Diesseits des Erfolges

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Das Leben ist eine Reise, aber man sollte nie dort ankommen, wo man eigentlich hinwollte. Julia Phillips, eine der wenigen Frauen, die einen Oscar für den besten Film entgegennehmen durften, hat in ihrem Buch "You’ll never eat lunch in this town again" ausführlich beschrieben, wie enttäuschend dieser Augenblick war, 1974, als sie mit "Der Clou" gewann – als wenn man ankommt eben, und nicht mehr weiß, wohin.

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Caroline Link, die als erste seit Volker Schlöndorff einen Oscar nach Deutschland geholt hat, geht die Sache anders an: Sie macht nicht den Eindruck, als sei sie mit ihrem Sieg, mit ihrem Oscar für "Nirgendwo in Afrika", irgendwo angekommen – sie macht höchstens irgendwo Station, wo sie nie hinwollte. Ist vielleicht richtig so. Denn die Glitzerwelt von Hollywood hat mit ihrem Kino sowieso nicht viel zu tun.

Caroline Link, 1964 in Bad Nauheim geboren, hat an der Münchner Filmhochschule studiert. 1986 hat sie angefangen – das war, für damalige Verhältnisse, ziemlich jung. "Sommertage" hieß ihr Abschlussfilm, er erzählte von einer Frau, die ihre drei Kinder allein aufzieht. Sie hat damals schon mit dem Gewinnen angefangen, "Sommertage" wurde mit einem Nachwuchspreis in Hof ausgezeichnet. Die Filme, die sie nach dem Studium gedreht hat, "Jenseits der Stille", "Pünktchen und Anton" und "Nirgendwo in Afrika", waren allesamt enorm erfolgreich, haben Preise abgeräumt und ziemlich viel Geld eingespielt, was seltener zusammenkommt, als man meinen sollte.

In "Nirgendwo in Afrika", der Verfilmung von Stefanie Zweigs Roman, erzählt Link die Geschichte einer jüdischen Familie, die es in den Dreißigern nach Kenia verschlägt auf der Flucht vor den Nazis – die Geschichte einer Familie, nicht nur die einer Frau. Vielleicht könnte man am ehesten sagen: Link erzählt von den Dingen, die sie interessieren, aus ihrer Sicht, und ihr Interesse und ihre Perspektiven sind nun mal davon geprägt, dass sie eine Frau ist. Das ist keine bewusste Stellungnahme zur Lage der Welt, sondern eher ein selbstbewusstes persönliches Erzählen.

Caroline Link hat sich nicht ausgebremst gefühlt als Frau unter den deutschen Filmemachern. Kann es sein, dass das Filmemachen heutzutage hier vielleicht wirklich leichter ist für Frauen als in den USA? Wenn, gäbe es dafür nur eine Erklärung – unser verschnarchtes deutsches Fördersystem, in dem es kaum dominante Produzenten gibt, hat es nicht geschafft, irgendwen zu behindern.

Wir haben jedenfalls etliche namhafte Regisseurinnen, mindestens eine pro Generation, von der man auch im Ausland schon gehört hat. Das klingt wenig, ist aber vergleichsweise viel. Die USA haben eine riesige Filmindustrie, aber richtig bekannt geworden sind dort außer den Auch-Schauspielerinnen Jodie Foster und Barbra Streisand kaum Regisseurinnen; Kathryn Bigelow gibt es noch und, neuerdings, Callie Khourie. Aber: Weder Margarethe von Trotta noch Doris Dörrie haben je einen Regiepreis gekriegt beim Deutschen, oder wie er früher hieß, Bundesfilmpreis. Caroline Link hat ihn für "Nirgendwo in Afrika" bekommen. Die Zeit war reif.

Nun hat sie auch einen Oscar, hat also diesen Augenblick im Schlafanzug vor dem heimischen Fernseher erlebt, mit dem Milchfläschchen statt eines Sektglases in der Hand. Der Lebensgefährte und Vater des Kindes, der Regisseur Dominik Graf, verbrachte die Nacht wegen beruflicher Angelegenheiten in einem Kölner Hotel. Spekulationen beugt die erfolgreichere Link vor: "Uns geht es gut". Man kann Link dafür loben – was für eine tolle Vorzeige-Mutter eine Frau sein muss, die ihr Baby dem Oscar vorzieht – oder man kann ihr vorwerfen, sie habe es meisterlich geschafft, trotz ihres beruflichen Erfolgs innerlich ein Heimchen am Herd zu bleiben. Beides wäre falsch. Denn vielleicht ist es ja auch für eine emanzipierte Frau nicht verkehrt, kranken Kindern den Vorrang einzuräumen vor einer Fernsehshow, selbst wenn es die größte der Welt ist. Und vielleicht hat der amerikanische Krieg ja auch die Reiselust der Nominierten geschwächt, oder wollte sie die Jury nicht durch allzu deutliche Worte verärgern.

Wie auch immer: Caroline Links Filme wären kälter, wenn sie jene Sorte Mensch wäre, der alles andere weniger wichtig wäre als der Glitzerauftrieb in Hollywood. "Nirgendwo in Afrika" lebt von der Kargheit seiner Bilder, einer Suche nach der Balance zwischen Leinwandtauglichkeit und Authentizität, nach einer Bildsprache, die eine sehr einfache, unspektakuläre Schönheit findet.

Gegen allzu hohe Erwartungen an ihre Glückseligkeit hat Link sich nach der guten Nachricht umgehend gewehrt. Ein Oscar schraubt die Ansprüche von Kritikern und Publikum zunächst einmal noch höher. Und zu den Filmemachern, deren Lebenstraum sich erfüllen würde, könnten sie einmal in den USA drehen, gehört sie nicht. Das hätte sie sowieso schon vorher gekonnt – denn bereits 1998 ist ihr erster Spielfilm "Jenseits der Stille" als bester fremdsprachiger Film nominiert worden. Die Regisseurin hat damals schon aufgrund der Nominierung Angebote bekommen, und so war es auch diesmal. Dass sie auch einmal einen Film in den USA drehen wird, hat Link jetzt nach ihrem Sieg gesagt, will sie "nicht ausschließen". Innerhalb des Studiosystems müsste sie sich allerdings in den USA wesentlich mehr hereinreden lassen als hier. "Nirgendwo in Afrika" hätte sie so wohl kaum für ein Hollywood-Studio so drehen können – man hätte ihr jene Hochglanzbilder abverlangt, auf die sie bewusst verzichtet hat; hätte ihr den Mut, auf ihre Art das Publikum zu erreichen, nicht zugestanden – und ihr stattdessen die handelsüblichen sicheren Tricks verordnet, vom Casting über siebenfache Drehbuchbearbeitung bis zur Nachbearbeitung des (eigentlich) fertigen Films nach den ersten Testvorführungen.

In den USA gibt es viele Oscar-prämierte Regisseure, in Deutschland aber nur Caroline Link und Volker Schlöndorff. Und außerdem ist die Geschichte der Oscars und der Frauen sowieso ziemlich schnell erzählt: In Kategorien, in denen nicht fein säuberlich nach Männlein und Weiblein getrennt wird – also: alles außer Schauspielerei – kommen sie nur in Ausnahmefällen vor.

Mit dem Auslands-Oscar wird formal der Film und keine Person ausgezeichnet. Trotzdem haben die Niederländerin Marleen Gorris, 1996 für "Antonia", und jetzt Caroline Link Oscars bekommen – was mehr ist, als jede amerikanische Regisseurin von sich behaupten kann. Näher als qua Nominierung sind Frauen nie dran gewesen am regulären Regie-Preis, und selbst diese Liste ist übersichtlich: Lina Wertmüller ist 1976 für "Pasqualino Settebellezze" nominiert worden und 17 Jahre später Jane Campion für "The Piano". Gekriegt haben sie den Oscar nicht. Allerdings gibt es auch nur wenige Regisseurinnen, und das, obwohl inzwischen drei Studios von Frauen geführt werden – die Paramount von Sherry Lansing, Columbia von Amy Pascal und Universal von Stacey Snider – und obwohl es durchaus viele namhafte Produzentinnen gibt, sieht es bei den Oscars für den besten Film nicht wesentlich besser aus: 1974 wurde Julia Phillips als Co-Produzentin von "Der Clou" ausgezeichnet, und seither durften drei weitere Frauen mit auf die Bühne.

Die Niederländerin Marleen Gorris hat seit "Antonia" drei Filme gedreht, alle mit amerikanischer Beteiligung – von den Studios hat sie sich aber fern gehalten. (Der neue, der in diesem Jahr fertig werden soll, heißt übrigens "Carolina".) Und Caroline Link wird entweder eine internationale Großproduktion drehen oder eine kleine oder einfach einen deutschen Film. Was immer sie tut, es wird schon das richtige sein. Soviel Vetrauen hat sie sich redlich verdient.

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