Alice Schwarzer schreibt

Mythos Sisi: Was ist ihr Geheimnis?

Neuer Fokus im Film von Frauke Finsterwalder: Sisi ohne Hofstaat, ohne Schwiegermutter und ohne Franz Joseph. - Foto: DCM_Bernd_Spauke
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Bis vor etwa einem Jahr war Romy die Einzige, die mit ihrem internationalen Blockbuster aus den 1950er Jahren bis heute überlebt hat. Da ist es nicht ohne Tragik, dass Romy selbst diese Rolle im Rückblick regelrecht gehasst, sich dafür geschämt hat. Zu Unrecht. Zumindest, was die erste der drei Sissi-Folgen angeht. Da ist die Romy-Sissi so erfrischend und mitreißend, dass sie ihre erfahrenen KollegInnen überstrahlt, Mutter Magda Schneider sowieso. Von dem jungen Naturtalent, das nie auch nur eine Stunde Schauspielunterricht hatte, wird wenig später die große Lilli Palmer, die mit ihr „Mädchen in Uniform“ gedreht hat, sagen: Wenn Romy die Szene betrat, wurden alle anderen Schauspieler unsichtbar.

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Romy hat dann zwar noch, widerwillig, zwei weitere Sissi-Folgen gedreht, eine vierte jedoch abgelehnt, trotz der für die damalige Zeit legendären Gage von einer Million Mark. Sie hatte recht. Die Filme von Regisseur Marischka waren kitschig. Sie entsprachen nach dem Zweiten Weltkrieg dem Zeitgeist: der Sehnsucht nach naiven, süßen Kindfrauen, ein bisschen keck, aber nicht zu sehr, und sodann ganz liebende Gattin und Mutter.

Die legendäre "Sissi" von Romy Schneider (1955). - Foto: IMAGO
Die legendäre "Sissi" von Romy Schneider (1955). - Foto: IMAGO

Schon Marischkas Sissi hatte allerdings nicht den Anspruch der historischen Wahrheit erhoben (die auch gar nicht so leicht rekonstruierbar wäre). Seine Nachfolger tun das ebenfalls nicht. Aber alle spüren dem Sisi-Spirit nach: der Frau, mit der sich noch nach fast zwei Jahrhunderten so viele Frauen identifizieren.

Bereits im Jahr 1920 entstand der erste Sisi-Film – und ausgerechnet ihre manchmal schofel behandelte Lieblingsnichte Marie Louise von Wallersee war an Drehbuch und Regie beteiligt. Erst 35 Jahre später folgte die Romy-Sissi.

Zu Weihnachten 2021 schenkte RTL der Nation die „Sisi“ (nun geschichtstreu mit einem S): sechs Folgen „Sisi“, sechs weitere sollen Weihnachten 2022 folgen. In dieser Serie verkörpert Dominique Devenport die Kaiserin. Zwar bleiben ihr ein paar spekulative Szenen nicht erspart – wie eine Masturbationsszene, wenn auch diskret gedreht, und eine blutige Entführung –, aber alles in allem darf Devenport der reiferen Sisi näher kommen als einst Romy. Über ihre Rolle sagt die Schauspielerin: „Sisi kommt aus einer Fantasiewelt. Gleichzeitig ragt ihre Biografie in die Moderne. Sie hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die Frauen heute ebenso kennen.“

Wohl wahr. Viele Frauen von heute haben ganz wie Sisi einen Diät- und Fitnesswahn. Die Kaiserin ließ sich täglich die hyperdünne Taille messen und in ein Korsett einschnüren. Ja, sie hatte sogar einen eigens für sie eingerichteten Fitnessraum. Wenn sie als Gattin des Kaisers schon so ohnmächtig war, wollte sie doch wenigstens Macht haben über ihren Körper und ihr Bild. Und ganz wie Frauen heute war sie als Mutter von drei Kindern auch im „Rabenmutter“-Konflikt. Ihre erste Tochter bekam auf einer Reise nach Ungarn die Ruhr und starb noch in Budapest daran. Die Mutter machte sich lebenslang Vorwürfe, denn sie hatte darauf bestanden, die Kleine mitzunehmen. Und ihr Sohn, der Kronprinz, beging als Erwachsener Selbstmord. Da ist es naheliegend, dass Sisi als Mutter ein schlechtes Gewissen hatte.

Und noch ein Aspekt war in der RTL-Sisi neu: Sie zeigt uns Kaiser Franz Joseph, ihren Mann, als kriegstraumatisiert. Was der sieglose Anführer vieler verlorener Schlachten zweifellos war. Das ist es vielleicht auch, was den Verlierer so einfühlsam sein ließ gegenüber den für die Zeit doch recht ungewöhnlichen Freiheitsbestrebungen seiner Gattin.

Sisi mit ihrem Hund "Housegard" (1865).
Sisi mit ihrem Hund "Housegard" (1865).

Ein halbes Jahr nach der RTL-Sisi kam „Corsage“ ins Kino, Drehbuch und Regie Marie Kreutzer, eine Österreicherin. Sie kommt als Filmemacherin mit ihrem am Ende ins Fantastische gleitenden Film der realen Sisi vermutlich am nächsten. Auch sie thematisiert Sisis Nähe zu Frauen und die Frage, ob es da nicht sogar manchmal Liebe war. Zu Recht bekam die eindrucksvolle Hauptdarstellerin Vicky Krieps für die Rolle einen Darstellerinnen-Preis in Cannes.

Die drei Filme sind von unterschiedlicher künstlerischer Qualität, thematisieren jedoch alle drei die Zwänge einer Frau, auch und gerade, wenn sie die Frau eines der mächtigsten Männer der Welt ist. Doch waren auch Sisis Zeiten keineswegs frei von Rebellinnen. So hatte die Französin Olympe de Gouges schon 1791 uneingeschränkte Bürgerrechte auch für Frauen gefordert und erklärt: „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich an Rechten. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen, also muss sie auch das Recht haben, die Rednertribüne zu besteigen.“ De Gouges landete dafür auf dem Schafott der 1789er-Revolutionäre. Ein knappes Jahrhundert später kam Sisi als bayrische Königstochter zur Welt.

Mitte des 19. Jahrhunderts, da wurde Kaiserin Sisi gerade gekrönt, machten die Frauenrechtlerinnen in Deutschland erste Schritte. Louise Otto-Peters forderte gerechten Lohn und Bürgerrechte für Frauen, und Hedwig Dohm 1876 als erste das Frauenwahlrecht.

Porträt der Kaiserin Sisi von Franz Xaver Winterhalter (1865).
Porträt von Franz Xaver Winterhalter (1865).

Hat Kaiserin Sisi davon gewusst? Vielleicht. Schließlich war sie als glühende Verehrerin des deutschen Dichters Heinrich Heine (1797–1856) eine politisch aufgeschlossene, moderne Frau. Der Düsseldorfer im Pariser Exil war ein sarkastischer Kritiker von Monarchien und Hierarchien, er träumte von Freiheit und Republik. Sisi schätzte Heine so sehr, dass sie schon als junge Frau für ein Heine-Denkmal in Düsseldorf spenden wollte. Aber daraus wurde letztendlich nichts, dank der Heine-Hasser in dessen Heimatstadt. Daraufhin ließ die Kaiserin für Heine ein Denkmal auf ihrem geliebten Korfu errichten. Auch das fand keine Ruhe. Es steht inzwischen im Joyce-Kilmer-Park in New York.

Kein Wunder also, dass auch die dichtende Kaiserin ätzende Verse gegen den von ihr verachteten Adel und die Spießer verfasste. So reimte sie in ihrem spät entdeckten „Poetischen Tagebuch“ ganz prosaisch, warum sie so gerne ein Floh bei ihrer kaiserlichen Verwandtschaft wäre: „Wär’ ich nur heut’ ein Floh! / Ich biss’ die hohen Gäste / Es juckte sie dann so, Die Herr’n unter der Weste/ Die Damen am Po.“

Wie wird nun die vierte Film-Sisi ausfallen? Wir dürfen gespannt sein, ob der seit geraumer Zeit angekündigte Sisi-Film von Frauke Finsterwalder den Aspekt der sarkastischen Sisi aufgreifen wird. Die fünfte Sisi, die angekündigte Netflix-Serie „Die Kaiserin“, wird das wohl kaum tun. Der Netflix-Trailer suggeriert eher: The Kitsch is back.

Noch zahlreicher als die Filme über Sisi sind die Bücher. Schon 1934 schrieb der Österreicher Conte Corti ein Psychogramm der Kaiserin unter dem Titel: „Elisabeth, die seltsame Frau.“ Er schöpfte auch aus privaten Quellen, Briefen und Tagebüchern, die heute nicht mehr öffentlich zugänglich sind. Fast alle folgenden Bücher zitieren aus seinem Buch, angefangen bei dem Klassiker der österreichischen Historikerin Brigitte Hamann, der 1982 unter dem Titel „Kaiserin wider Willen“ erschien, bis hin zu dem Roman der deutschen Schriftstellerin Karen Duve, deren Roman über Sisi gerade unter dem schlichten Titel „Sisi“ veröffentlicht wurde.

Duve, spezialisiert in Patriarchatskritik und emanzipierten Frauenlebensläufen, konzentriert sich auf zwei späte Jahre im Leben der Kaiserin. Sie spiegelt sie in ihrer Leidenschaft für Pferde und Parforce-Jagden als spätes wildes, wenn auch resigniertes Mädchen. Und sie wirft einen durchaus kritischen Blick auf den vermutlich zeitgemäßen Umgang der Kaiserin mit Abhängigen, von der Lieblings-Hofdame bis zur Lieblings-Nichte. Wir erfahren in Duves Roman allerdings nicht, wie bekannt die Kaiserin gleichzeitig war für ihre unzeitgemäße Mildtätigkeit für Arme oder Kriegsversehrte.

Sisi mit Franz Joseph. Eine Montage, auf der immer wieder verwendet, nur der Kaiser alterte. - Foto: IMAGO
Sisi mit Franz Joseph. Eine Montage, die immer wieder verwendet wurde, auf der nur der Kaiser alterte. - Foto: IMAGO

40 Jahre nach ihrer Kollegin Hamann veröffentlicht die Wiener Martina Winkelhofer „Sisis Weg“, den die Historikerin von Sisis Geburt 1837 bis zum Jahr 1865 verfolgt. Auch sie bestätigt, wovon alle ausgehen: Es war Liebe. Bei Franz Joseph auf den ersten Blick, bei Sisi später – trotz der Konflikte, die seine Abenteuer mit Prostituierten und Geliebten mit sich brachten. Doch noch in späteren Jahren schrieb der Kaiser an seine Frau: „Wenn du auch recht böse und sekkant warst, so habe ich dich so unendlich lieb, dass ich ohne dich nicht sein kann.“ Eine Liebesehe, das war in der Zeit ganz und gar ungewöhnlich, gar erst in Herrscherkreisen.

Noch ungewöhnlicher war die Bedingung, die Sisi nach jahrelangen Schikanen durch Schwiegermutter und Hofschranzen ihrem Mann am 24. August 1865 für ihr weiter Stillhalten auf dem ungeliebten Posten als Kaiserin schriftlich stellte: „Ich wünsche, dass mir vorbehalten bleibe unumschränkte Vollmacht in allem, was die Kinder betrifft. (…) bis zum Moment ihrer Volljährigkeit. Ferne wünsche ich, was immer meine persönlichen Angelegenheiten betrifft, wie unter anderem die Wahl meiner Umgebungen, den Ort meines Aufenthaltes, alle Änderungen im Haus etc. mir allein zu bestimmen vorbehalten bleibt. Elisabeth.“

Der Kaiser akzeptierte. Aus Liebe.

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