Der Kaiserin erotische Träume

Frauen aus Paris, Schauspielernnen und Damen aus der "Halbwelt" von 1858 bis 1862. - Fotos: Museum Ludwig
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Im Alter von 33 Jahren beschloss Kaiserin Sisi, sich nicht mehr fotografieren zu lassen. Ihr Argument: Das bringe Unglück. Jedesmal, wenn sie sich habe fotografieren lassen, sei danach etwas passiert. Es liegt allerdings nahe, dass sie durch ihr Älterwerden nicht das Bild von der „schönsten Frau Europas“ zerstören wollte. „Wenn mich einmal die Zeit berührt hat, werde ich mich verschleiern, und die Leute werden von mir sprechen als von der Frau, die ich einst war“, soll sie zu ihrer Lieblingsnichte Marie Larisch gesagt haben. Gesagt, getan.

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Acht Jahre zuvor hatte Sisi begonnen, Fotos schöner Frauen zu sammeln. Beim Hoffotografen Angerer, aber auch in ganz Europa. In ihrem Auftrag schrieb der österreichische Außenminister an seine Botschafter: „I.M., die Kaiserin wünscht für ihre Privatsammlung photographierte Porträts schöner Frauen aus den vorzüglichen Hauptstädten Europas zu erhalten. Einen besonderen Werth würde Allerhöchstdieselbe darauf legen nebst dererlei Porträten orientalische Schönheiten, Photographien schöner Frauen aus der Haremswelt zu besitzen.“

Die gewünschten Fotos trudelten ein, aus Paris solche nicht aus der Haremswelt, sondern auch aus der Halbwelt. Sisi ließ die Fotos persönlich in Alben kleben, darunter das Amethyst-Album mit erotischen Fotos. Zusammen mit 17 weiteren Alben und insgesamt rund 2.000 Fotos ist es auf verschiedenen Wegen in das Museum Ludwig in Köln gelangt. Dort beugen sich nun KunsthistorikerInnen über den erhaltenen Schatz und fragen sich, ob diese Alben nicht eine Art Bilder-Tagebuch der Kaiserin seien. Ausdruck ihrer Fantasien von Weiblichkeit, oder sogar Gegenstand ihres Begehrens. Annika Ross sprach mit der Kuratorin der Sammlung, Miriam Szwast.

Sie haben 18 Fotoalben mit circa 2.000 Fotos aus dem Besitz der Kaiserin Sisi im Museum. War eine solche Fotosammlung damals in diesen Kreisen zeitgemäß oder eher ungewöhnlich?
Das war sogar sehr zeitgemäß. Es waren vornehmlich Frauen aus gehobenen Ständen, die in den späten 1850ern, 1860ern Alben mit sogenannten Carte-de-Visite-Fotografien, also Fotos im Kleinformat, füllten. Diese Alben wurden in der Kunstgeschichte lange als Hobby, als belangloser Zeitvertreib dieser Frauen abgetan, also – wie viele andere Ausdrucksformen weiblicher Kunst – belächelt. Doch vor einigen Jahren setzte ein Umdenken ein.

Wie sah das aus?
KunsthistorikerInnen haben erkannt, dass viele dieser Fotoalben nicht bloß lose Sammelsurien sind, sondern oft eine eigenständige Geschichte und viel über das Leben der Sammlerin erzählen. Die Fotos sind mitunter sehr bewusst ausgewählt und kreativ angeordnet worden. Das ist lange nicht erkannt worden, weil die einzelnen Fotos damals schon in großen Auflagen vertrieben wurden und ein Massenprodukt waren. Die Kompositionen sind aber das Entscheidende.

Und wie hat Elisabeth „komponiert“?
Von ihr gibt es ein sogenanntes „poetisches Tagebuch“. Diese Gedichte zeigen eine ganz andere Elisabeth als die, die viele durch die Marischka-Filme vor Augen haben. Vor diesem Hintergrund haben wir auf die Fotoalben geschaut. Mit dem Ergebnis: Die Fotos ergeben in ihrer Zusammenstellung ein visuelles Tagebuch, ein Pendant zum späteren poetischen Tagebuch. Es finden sich darin nämlich Kommentare, Schwärmereien und Spott zu verschiedenen Persönlichkeiten, ähnlich wie in ihren Gedichten. Elisabeth hat mit dem Sammeln um 1860 angefangen, als sie den Hof verlassen und ihre ersten Krisen erlebt hatte. Den Anfang machten ganz klassisch Familienfotos, die ihr zum Beispiel von ihren Kindern zugeschickt wurden, wenn sie auf Reisen war. Bekannt sind 39 Alben, die in nur vier Jahren entstanden und erst 1978 aus Familienbesitz versteigert wurden.

Was waren ihre Motive?
Auffällig ist erst einmal, dass sie von sich selbst - obwohl sie ja gerne als eitel und narzisstisch bezeichnet wird - kaum Fotos gesammelt hat. Unter den 2.000 Fotografien in der Sammlung des Museum Ludwig gibt es nur fünf Porträts von ihr. Darauf sieht man sie übrigens nie mit ihren Kindern. Sehr wohl aber auf anderen Bildern ihren Mann mit den Kindern. Sie dagegen erscheint vor der Kamera mit ihren Hunden, zu Pferd oder allein im Studio. Sie trägt auf den Bildern keine Krone, auch keine allzu bombastischen Kleider. Sie mochte Wolle und Leder am Körper, Kleidung, in der sie sich bewegen konnte und in der sie nicht „ins Geschirr gelegt wurde, wie die Pferde“. So hat sie es oft formuliert.

Nun gibt es etliche Bilder von schönen Frauen in verführerischen Positionen.
Ja, und damit hebt sich Elisabeth nun wirklich von der Masse der sammelnden Frauen ab. Das ist ungewöhnlich und für die Zeit nahezu skandalös. Sie hat Konsuln in Österreich, Sankt Petersburg, Berlin, London, Paris und Konstantinopel gebeten, ihr Bilder „schöner Frauen“ zuzusenden. Oft erhielt sie Bildnisse von Schauspielerinnen und Frauen aus der Halbwelt. Die sitzen rittlinks oder breitbeinig auf einem Stuhl, zeigen Bein. Und sie schauen direkt und selbstbewusst in die Kamera. Vier Aufnahmen sind auch im Oval angefertigt, also in Schlüssellochoptik. Sie werden kein Staatsporträt in Ovalform finden, denn das galt als intimes Format. Es sind also sehr private Bilder. Entsprechend war jedes dieser Alben auch mit einem Schloss versehen.

Warum wollte Elisabeth diese Fotos?
Dafür gibt es wohl mehrere Gründe. Die Frauen auf den Fotos arbeiteten mit ihrem Körper, hatten ein Stück weit Kontrolle über ihn, verdienten als Tänzerinnen etwa eigenes Geld und nehmen keine Opferhaltung ein. Es gehörte damals viel Selbstbewusstsein und Vermarktungstalent dazu, sich so fotografieren zu lassen. Viele der Frauen auf den Bildern der „Schönheitenalben“ hatten Berufe, brachen mit den Konventionen ihrer Zeit. Elisabeth fühlte sich selbst oft auch wie eine Schauspielerin. Aber es ist mehr. Sie hat diese Frauen „Schwestern“ genannt, sie hat sich ihnen nahe gefühlt. Vielleicht sogar sehr viel näher als der Verwandtschaft. Und es war vielleicht auch eine Möglichkeit für sie, eine Freiheit zu auszuleben.

Alice Schwarzer am 25. Februar bei ihrer Rede am Brandenburger Tor
Alice Schwarzer am 25. Februar bei ihrer Rede am Brandenburger Tor

Gab es auch ein erotisches Interesse bei Sisi?
Tja… Ich wünschte, wir hätten mehr Quellen. Es werden immer wieder Indizien gesucht, um zu beweisen, dass Elisabeth bisexuell oder lesbisch war. Oder asexuell, weil der Körper so ein Problem für sie war. Bei Kaisern und Königen gibt es ja die Zwei-Körper-Theorie, nach der ihnen ihr eigener Körper nicht ganz gehört, sondern auch dem Staat oder Land. So war es für Elisabeth auch. Sie musste gebären. Das war ihre Aufgabe. Als sie schwanger war, wurde sie von ihrer Schwiegermutter auf Spaziergänge geschickt, damit die Leute sehen konnten, wie der Thronfolger im Bauch wächst. Ihr war das zutiefst zuwider. Ich persönlich glaube, aus den Bildern spricht eher der Drang nach Freiheit, Selbstermächtigung und einem weiblichen Selbstbewusstsein als nach lesbischem Begehren. Von sich selbst hat sie für ihren Mann private Gemälde anfertigen lassen: im Nachthemd oder bei der Morgentoilette, im Oval geschnitten. Sie hat auch ihren Blick für Inszenierung mit diesen Fotos geschult.

Sie hat sich also nicht nur den Konventionen widersetzt, sondern auch die Kontrolle übernommen?
Absolut. Einerseits war sie medienscheu, andererseits ein Medienprofi. Sie wurde fast zeitglich mit der Fotografie geboren, 1837, und ist mit diesem Medium aufgewachsen. Sie hat auf Reisen auch Doubles verwendet. Hofdamen oder Frisörinnen, die ähnlich gekleidet und frisiert wurden wie sie, um bewusst die Menge abzulenken. Sie hatte immer ihren Fächer dabei, um sich schnell vor Kameraleuten zu verstecken. Sie wollte selber bestimmen, wann und wo sie fotografiert wird. Selbst in ihrem Sattel war eine kleine Ledertasche eingearbeitet, in der ein Fächer steckte, damit sie sich während eines Ausritts vor spontanen Fotografien, quasi vor den Paparazzi des 19. Jahrhunderts, schützen konnte.

Und das alles in diesem kreuzgefährlichen Damensattel…
Sie hatte ein Holzbein.

Wie bitte?
Elisabeth ist nicht wirklich im Damensattel geritten. Sie saß wie ein Mann auf dem Pferd, hat aber ein Holzbein seitlich am Sattel herunterbaumeln lassen, damit es wie im Damensitz aussieht. So konnte sie über Stock und Stein springen und den Schein wahren.

Wo wir gerade bei Geheimnissen sind, warum hatte sie eine Anker-Tätowierung?
Sie reiste gern und liebte Schiffe. Ihr Alter Ego in ihren Gedichten ist die Möwe. Auf See erlebte sie die Momente, in denen sie am freiesten und unabhängigsten war, Flucht und Freiheit zugleich. Sie verglich sich oft mit dem Fliegenden Holländer. In wilden Stürmen hat sie sich an Deck festbinden lassen, um den Sturm zu erleben. Ich glaube, die historische Elisabeth hält noch viele Geheimnisse parat. Leider ist ihr Nachlass, der von ihrer Lieblingstochter Marie Valerie auf Schloss Wallsee verwaltet wurde, bis heute nicht zugänglich.

Warum eigentlich nicht?
Darauf gibt es keine Antwort, und das lässt natürlich Raum für Spekulationen. Ich glaube, dass dieses Material noch viel Aufschluss darüber geben würde, wie Elisabeth wirklich gelebt, gedacht und gefühlt hat. Sie war eine gute Beobachterin und scharfzüngig. Unsere Foto-Sammlung gibt einen kleinen Einblick in das, was eventuell noch sehr viel deutlicher in Briefen und weiteren Tagebüchern zu lesen wäre. Um 1930 durfte zuletzt jemand in das Archiv, der Historiker und Elisabeth-Biograf Egon Caesar Conte Corti. Er hat die Foto-Alben übrigens als belangloses Hobby abgetan.

Auf der Bühne
Auf der Bühne

 

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