"Empörung ist Pflicht!"
Liebe Alice, liebe Bettina, liebe Julia Klöckner,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
Ich bin tief bewegt – und dankbar. Dankbar für diese Worte, für diese Wertschätzung – und doch stehe ich hier auch mit Empörung. Dankbarkeit – weil dieser Preis eine große Ehre ist. Empörung – weil das, wofür ich ausgezeichnet werde, selbstverständlich sein sollte: der Einsatz für die Würde, die Freiheit und die Unversehrtheit von Frauen und Kindern.
„Mit 14 hab ich’s zu Hause nicht mehr ausgehalten, bin abgehauen, hatte Freunde, die alles durften. Irgendwann brauchten sie Geld – und stellten mich Männern vor. Einen Tag später war ich in einer Wohnung. Sechs Männer. Danach war nichts mehr, wie es war.“ Diese Worte sind von Misha – einer Überlebenden. Einer Kämpferin und heute Ehrenmitglied von KARO.
Diese Geschichten sind keine Krimis. Es sind Tragödien, mitten unter uns
Seit über 30 Jahren kämpfe auch ich gegen sexuelle Gewalt, Menschenhandel und Zwangsprostitution. Ich habe unvorstellbares Leid gesehen: Frauen, die blutig geschlagen, verletzt, zerbrochen waren. Kinder, die mit Drogen ruhiggestellt wurden, um das Grauen zu überstehen. Und fast alle – haben schon in der Kindheit Gewalt erlebt.
Diese Geschichten sind keine Krimis. Es sind Tragödien – mitten unter uns. Sie sind Auftrag und Mahnung zugleich.
Und manchmal braucht es Glück. Wie damals 2004, als du, liebe Alice, bei Günther Jauch für uns gewonnen hast – als uns alle Förderungen entzogen wurden - wegen meines Buches. Dieses Geld hat unzähligen Frauen und Kindern geholfen, der Gewalt zu entkommen.
Heute ist KARO mehr als ein Verein. Wir sind eine Bewegung – getragen von Empathie, Beharrlichkeit und Empörung.
Mein Dank gilt heute Vielen: Zuerst Den Frauen, die den Mut hatten, über ihr Leid zu sprechen, die den Mut hatten, zu Vertrauen – ihr seid der Grund, warum ich weitermache. Meinem Team bei KARO – ihr seid mein Rückgrat im Kampf gegen Unrecht. Und allen Unterstützerinnen und Unterstützern, die nicht wegsehen, sondern hinsehen … die nicht schweigen, sondern helfen. Danke an meine Mit-Kämpferin Sabine für ihr Tun.
Ist das die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen wollen?
Mein Dank gilt auch all denen, die mich getragen haben, wenn die Nächte zu lang und die Geschichten zu schwer waren – das sind meine Familie, meine Freundinnen und Freunde. Und, lieber Gerald - Danke für Alles.
Liebe Alice, von Herzen Danke für diese Ehre und liebe Bettina, für Deine berührenden Worte.
Der EMMA-Artikel über mich trägt den Titel: „Sie bleibt empört.“ Und ja – ich bleibe empört. Ich bleibe empört über ein System, das Armut, Gewalt und Missbrauch mit schönen Worten zudeckt. Ich bleibe empört über Strukturen, die Frauenkörper zur Ware machen – und das „sexuelle Selbstbestimmung“ nennen. Ich bleibe empört, wenn Politik und Gesellschaft wegsehen. Ich bleibe empört, wenn ein kriminologisches Institut im Evaluationsbericht zum Prostituierten Schutzgesetz sogar empfiehlt, dieses auf Minderjährige auszuweiten – statt endlich alles zu tun, um sie aus diesen Strukturen herauszuholen.
Ich zitiere daraus: „Paragraf 1 Prostituiertenschutzgesetz begrenzt den Anwendungsbereich des Gesetzes bislang auf Personen, die über 18 Jahre alt sind. Zu überlegen ist, ob der Anwendungsbereich nicht teilweise auf minderjährige Prostituierte ausgedehnt werden sollte...“
Ich bleibe empört, wenn Universitäten mit Steuergeldern Plakate aufhängen: „Du finanzierst dein Studium als Escort oder Sugar Babe? Du willst dich professionalisieren? Wir beraten dich anonym und ergebnisoffen.“ – Mit dem Logo des Freistaates Sachsen darunter.
Ich frage uns alle: Ist das die Welt, die wir unseren Kindern überlassen wollen?
Was manche Gewerbe nennen, ist in Wahrheit ein Abgrund
Und ich bleibe empört, wenn ein Oberstaatsanwalt Bilder aus einem Kinderbordell kommentiert mit: „Kein Eindruck eines Massakers … alles eher freiwillig.“ Das jüngste Mädchen war 13 Jahre alt.
Aber meine Empörung ist keine Wut. Sie ist Liebe in Bewegung. Sie zeigt, dass Menschlichkeit stärker ist als Gleichgültigkeit. Dass Mut und Zivilcourage Systeme verändern können. Ich nehme diesen Preis als Ermutigung – für alle, die noch gefangen sind. Für jedes Kind, jede Frau, die Gewalt erleiden muss. Für eine Gesellschaft, in der niemand mehr sagen muss: „Ich hatte keine Wahl.“
Solange es Ausbeutung gibt, bleibe ich empört. Solange Frauen verkauft werden, bleibe ich laut. Solange Kinder und Frauen leiden, bleibe ich hier – mit Herz, mit Haltung, mit Hoffnung und mit Mut. Ich habe gelernt: Was manche „Gewerbe“ nennen, ist in Wahrheit ein Abgrund.
Und Empörung – ist keine Schwäche. Sie ist eine moralische Pflicht. Ich danke von Herzen für diese Auszeichnung. Und ich verspreche: Ich bleibe empört.
Denn sexuelle Gewalt an Kindern und Frauen muss für uns alle unerträglich sein.

