Alice Schwarzer schreibt

Demos: Droht eine Spaltung?

Demonstration gegen Rechts auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor. - Foto: Manngold/IMAGO
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Seit Wochen gehen Hunderttausende „Gegen rechts“ auf die Straße. Das ist herzerwärmend. Und macht Hoffnung. Deutschland hat aus seiner dunklen Geschichte gelernt: Nie wieder Ausgrenzungen! Nie wieder deportierte „Untermenschen“! Nie wieder die Überwältigung des Rechtsstaates! – Auch wenn wir von dieser Gefahr zum Glück noch sehr weit entfernt sind.

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Gleichzeitig aber tickt da etwas Beunruhigendes. Schwingen etwa manchmal auch selbstgerechte Töne mit? Die Teilung in Gut oder Böse, richtig oder falsch? Das warme Gefühl, zu den Gerechten zu gehören. Eine Stimmung, die keine Differenzierungen, keine Zwischentöne, keine Diskussionen mehr zulässt. In der alles, was rechts von links ist, für die Gesinnungs-Gerechten gleich rechtsradikal und „Nazi“ ist. Obwohl wir eigentlich doch schon lange nicht mehr so genau wissen, was nun eigentlich rechts und was links ist.

Wir wissen schon lange nicht mehr so genau, was nun eigentlich rechts und was links ist

Sind die gegen Israel protestierenden Palästinenser nun rechts oder links? Bisher galten sie für weite Teile der Linken als links. Und ist Sahra Wagenknecht links von der Ampel oder rechts – weil sie eine andere Migrations-, Friedens- und Gesellschaftspolitik vertritt als „Die Linke“ und „Die Grünen“? Kann es sein, dass diese vielstrapazierten Etiketten nichts mehr taugen, und müssen wir stattdessen genau hingucken, wer was vertritt oder gar propagiert?

Und was ist denn nun eigentlich mit der CDU, aus deren Reihen ebenfalls einige beim Treffen in Potsdam dabei waren? Ist die jetzt auch rechtsradikal?

Was vor allem wäre, wenn bei der Eskalation eines Tages den Millionen „Gegen rechts“ die Millionen „Für rechts“ gegenüberstünden? Bürgerkrieg? Nein, an dem Punkt sind wir nicht. Und wir sollten auch nicht – wie offensichtlich die Amerikaner – der Versuchung erliegen, die Spaltung unseres Landes zu betreiben. Wir müssen darauf bestehen, eine breite tolerante, rationale Mitte zu festigen. Statt Eskalation und Spaltung zu befeuern, sollten auch die etablierten Parteien sehr genau unterscheiden zwischen konservativ, rechtspopulistisch, rechts und rechtsextrem.

Statt die gesamte AfD zu verurteilen – die heute bei 20 bis 30 Prozent WählerInnen-Potenzial steht – sollten wir Druck auf die Partei ausüben, sich von ihren rechtsextremen Elementen zu distanzieren. Die Brandmauer verläuft eben nicht zwischen „uns“ und der AfD, sondern zwischen einer demokratischen Mehrheit von links bis rechts und den Rechts- bzw. Linksextremen an beiden Rändern.

Was wäre, wenn den Millionen „Gegen rechts“ Millionen „Für rechts“ gegenüberstünden?

Vor allem aber müssen die etablierten Parteien sich endlich auch selber fragen, was sie in den Augen ihrer abtrünnigen WählerInnen falsch machen. Warum so viele zur AfD abgewandert sind. Sind die alle rechtsextrem? Oder sind das überwiegend Frustrierte, die ihrem Protest nicht anders Ausdruck verleihen können als mit der Wahl der AfD? Und sind zum Beispiel auch die je 20.000, die bei der Bayernwahl im Oktober 2023 von der SPD und den Grünen zur AfD abgewandert sind, alles Rechtsradikale?

Ich habe noch nie verstanden, warum Sozialdemokraten, Grüne, Liberale, Linke und Konservative ihre Ex-WählerInnen nicht selber fragen, was sie in deren Augen denn falsch gemacht haben könnten – und was zu tun wäre, um von ihnen wieder gewählt zu werden.

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Die Dämonisierung der AfD kann doch nicht die Antwort sein. Das wird ihre WählerInnen nur noch mehr auf die Barrikaden treiben. Eher sollten die trotz alledem demokratischen Kräfte in der in Parlamenten sitzenden AfD gestärkt werden, um auch selber den Kampf zur Trockenlegung ihres rechtsradikalen Sumpfes durchstehen zu können - damit nicht die gesamte AfD in den rechtsradikalen Strudel gerissen wird und mit ihr sehr, sehr viele ProtestwählerInnen.

Ebenfalls dämonisiert wurde einst Sahra Wagenknecht. Mit ihrer zunehmenden Erstarkung ändert sich das gerade. Das ist kein Zufall. Schließlich ist sie jetzt das letzte Bollwerk gegen die AfD. Denn so mancher der vielen Protestwähler würde wohl lieber eine linksgerichtete Partei wählen als eine rechts positionierte.

Wäre da noch der Protest gegen die weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine und für Friedensverhandlungen. Dafür stehen sowohl die AfD wie Wagenknechts BSW. Gegen einen Krieg, den die vielfach unterlegene Ukraine auch nicht mit den vielen, vielen Waffen aus dem Westen gewinnen kann. Sie führt – wie der inzwischen entlassene oberste ukrainische Militärführer, General Saluschnyj, selber eingeräumt hat – nur noch einen „Verschleißkrieg“. Einen Krieg, der militärisch nicht gewonnen werden kann, aber Tag für Tag hunderte Tote kostet, in einer immer stärker verminten Ukraine und einem erschütterten Europa. Der neue Armeechef, General Syrskyj, hat den Spitznamen „der Schlächter“. Weil er „die Soldaten durch den Fleischwolf jagt“.

Mit den Toten wächst das Unbehagen auch der UkrainerInnen und ihre Kritik am kriegsbesoffenen Selenskyj, der jetzt noch weitere 500.000 Männer zwangsrekrutieren will. Die meisten würden elend an der Front krepieren. Wie lange kann das noch gehen? Wird die Ukraine implodieren und im Chaos und Elend versinken?

Am 13. Februar meldete die US-Nachrichtenagentur Reuters, Putin habe Washington über diverse Kontakte einen Waffenstillstand angeboten, „die Einfrierung des Konfliktes auf den jetzigen Frontverlauf“. Washington habe abgelehnt. Experten vermuten, dass dies ein erstes Signal Richtung Trump sei, dessen Sieg bei den Wahlen im Herbst nicht ausgeschlossen ist.

Wer könnte die AFD noch stoppen?
Vielleicht die Wagenknecht-Partei?

Dass der Protest gegen diesen sinnlosen Krieg, der ganz Europa erschüttert, in der deutschen Bevölkerung – die bei dem Thema in zwei Hälften gespalten ist – eine zentrale Rolle spielt, das wird in den meisten Medien heute noch nicht einmal thematisiert. Obwohl es doch so offensichtlich ist. Wirklich unheimlich.

Sahra Wagenknecht wird zu den EU-Wahlen antreten. Ein erster Test. Für die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September werden ihre Chancen zurzeit auf 17 Prozent geschätzt. In der Konstellation wäre sie vermutlich der einzige potenzielle Koalitionspartner der CDU (die SPD könnte unter 5 Prozent rutschen). Unter den Umständen ist anzunehmen, dass selbst die CDU ihre Scheu vor der BSW rasch verlieren wird. Es gilt schließlich, einen Ministerpräsidenten Namens Björn Höcke zu verhindern. Und der ist nun echt rechtsradikal.

ALICE SCHWARZER

 

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