Transitionswunsch“? Handelt es sich womöglich um einen Rollenkonflikt, der auch anders zu lösen wäre als mit irreversiblen Hormongaben und Operationen? 

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Doch der Trend geht in die entgegengesetzte Richtung. So hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gerade das Verbot so genannter „Konversionstherapien“ auf den Weg gebracht. Da geht es eigentlich um Behandlungen, die Homosexualität „heilen“ sollen. Zum Beispiel solche, die der „Bund katholischer Ärzte“ anbietet. Der hält Homosexualität für eine „Störung“, die er mit einer „reparativen Therapie“ beseitigen will. Der bekennende homosexuelle Minister Spahn will dem einen Riegel vorschieben. Das Bundeskabinett hat den „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ am 17. Dezember 2019 verabschiedet, die Abstimmung im Bundestag steht kurz bevor. 

Also alles gut? Nein. Denn in diesem Gesetz geht es nicht nur um Homo-, sondern auch um Transsexualität. Künftig sollen Behandlungen strafbar sein, „die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung oder selbstempfundene geschlechtliche Identität einer Person zu ändern oder zu unterdrücken“. Das klingt auf den ersten Blick folgerichtig. Selbstverständlich sollen auch Menschen, die empfinden, dass ihr biologisches Geschlecht nicht mit ihrem gefühlten Geschlecht übereinstimmt, nicht in die Hände reaktionärer Mediziner oder gar Teufelsaustreiber geraten.

Allerdings stellt sich eine Frage: Was bedeutet das Verbot eigentlich genau für diejenigen, die als ÄrztInnen und TherapeutInnen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen arbeiten, die mit einem Transitionswunsch zu ihnen kommen? Was passiert, wenn sie die Vorstellung des- oder derjenigen, im „falschen Körper geboren“ zu sein, hinterfragen? Fällt auch das demnächst unter „Konversionstherapie“ und wäre so ein Therapeut also mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht? 

„Das Verbot gilt nur dann, wenn der Gesprächspartner gezielt Einfluss zu nehmen versucht auf die sexuelle Orientierung oder die selbstempfundene geschlechtliche Identität eines Betroffenen“, heißt es auf der Website des Gesundheitsministeriums. 

Auf EMMA-Anfrage präzisiert das Gesundheitsministerium: „‚Ergebnisoffene‘ psychotherapeutische Gespräche, in denen Betroffene Raum erhalten, ihr eigenes sexuelles Empfinden und ihre geschlechtliche Identität zu reflektieren und mögliche Unsicherheiten zu thematisieren, sind keine Konversionstherapien. Sie unterliegen daher auch nicht dem geplanten Verbot.“ Das klingt nicht wirklich nach Rechtssicherheit. 

Bereits im Februar 2019 wurden die „Leitlinien zur Diagnostik, Beratung und Behandlung von Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ überarbeitet. Dafür ist nicht der Gesetzgeber zuständig, sondern die so genannten Fachgesellschaften, also Standesorganisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung oder die Psychotherapeutenkammer. Vor der Reform der Leit­linien galt als Voraussetzung für den Geschlechtswechsel eine einjährige therapeutisch begleitete „Alltagserprobung“. Jetzt heißt es: Der diagnostische Prozess solle „so kurz wie möglich gehalten werden“. Auch eine „psychotherapeutisch begleitete Alltagserprobung“ sei nun „hinfällig“.

Bei dieser 2019 reformierten Leit­linie geht es um Erwachsene. Auch das ist schon problematisch. Doch in 2020 soll nun auch die Leitlinie für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechts-Dysphorie überarbeitet werden. Bisher besagen diese Leitlinien, dass irreversible ­Operationen wie die Entfernung der Brüste oder die Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken nicht vor dem 18. Lebensjahr vorgenommen werden sollen. Diese – rechtlich ohnehin nicht bindende – Empfehlung soll nun voraus­sichtlich gekippt werden; ebenso wie die Vorgabe, dass gegengeschlechtliche Hormone nicht an unter 16-Jährige gegeben werden sollen.

Auch wenn die Leitlinien keine Gesetzeskraft haben wie das Konversionsverbot, haben sie doch starke Konsequenzen, weil sie die Regeln für Behandlungen setzen. Und: Im Falle einer Klage müsste eine Ärztin oder ein Therapeut, der „nicht leitlinienkonform“ gehandelt hat, das begründen. 

Kämen also die neuen Leitlinien für Kinder und Jugendliche durch, würde das den verantwortungslosen Kräften Tür und Tor öffnen, denen schon unsere drei Interview-Partnerinnen zum Opfer gefallen sind. 

 

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