In der aktuellen EMMA

Der Schnäuzer: Er ist wieder da!

Der Schnäuzer feiert sein Revival - Foto: Tsimur Asayonak/Unsplash
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Man muss sich doch nur mal die Spitznamen anschauen, die man ihm verpasst hat, um zu wissen, dass mit ihm etwas nicht stimmt: Rotzbremse. Schenkelbürste. Pornobalken. Und selbst die regulären Bezeichnungen für diese eigenartige Haaransammlung unter Männernasen sind einfach nicht schön. Genau wie er selbst: der Oberlippenbart, der Schnurrbart, der Schnäuzer. 

Und obwohl kein Zweifel daran bestehen kann, dass es sich bei dieser Art Gesichtsbehaarung um eine ästhetische Zumutung handelt, ist dieser häss­liche Schnauzbart nun definitiv in Mode. Sämtliche Hoffnungen, dass der Kelch doch noch an uns vor­übergehen möge, haben sich zerschlagen. Schnäuzer allerorten, egal ob an Fußballern oder selbsternannten Feministen. Wie kann das sein? Und vor allem: Warum stört mich das derart, dass meine Kolleginnen und Freundinnen genervt die Augen verdrehen, wenn ich wieder ansetze zu einer Schimpftirade über diese „bescheuerten Bärte“. Und wenn bei jedem Bar- oder Restaurantbesuch meine Augen hektisch hin- und herflackern, von einem Schnäuzer zum anderen. „Da!“ zische ich dann. „Schon wieder einer! Jetzt guck doch mal! Das sieht so scheiße aus!“ Mein Gegenüber sagt dann etwas Beschwichtigendes wie „Jaja, du hast ja Recht“ und versucht, das Gespräch fortzu­setzen. Bis es in meinen Augen wieder flackert.

Der Schnäuzer ist ja nicht fahrlässig wie zum Beispiel eine schlabberige Jogginghose 

Also: Was genau an diesen Schnurrbärten macht mich so aggressiv? Erstens, dass es Männern, wie so oft, furchtbar egal ist, wie sie aussehen. Das haben sie Frauen meilenweit voraus, weshalb an diesem Punkt auch Neid aus mir spricht. Der Schnäuzer allerdings ist nicht fahrlässig wie eine schlabberige Jogginghose oder ein freier Oberkörper mit behaartem Kugelbauch im Hochsommer. Nein, wer einen Schnäuzer trägt, den er sich ja tagtäglich in Form rasieren muss, der weiß genau, was er tut.

Und was tut er? Er signalisiert offensives Machotum. Denn wer hat sie denn getragen, die Schnäuzer? Lassen wir jetzt mal Kaiser Wilhelm, Bismarck und auch Hitler beiseite, vernachlässigen wir Clark Gable als Rhett Butler und springen wir direkt in die 1970er Jahre. Von sechs „Village People“ trugen drei einen Schnäuzer, nämlich der Polizist, der Bau­arbeiter und der Lederschwule. Letztere wurden zu Prototypen des Schnurrbartträgers, von Freddie Mercury (der noch bartlos war, als er vormals mit Kajal und langen Haaren eher feminin unterwegs war) bis zu den hypermaskulinen Pornofantasien von Tom of Finland. Pornodarsteller wie Harry Reems (der aus „Deep Throat“) trugen Schnäuzer. Entschieden sympathischer, weil Machos mit Herz, waren Tom Selleck als „Magnum“ und Götz George als „Schimanski“. Das war Anfang der 80er. 

Dann kamen sie weg, die „Pornobalken“, und das ganz sicher auch Dank der Frauenbewegung. Sie wurden peinlich. Das sind sie immer noch, heute heißt das cringe. „Der Schnäuzer war einst Domäne von Pornostars, irgendwie unheimlichen Kerlen, Typen der Gegenkultur sowie des unmodernen Onkels“, schreibt die New York Times in einem Artikel mit dem Titel: „What Your Mustache Says About You“. Und das ist ja genau die Frage: Was sagt es denn über Männer, auch und gerade über sogenannte Feministen, wenn sie ganz bewusst diesem alten Machokult huldigen? 

Der Schnäuzer war einst Domäne von Pornostars und des unmodernen Onkels

Ich habe vor einigen Jahren schon einmal über das Thema Bärte geschrieben, als der Vollbart hip wurde. Ich wies darauf hin, dass nicht umsonst das Barttragen bei islamischen wie christlichen Fundamentalisten vorgeschrieben ist, weil der Bart den von den Fundis so gern zelebrierten Unterschied zwischen den Geschlechtern symbolisiert. Ich erklärte aber auch, dass die hippen, zarten Jungs mit den Vollbärten und den Strickmützen eher dem Typus verwuschelter Nerd entsprachen. Botschaft des Bartes: „Ich muss da grad mal was Cooles programmieren und hab mir irgendein T-Shirt aus dem Schrank gezogen und einfach keinen Bock, mich zu rasieren. Jetzt chill mal.“

Der Schnäuzerträger aber chillt nicht, er rasiert, und das akkurat. Das borstige Brett auf seiner Oberlippe lässt er stehen, ganz klar in voller Absicht. Ich möchte am Ende dieser Glosse, die ja amüsant und unterhaltsam sein soll, nicht ungebührlich ernst werden, aber: Ich finde das in Zeiten, in denen wir es mit einem derart heftigen maskulistischen Backlash zu tun haben, durchaus, nun ja: haarig.   

PS: Einige meiner EMMA-Kolleginnen behaupten, ich hätte einen Bartneid. Was für ein Unfug.

 

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