Dating Down: Zu schlau für die Liebe?

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Eine Körbchengröße zu wenig und mindestens 15 IQ-Punkte zu viel“, war die spontane Antwort, die meine Freundin Kathrin von ihrem Karrierecoach bekam, als sie ihn „nur mal so“ fragte, was mit ihr verkehrt sein könnte.  Zwei Jahre nach ihrer Scheidung hatte sie noch immer keinen Mann kennengelernt, der nach einem ersten gemeinsamen Abend ein zweites Mal angerufen hätte. Zuweilen hatte schon das einfache Überreichen ihrer Visitenkarte ihre Verehrer in die Flucht geschlagen. „Das meinen Sie jetzt nicht ernst?“, fragte sie resigniert nach. „Und ob“, gab der Coach zurück. „Oder glauben Sie wirklich, dass es viele Männer da draußen gibt, die es mit Ihnen aufnehmen wollen?“

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Ihr Coach bescheinigt Kathrin „beträchtliches berufliches Potenzial“, hält sie privat aber für „schwer vermittelbar“. Ein Modell von Frau, „für das sich nicht so leicht eine Verwendung finden lässt“. So hatte Kathrin die Sache freilich noch nie betrachtet. Eine Beziehung zu einem Mann hat für sie in erster Linie mit Liebe und Partnerschaft zu tun und weniger mit „es mit ihr aufnehmen“, also mit Konkurrenz und Wettstreit. Oder – so fragte sie sich – stehe ich mit dem eigenen Mann womöglich tagtäglich im Boxring, wo sich stets aufs Neue entscheidet: Wer ist der Stärkere? Wer pariert schneller? Wer kann besser austeilen oder einstecken?

Die Meinung des Karriere-Coach verrät dabei mehr über unsere Gesellschaft als über meine Freundin Kathrin. Wo sich „Weiblichkeit“ nicht mehr in einem niedrigen, sondern sogar höherem Rang manifestiert – Kathrin ist Abteilungsleiterin in einem großen Industrieunternehmen –, da fordert er – der Mann – eine gesteigerte Weiblichkeit als Zeichen der Unterwerfung ein: mehr Rundungen, weniger Intelligenz.
Dass beruflicher Erfolg bei der Partnerwahl nicht auf der Habenseite verbucht wird, erfährt auch die rothaarige Miranda Hobbes in Sex and the City. Sie hat es satt, alleine zu sein. Um einen Mann kennenzulernen, geht sie zum Speed-Dating und scheitert drei Mal hintereinander schon in der ersten Minute, da sie bei jedem Gespräch wahrheitsgemäß erzählt, dass sie Anwältin in einer großen Kanzlei ist. Das hat eine eindeutig abschreckende Wirkung auf ihr jeweiliges männliches Gegenüber. Beim vierten Anlauf hat sie ihre Lektion gelernt und behauptet: „Ich bin Stewardess.“ Prompt bittet der Mann sie, mit ihm auszugehen. Die Pointe liegt darin, dass nicht nur sie gelogen hat, sondern – wie sich aber erst nach einigen gemeinsamen Nächten herausstellt – auch er: Entgegen seiner Behauptung ist er kein Arzt, sondern Schuhverkäufer.

Beide Episoden erzählen im Kern dieselbe Geschichte: Intelligente und erfolgreiche Frauen sollten sich zuweilen dümmer und anschmiegsamer machen, als sie sind, wenn sie in den Genuss männlicher Gesellschaft auch außerhalb eines Konferenzraums oder einer Vielfliegerlounge kommen wollen. „Dating down“ wird das Phänomen genannt, wenn eine Frau mit einem Mann ausgeht, der in jeder Hinsicht weit unter ihrem Niveau ist. „Dating down“ bedeutet auch, dass die Frau sich auf ein eventuelles Gefälle bewusst einlässt, indem sie ihre Klugheit, ihr Können, ihren Rang herunterspielt oder verschweigt.

Als Alternative zum Dating down empfahl die New York Times unlängst allen Ernstes, dass Frauen in gehobenen Positionen in Industrie und Wirtschaft statt mit ihresgleichen doch lieber versuchen sollten, mit Akademikern oder Künstlern auszugehen, weil die es mit Hierarchien nicht so genau nähmen. Diese Männer seien öffentlich durchaus vorzeigbar und unterhaltsam (und hätten alles in allem vermutlich mehr zu bieten als Mirandas Schuhverkäufer). Der Versuch hingegen, einen ebenbürtigen Mann fürs Leben kennenzulernen – so die New York Times –, resultiere mit ziemlicher Sicherheit in dauerhafter Einsamkeit.
Denn so gerne Männer auch konkurrieren – in ihrer Liebesbeziehung wollen sie klare Verhältnisse. Die Hackordnung mag in der Firma sakrosankt sein, zu Hause ist sie tabu. Dort sollte nicht einmal der Schatten eines Zweifels aufkommen, dass der Mann der Stärkere ist, der Versorger, der Beschützer.

Steht die Frau im Verdacht, dem Mann überlegen zu sein – weil sie qualifizierter ist, mehr verdient, hierarchisch über ihm steht oder eine größere öffentliche Bedeutung hat –, dann wirkt sich dies ganz unmittelbar mindernd auf ihre erotische Anziehungskraft aus. Je mehr Insignien der Macht eine Frau vorzuweisen habe, desto massiver verliert sie an sexueller Attraktivität.

Die wenigen Frauen, die in der beruflichen Arena in ernsthafte Konkurrenz zu den Männern treten, werden mit Vereinsamung bestraft. Autonomie wird abgewatscht. Familie ist angesagt. Doch auf Dauer ist es genau das, was das Vorankommen und den beruflichen Erfolg von Frauen behindern wird. Und keine Frauenquote in der Wirtschaft – egal ob erzwungen oder freiwillig – wird etwas dagegen aufbieten können: Der Preis der Einsamkeit und der Unvollständigkeit ist einfach zu hoch, als dass Frauen gerne und sofort bereit wären, ihn für eine Karriere zu bezahlen.

Wenn wir für diese Diagnose weder der Politik noch der Wirtschaft die Verantwortung zuschieben wollen, und wenn wir ferner aufhören wollen, das allseits beliebte „Die Männer sind schuld – die Frauen sind schuld“-Pingpong zu spielen, was können wir statt dessen tun? Wie kommen wir als Frauen und Männer raus aus dieser unbefriedigenden und unwürdigen Situation? Indem wir überlegen, ob und wie es anders gehen könnte.

Fangen wir mit dem Dating down an: So praktisch es ist, dass es sogleich ein Wort für diese Sache gibt, eine Antwort auf die Frage, wie man kluge Frauen weniger „schwer vermittelbar“ macht, ist es sicher nicht. Vielleicht rettet ein solches Beziehungsmodell Frauen kurzfristig vor der Einsamkeit, aber eine dauerhafte Lösung dürfte es kaum sein.
Es ist doch längst erwiesen, dass es in Wirklichkeit nicht die „gleichen Interessen“ sind, die Mann und Frau zusammenbringen und zusammenbleiben lassen. Gleiches Bildungsniveau und ähnlicher Horizont sind viel wichtiger. Oder anders ausgedrückt: Was nutzt es mir, wenn sich mein potenzieller Partner auch fürs Bergwandern oder Aquarellmalen interessiert, aber davor, danach oder währenddessen keine intelligente Unterhaltung zustande bringt? Immer kann man ja gar nicht gemeinsam in die Landschaft gucken, ohne vor Langweile umzufallen.

Selbst bei gleichem beruflichen Erfolg bietet sich ein ähnliches Bild: Einer verdient immer mehr als der andere. Meist ist das der Mann und alles ist gut. Mit dem Mann in der Rolle des Verdieners und Ernährers sind wir groß geworden und finden es selbstverständlich, dass er mehr nach Hause bringt als wir selber.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, als mein Mann mich nach einem Jobwechsel mit seinem neuen Gehalt weit hinter sich gelassen hatte. Einerseits war ich erstaunt, dass noch nie jemand auf die Idee gekommen war, mir so viel Geld für meine Arbeit zu bezahlen, andererseits war ich aber auch erleichtert: Die „normalen Verhältnisse“ waren endlich auch zwischen uns beiden hergestellt. Zugleich war ich froh, dass ein Konfliktherd damit beseitigt worden war. Nie wieder würde ich mir anhören müssen, dass unsere Urlaube und Restaurantbesuche zu teuer seien, wir zu viel Miete zahlen und man zum Glücklichsein keine neuen Regale brauche.

Jährlich wächst die Kluft zwischen unseren beiden Gehältern, und ich lehne mich entspannt zurück, denn kein Mensch kommt jetzt mehr – wie noch vor zehn Jahren – auf die Idee, dass ich meinen Mann finanziell aushalten könnte. Eine Sache ist mir in unserem Doppelverdienerhaushalt allerdings enorm wichtig: Wenn es sein müsste, könnte ich auch prima von meinem eigenen Geld leben. Mehr noch: Sollte mein Mann seinen Job von einem auf den anderen Tag verlieren, dann brächte ich uns mit meinem Gehalt alleine durch.

Mein Gehalt ist weder ein Taschengeld noch ein Zubrot zum Familieneinkommen; es ist eine Existenzgrundlage für zwei – und wäre es vonnöten, auch für drei oder vier. Ich bin schon lange im Männerlager angekommen und stolz darauf. Es mag anderen armselig anmuten, aber für mich ist das ein rundum gutes Gefühl.

Wie es meinem Mann damit geht, dass er mich weder beschützen noch versorgen muss, das habe ich ihn nie gefragt. Vielleicht wünscht auch er sich heimlich eine Körbchengröße mehr und 15 IQ-Punkte weniger bei mir. Vielleicht atmet er aber auch auf, weil die Last eines steinzeitlichen Gepäcks von ihm genommen wurde und er sich – ohne dass es ihm an die Existenz ginge – auch all das leisten könnte, was Frauen für sich in Anspruch nehmen: Auszeit, Krankheit, Teilzeit, Karriereverzicht. Dass ich meinen Mann nicht danach frage, zeigt allerdings, dass ich vermutlich Angst vor der Antwort habe.

Aber wenn die Verhältnisse komplett umgekehrt sind, stellt dies nicht nur den Mann auf eine harte Probe. Auch Frauen haben es jenseits der sanktionierten Pfade schwer, ihre Rolle zu finden. Meine Freundin Anna arbeitet in einer großen Werbeagentur; ihr Mann ist seit mehr als einem Jahr arbeitslos. Im Sommer wurde sie überraschend und rasant befördert und verdient mehr als je zuvor, arbeitet aber auch so viel wie noch nie in ihrem Leben. Sie sagt: „Spätestens um acht Uhr sitze ich in der Agentur am Schreibtisch, und vor acht, neun am Abend komme ich nicht zurück. Momentan geht es einfach nicht anders. Und damit haben sich meine Ansprüche verändert. Wenn ich nach Hause komme, dann erwarte ich, dass eingekauft, aufgeräumt, geputzt, gewaschen, gebügelt, ein Abendessen vorbereitet und die Hausaufgaben der Kinder gemacht sind. Ich habe überaus wenig Verständnis dafür, wenn es nicht so ist.“ Ein ganz klarer Fall: Anna ist zum Mann mutiert, wenn auch auf andere Weise als ich. Sie sagt, dass inzwischen auch ihr Mann in seine neue Rolle hineingefunden habe, aber das habe gedauert. Die einzigen, die die veränderte Situation sofort toll fanden und sich kein bisschen irritiert zeigten, waren die beiden Jungs, sechs und neun Jahre alt.

"Für mich war es ganz schwierig“, sagt Anna. „So sehr ich mich über die Beförderung gefreut habe –auf einmal war alles ein paar Nummern größer. In der Agentur ein Riesenetat und Personalverantwortung, und zu Hause bin ich der Alleinverdiener. Gleichzeitig fühle ich mich immer noch für die Kinder hauptsächlich verantwortlich, für deren schulische Leistungen und ihre Erziehung. Dabei macht Martin das gut; es gibt keinerlei Grund, warum ich ihm nicht voll und ganz vertrauen sollte.“

Sicher ist dies eine moderne Beziehung, aber ist es auch ein Modell, das auf Dauer trägt? Mir jedenfalls tut Martin immer ein bisschen leid, weil er gar nicht mehr raus und unter Leute kommt und so gar kein größeres Rad mehr zu drehen hat. Wenn ich die beiden zufällig treffe, habe ich immer Angst, dass mir nichts einfällt, worüber ich mich mit ihm unterhalten könnte. Soll das bisschen Haushalt und Kinderaufzucht sein ganzer Lebensinhalt sein? Führt das am Ende nicht zu Depressionen? Soll das so weitergehen, bis die Kinder aus dem Haus sind? Und was dann?

Ich schäme mich für diesen Gedanken, obwohl er mir vertraut ist: Früher dachte ich genau dasselbe über die Nurhausfrauen und Kindsmütter, die meine Männerfreunde geheiratet hatten.
Männer – selbst wenn sie es, wie Martin, nicht thematisieren – fühlen sich durch das größere Gehalt oder die alleinige Versorgerrolle der Frau meist minderwertig und zurückgesetzt. Es hilft nicht, dies wegzuwitzeln oder dagegen zu argumentieren. Und ignorieren lässt es sich erst recht nicht.

Aber wir müssen allmählich anders damit umgehen, dass bisher wenig einen Mann so in seinem Ehrgefühl verletzt wie die Tatsache, seine Familie nicht versorgen zu können. Und wir Frauen? Sind wir in der Neuzeit angekommen und können uns daher in unseren aufgeklärten Köpfen alle möglichen Formen des Zusammenlebens vorstellen? Da muss ich ja schon lachen, während ich es hinschreibe. Natürlich sind Frauen wie Kathrin, Miranda oder Anna in der Minderzahl. Der Satz „Meine Frau soll nicht arbeiten müssen“, ist – so unglaublich das sein mag – noch lange nicht aus der Mode gekommen. Ganz im Gegenteil. Ich höre ihn in letzter Zeit wieder öfter. Gerne auch die Frage: „Musst du denn arbeiten?“ Und ich lebe nicht hinterm Mond, sondern in einer deutschen Großstadt.

Ein ganz großer Teil der verheirateten Frauen hierzulande führt ein Leben wie in den 1960er Jahren: Mama arbeitet gar nicht oder in Teilzeit; Papa ist der einzige oder doch zumindest der Haupt-Brötchenverdiener. Hebt hier nicht der Backlash sein adrett frisiertes Köpfchen und starrt uns geradewegs ins adrett geschminkte Gesicht?

Wie so oft muss auch bei diesem Problem das Umdenken in den eigenen vier Wänden beginnen und nicht in Politik oder Wirtschaft. Will sagen: Intelligente und erfolgreiche Frauen werden nicht nur von Männern geächtet, sondern auch von Frauen. Denn einen Gedanken vermissen wir doch in allen oben geschilderten Episoden: den der weiblichen Solidarität.

Selbstverständlich scheint es mir längst erwiesen, dass wir Frauen nicht qua Geschlecht die besseren Menschen sind. Aber wo bleibt denn unsere Bewunderung für die erfolgreichen und mächtigen Frauen, die unser unmittelbares Umfeld hervorgebracht hat? Stärken und unterstützen wir sie oder schauen wir hämisch aus unserer Doppelhaushälfte, wenn ihnen Dinge widerfahren, die im Berufsleben halt vorkommen: Zurücksetzung, ungerechte Behandlung, Konkurrenzdruck, Kündigung? Ergötzen wir uns womöglich daran, dass sie keinen Mann, keine Familie haben?

Wir könnten uns stattdessen bei unseren eigenen Lebensmodellen überlegen, ob es nicht auch anders denkbar wäre. Wir könnten den Wunsch nach Autonomie (nicht nur im Denken, sondern auch in der Geldbörse) über den Wunsch nach Versorgt-sein-wollen stellen. Wir könnten uns, statt uns angesichts „normaler Verhältnisse“ wohlig zu räkeln, fragen, was daran eigentlich „normal“ ist und ob es schlimm ist, wenn es anders wäre. Wir könnten den Männern – und in der Folge auch uns selbst – das gute Gefühl geben, auch als Hausmann und Vater vollständige Menschen zu sein. Wir sollten uns ein Dating down, das nur ins Unglück führen kann, selber verbieten. Wir sollten den Männern klarmachen, dass unsere Arbeit weder ein Selbstfindungstrip ist, noch der niedliche Versuch, unser Taschengeld aufzubessern. Wir sollten Männern die Verweigerung einer Rollenerfüllung im selben Maß zugestehen wie uns selbst. Wir sollten uns an der Ächtung weiblicher Karrieren nicht mehr länger beteiligen und aufhören, beruflich erfolgreiche Frauen auf ihre Defizite hin zu untersuchen.

Dieser kleine Katalog ist individuell beliebig erweiterbar. Es gibt sehr viel zu tun und das meiste davon wird sich merkwürdig anfühlen und vielleicht nur mühsam und schwierig umzusetzen sein. Wir werden gegen eigene Zweifel und fremde Widerstände prallen und die ein oder andere falsche Entscheidung treffen. Aber den Versuch ist es allemal wert.

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