Ehe: Wunsch & Wirklichkeit

Der "schönste Tag im Leben" wird heute oft pompös gefeiert. Doch was kommt danach? - Foto: ozgurcankaya/istock
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Die Ehe ist in Deutschland immer noch die beliebteste Lebensform. 35 Millionen Menschen leben in einer Ehe, davon knapp 20 Millionen ohne Kinder im Haushalt. Nur 6,5 Millionen Menschen leben als unverheiratete Paare zusammen. Seit 2013 steigt die Zahl der Eheschließungen an. Hat die Ehe eine Renaissance?
Man muss mit diesen Zahlen vorsichtig sein. Denn erstens gibt es nach Corona einen enormen Nachholbedarf an Hochzeiten. Und zweitens sind in den letzten Jahren geburtenstarke Jahrgänge ins heiratsfähige Alter gekommen, so dass die absolute Zahl an Hochzeiten steigt. In Relation zur Bevölkerung ist der Anstieg aber sehr gering.

Im Vorwort Ihres Buches „Die Ehe in Deutschland“ schreiben Sie, dass die Ehe sehr wenig soziologisch erforscht sei. Wie kann das sein?
Weil die Soziologie die Ehe bisher vorwiegend im Hinblick auf die Familie betrachtet hat. Ich wollte die Ehe aber als eigenes soziales System beschreiben. Dass die Ehe fast immer nur im Zusammenhang mit der Familie erforscht wurde, war in der Vergangenheit auch gerechtfertigt. Denn früher wurden Ehen fast immer im Hinblick auf die Familiengründung geschlossen. Ehezeit und Familienzeit waren fast deckungsgleich. Das hat sich aber stark verändert, vor allem durch die gestiegene Lebenserwartung. Noch nie haben so viele Ehepaare ihre goldene, diamantene oder eiserne Hochzeit gefeiert. Heute ist folglich die Ehezeit sehr viel länger als die Familienzeit, also die Zeit, in der Eltern mit Kindern zusammenwohnen. Hinzu kommt: Ehepaare bekommen weniger Kinder als früher. Das bedeutet: Die Familienzeit beträgt heute im Leben einer Frau nur noch ungefähr ein Viertel. Zwei Viertel ihres Lebens leben die Ehepaare dann ohne Kinder zusammen – wenn sie sich nicht scheiden lassen. Und das heißt, dass die Paare sehr viel stärker als früher andere sinnstiftende Elemente für ihre Ehe finden müssen als die Kinder.

Schaffen sie das? Und wenn ja, wie?
Es ist sehr wichtig, dass in der Ehe die Kinder nicht das alleinige sinnstiftende Moment sind. Wenn Paare auch anderes Gemeinsames haben, dann schaffen sie es oft, auch in der nach elterlichen Phase zusammenzubleiben. Zum Beispiel sind noch in der Familienzeit gemeinsame Rituale wichtig, die ohne die Kinder stattfinden. Das Entscheidende ist aber, dass in der Ehe das Gespräch beständig gepflegt wird. In diesen Gesprächen müssen nicht immer tiefgreifende Probleme gewälzt werden, es kann auch um Alltägliches gehen. Einfach um Dinge, die einem Paar gemeinsam wichtig sind.

Und wie steht es mit der Sexualität?
Darüber weiß man relativ wenig. Was man aber schon sagen kann: Auch in langjährigen Ehen spielt die Sexualität eine große Rolle. Auch als Kitt für die Beziehung. Und zwar auch, weil die Frauen sich an diesem Punkt sehr verändert haben. Sie sind sehr viel freier geworden, das hat ja schon mit der Pille angefangen. Frauen sind inzwischen auch fordernd in Bezug auf die Sexualität und viel aktiver als früher.

Sie erforschen die Ehe seit vielen Jahrzehnten. Welche Entwicklungen haben Sie überrascht?
Dass die Eheschließung im Gegensatz zu früher eine reine Symbolfunktion bekommen hat. Materielle und rechtliche Sicherheit werden als Grund für die Eheschließung zwar auch genannt, aber erst an zweiter oder dritter Stelle. An erster Stelle steht heute, dass das Paar seine Liebe bekunden will. Mit der Eheschließung will man der Öffentlichkeit demonstrieren, dass die Ehe für eine andere Qualität der emotionalen Beziehung steht. Dass also diese Beziehung eine ganz besondere ist. Und diese Symbolfunktion ist dann natürlich mit einem hohen Aufwand und Anspruch verbunden. Man fragt sich ja, warum die Hochzeiten heutzutage so groß sind und immer größer werden. Aber wenn man öffentlich bekunden will, wie wichtig diese Beziehung ist, dann muss man eben auch eine große Öffentlichkeit herstellen.

Jedes fünfte Paar gibt über 15.000 Euro für die Hochzeit aus.
Ja. Es sind ja um die Hochzeit herum ganze Betriebszweige entstanden.

Die Hochzeitsfeiern werden aber nicht nur immer größer und aufwändiger, Sie stellen auch eine „Retraditionalisierung“ fest. Die Mehrheit der Frauen trägt bei der Hochzeit wieder Weiß, der Vater führt die Braut zum Altar.
Ich muss ehrlich sagen: Damit habe ich nicht gerechnet. Aus feministischer Sicht muss man feststellen, dass es bei Frauen eine ambivalente Haltung gegenüber den Ansprüchen an den Ehepartner gibt. Man möchte einerseits eine freie, selbstständige Frau sein, andererseits möchte man sich doch noch an den Mann anlehnen. Das alte Muster ist also noch latent vorhanden. Und als Braut in Weiß, die sich vom Vater an ihren Mann übergeben lässt, kann sich die Frau nochmal in die alte, traditionelle Rolle kleiden. Aber das ist eigentlich nur ein Schauspiel.

Kann es sein, dass es eine Art Beschwichtigungsgeste an den Mann ist? So wie auch die Tatsache, dass immer noch drei von vier Frauen den Namen des Mannes annehmen?
Das könnte man vermuten. Aber da wären Psychologen und Psychologinnen gefragt. Leider haben junge Frauen nicht mehr präsent, wie heftig andere Frauen dafür gekämpft haben, dass Frauen bei der Eheschließung ihren Namen behalten dürfen. Was vielen ja übrigens auch nicht klar ist: Der Gesetzgeber hat beim Unterhaltsrecht die Hausfrauenehe abgeschafft.

Aber nicht beim Ehegattensplitting …
Genau. Deshalb geben immer noch viele Frauen die Erwerbstätigkeit auf oder arbeiten Teilzeit. Die Hausfrauenehe ist zwar sehr viel seltener geworden, aber dafür hat die Zuverdienstehe sehr stark zugenommen. Aber nach einer Scheidung bekommen die Teilzeit arbeitenden Frauen eben keinen Unterhalt. Eine Untersuchung des Justizministeriums zeigt: Das wissen die Frauen zwar, aber sie glauben sehr blauäugig an die Fiktion der Unendlichkeit der Ehe. Nach dem Motto: Bei uns wird das schon gutgehen! Aber es wird nun mal jede dritte Ehe geschieden.

Und wer reicht die Scheidung ein?
Überwiegend die Frauen, denn die sind die Unzufriedeneren in den Ehen. Es gibt eine interessante Untersuchung, die alle Studien der Welt über die Zufriedenheit in Ehen zusammengetragen hat. Und in allen Ländern sind die Männer immer zufriedener mit ihren Ehen als die Frauen. Und wir haben in einer eigenen Untersuchung festgestellt, dass sich die Frauen häufig aus einer Ehe verabschieden in der Hoffnung: Vielleicht merkt er dann endlich, dass in unserer Ehe was nicht stimmt. Denn interessanterweise merken die Männer oft gar nicht, wie schlecht es um ihre Ehe bestellt ist. Wir haben biografische Interviews mit Männern geführt und uns über ihre Ehe erzählen lassen. Und da hat ein Mann zum Beispiel erzählt: „Ich habe an dem Tag noch zu meinem Arbeitskollegen gesagt, was ich für eine gute Ehe führe. Und als ich nach Hause kam, war die Wohnung leer.“ Männer haben da weniger Empathie als Frauen, sie fühlen sich weniger in ihre Partnerin ein und sie kommunizieren weniger. Männer verlassen die gemeinsame Wohnung übrigens meist erst dann, wenn sie eine neue Partnerin haben. Das ist bei Frauen nicht der Fall.

Gibt es besonders riskante Zeiten für Ehepaare?
Wir haben verschiedene Scheidungszyklen. Das verflixte siebte Jahr ist ja allgemein bekannt, wobei es eher das dritte bis fünfte Jahr ist, in dem die erste Scheidungswelle läuft. Die nächste Welle kommt in der Familienphase. Nach der Geburt von Kindern wächst oft die Unzufriedenheit mit der Ehe. Das Leben mit kleinen Kindern bringt ja viele Veränderungen mit sich, da gibt es Zeitprobleme, finanzielle Probleme und so weiter. Und dann haben wir nochmal eine erhöhte Scheidungsquote, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Denn wenn die Kinder der einzige Sinngehalt der Ehe waren, dann fällt dieser Sinn mit dem Auszug der Kinder eben weg.

Zu den Dingen, die sich in den letzten Jahr zehnten überhaupt nicht verändert haben, gehört, dass Frauen immer noch ältere und größere Männer heiraten.
Ja. Der Altersunterschied beträgt im Schnitt immer noch drei Jahre, wobei die Frau in aller Regel jünger ist als der Mann. Dass der Ehemann jünger ist als die Ehefrau, ist eher ein Ausreißer.

Und bei Prominenten ist das dann, auch wenn es nur um ein paar Jahre geht, gleich ein Fall für die Bunte.
Genau. Woran wir sehen, dass es eben nicht der Norm entspricht.

In Ihrem Buch erfahren wir, dass die Konstellation ältere Frau/jüngerer Mann früher gar nicht so selten war, weil in Handwerksbetrieben nach dem Tod des Meisters die Meisterin häufig den Gesellen geheiratet hat.
Das war der Zunftordnung geschuldet. Die Witwe des Meisters konnte nicht jeden Mann heiraten, wenn sie den Betrieb weiterführen wollte. Die Frauen waren früher übrigens oft auch größer als die Männer. Größe und Alter der Frau spielten damals gar keine Rolle. Das kam erst mit der bürgerlichen patriarchalen Ehe. Da wurde die Ehe zu einer reinen Versorgungsinstitution. Die Frau war ökonomisch abhängig vom Mann, weshalb der oft älter war, denn er musste sie „versorgen“ können. Die schwache, anlehnungsbedürftige Ehe frau, die regelmäßig in Ohnmacht fiel, gab es vorher nicht. Im Übrigen waren das oft arrangierte Ehen.

Deren Zahl wächst heute wieder in migrantischen Milieus. Zu den arrangierten Ehen und Zwangsverheiratungen gibt es aller dings wenig valide Zahlen und eine sehr hohe Dunkelziffer. Wieso gibt es in diesem Bereich, wo es immerhin um eine Straftat geht, so wenig Forschung?
Genau deshalb. Die Untersuchungen, die wir haben, sind nicht repräsentativ. Meist berichten Beratungsstellen über ihre Erfahrungen. Das Problem ist: Anders kommen Sie an diese Zahlen ja auch nicht ran.

Wie wird es mit der Ehe weitergehen?
Meine Prognose ist: Die Zahl der Scheidungen wird steigen, denn die nach familiale Phase, in der die Paarbeziehung das sinnstiftende Element der Ehe ist, wird immer länger und damit immer anfälliger für Enttäuschungen. Die Zahl der Eheschließungen wird abnehmen. Aber ganz verschwinden wird die Ehe nie, weil mit der Ehe schließung eine besondere Qualität der emotionalen Beziehung öffentlich dokumentiert werden soll. Zum anderen verspricht sie eben doch vielen die Hoffnung auf größere Sicherheit und Stabilität. Sie wird also eine Minorität unter anderen Lebensformen sein, aber weiterhin Bestand haben.

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