Alice Schwarzer schreibt

Bomben auf Syrien - wem nutzen sie?

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Dieser Text wird am 4. Dezember geschrieben. Eben hat der Bundestag den Einsatz von 1.200 deutschen Soldaten im Syrien-Krieg beschlossen. Nächste Woche soll es losgehen, in der Luft wie zur See. Es wurde namentlich abgestimmt, wie bei schweren Gewissensfragen üblich. 445 gegen 145. Geschlossen dagegen: die Linke. Mehrheitlich dagegen: die Grünen (Die scheinen nur für Krieg zu sein, wenn sie an der Regierung sind). Cem Özdemir gab seine Stimme gleichzeitig mit der Kanzlerin ab. Die beiden standen sich quasi gegenüber – und Angela Merkel lächelte ihn an. Anzunehmen, dass ihr das Lächeln noch vergehen wird. Spätestens dann, wenn der erste deutsche Soldat, die erste Soldatin im Zinksarg überführt wird.

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Schon im Irak und in Libyen hat der Westen Fehler gemacht. Jetzt Syrien.

Doch die zu befürchtenden deutschen Opfer werden uns zwar besonders nahe gehen, sind aber nichts gegen die zu erwartenden tausende, ja zehntausende toter Syrer. Schon jetzt wird von 250.000 Opfern im (Bürger)Krieg gesprochen; plus über elf Millionen auf der Flucht, davon vier Millionen außerhalb des Landes. Nun aber geht es erst richtig los.

Schließlich ist es hinlänglich bekannt, dass bei Luftangriffen auf den jeweiligen „Feind“ 70-80 Prozent der Opfer Zivilisten sind. Frauen, Männer, Kinder. Kollateralschäden. Raqqa, die größte Stadt in der Faust der selbsternannten „Islamischen Staates“ hat zirka 200.000 EinwohnerInnen. Die haben ihre vorgeblichen Befreier ab sofort nicht minder zu fürchten als ihre Besatzer.

Es ist ebenso bekannt, dass alle „Befreiungskriege“, die der Westen in den letzten 25 Jahren im Nahen Osten angezettelt hat, für die Bevölkerung noch mehr Grauen und für die Gotteskrieger noch mehr Macht gebracht haben. Selbst führende amerikanische Militärs und Politiker räumen inzwischen ein, dass der Golfkrieg und der Sturz von Saddam Hussein 2001 ein schwerer Fehler war. Ohne den Irakkrieg gäbe es heute keinen Islamischen Staat. Erst dieses Desaster hat den Gotteskriegern den Sprung von marodierenden Terroristen zur organisierten Armee ermöglicht.

Zwölf Jahre später wiederholte der Westen den exakt gleichen Fehler 2013 in Libyen. Nur mit dem westlichen Flankenschutz konnten die Aufständischen den zwar autokratischen, aber immerhin weltlichen Herrscher Gaddafi entmachten (Da allerdings hatte die Kanzlerin Deutschland noch klugerweise rausgehalten). Heute ist das im Chaos versunkene Land in der Faust der Islamisten, die bis hin nach Mali wüten und ihre Nachbarländer Tunesien, Ägypten und Algerien ernsthaft bedrohen. 

Wir stützen den IS-Freund Erdogan, aber bekämpfen Präsident Assad

Jetzt also Syrien. Anscheinend gänzlich unfähig, aus vergangenen Fehlern zu lernen, bombardiert der Westen jetzt auch da. Sterben werden dabei mal wieder vor allem die Anderen.

Statt endlich Assad in seinem Kampf gegen die Islamisten zu unterstützen – mit der Hoffnung auf eine Stabilisierung des Landes und spätere demokratische Wahlen, bei denen das Volk selbst über seinen Staatschef entscheiden kann – stattdessen versucht der Westen wieder einmal, einen von Islamisten bedrängten, weltlichen Herrscher zu stürzen. Und auch die meisten Medien machen mit bei der unrealistischen Unterscheidung zwischen „Islamischem Staat“, „Nusra“ und so genannten „Rebellen“. Dabei ist schon lange klar, dass die Grenzen zwischen diesen Gruppen fließend sind: Die Söldner ziehen dahin, wo sie den höchsten Lohn bekommen. Und den zahlt der plündernde, von der wahren „Achse des Bösen“, Saudi-Arabien und Katar, alimentierte IS.

Der ursprüngliche Bürgerprotest in Syrien gegen Assad ist schon lange von den Islamisten kassiert worden. Bei dem Kampf gegen den syrischen Staatschef kann nur noch der IS gewinnen; aus dem autokratisch, aber weltlich regierten Land würde ein Gottesstaat.

Einer der Freunde der Gottesstaatler war und ist der türkische Staatspräsident Erdogan, ein in der Wolle gewaschener Islamist. Er hat dem IS über Jahre Trainingslager und Rückzugsgebiete in der Türkei geboten sowie Waffen. Und es ist wahrscheinlich, dass Putin recht hat, wenn er Erdogan jetzt bezichtigt, weiterhin (Öl)Geschäfte mit dem IS zu machen.

Und was macht der Westen? Er fällt dem russischen Staatschef in den Rücken und zahlt Erdogan Milliarden, damit der uns die Flüchtlinge vom Hals hält. Die armen Flüchtlinge. Die werden sich in der Türkei vielleicht bald wünschen, niemals geflohen zu sein. Allerdings: Wohin sollen sie, wenn die Bomben fallen?

Unerhört auch vom Westen, nicht klar den Abschuss der russischen Maschine zu verurteilen, die 17 Sekunden lang (siebzehn!) über türkisches Staatsgebiet geflogen war. Im türkischen Fernsehen hatte sodann ein „turkmenischer Kommandant“ (ganz was Neues) Gelegenheit, damit zu prahlen, einen der russischen Piloten am Rettungsschirm abgeknallt zu haben. Er tat das, schreibt die Deutschtürkin Lale Akgün, „im reinsten ostanatolischen Dialekt“, während hinter ihm Allahu-Akbar-Rufe erklangen. Inzwischen sei bekannt, so Akgün weiter, dass der angebliche Turkmene „ein bekannter Islamofaschist aus Elazig sei, mit Namen Alparslan Celik“. Wie verlogen ist das denn alles?!

Ja, auch ich war erschüttert, sehr erschüttert über die Anschläge in Paris. 131 Tote am 13. November, abgeknallt wie räudige Hunde im übermütigen Bataclan und auf den Terrassen der Boulevards. Aber ich bin auch erschüttert über die 44 Toten am 12. November in Beirut, hochgejagt von zwei IS-Selbstmordattentätern. Oder die acht Toten neun Tage später in Maiduguri/Nigeria, ermordet von Boko-Haram-Selbstmordattentätern. Oder die 13 Toten elf Tage später in Tunis, gestorben bei einem Sprengstoff-Attentat auf die Präsidentengarde. Und die 155 Toten am 18. Juli auf dem Markt in Bagdad, mitgenommen von einem Sprengstoff-Attentäter. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Die Liste der muslimischen Opfer in den von Islamisten beherrschten bzw. bedrohten Ländern ließe sich endlos fortsetzen. Doch das hat uns im Westen nie sonderlich erregt. Es sind ja nur die Toten der Anderen. Nicht unsere.

Statt Bomben zu werfen, sollten wir mit jungen MuslimInnen reden!

Ganz zu schweigen von den 250.000 Toten in den 1990er Jahren in Algerien, die Opfer des von den Islamisten angezettelten Bürgerkrieges wurden. Die heute in Syrien beklagten Gräuel, wie die versklavten und vergewaltigten Frauen, waren dort jahrelang an der Tagesordnung. Doch das hat den Westen wenig interessiert. Schlimmer noch: Vor allem Linke haben die Terroristen als „Rebellen“ gegen die Militärregierung verklärt.

Jüngst beklagte der algerische Schriftsteller und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Boualem Sansal, diese doppelte Moral. Und er wies darauf hin, dass die Islamisten nicht nur morden, sondern auch sozial und politisch agieren. Sansal: „Es geht um Indoktrinierung. Die Jugend ist desorientiert und sucht nach einem Lebenssinn.“

Können wir diese Leere mit Bomben bekämpfen? Müssten wir nicht endlich auch versuchen, die Köpfe und Herzen der Verführten zu erreichen? Statt auch mitten in Europa rückwärtsgewandten Muslimen nach dem Munde zu reden, im Namen von „Toleranz“ und „Religionsfreiheit“? 

Würden wir nur einen Bruchteil der Milliarden, die wir jetzt in Waffen stecken, in die Sozialarbeit mit den Töchtern und Söhnen der MigrantInnen in Europa investieren, könnten wir vielleicht ihre Herzen und Köpfe (zurück)erobern. Und wir könnten den Rattenfängern in den islamistischen Ländern beweisen, dass es auch bei uns mehr gibt als nur Konsum und Hochmut. Statt noch mehr junge Menschen in die Fänge des IS zu treiben, müssten wir unsere Werte – Demokratie! Rechtsstaat! Gleichberechtigung! – offensiv mit Inhalten füllen. Und stolz darauf sein.

Alice Schwarzer

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Alice Schwarzer schreibt

Paris: Der Krieg ist angekommen

© Carlos Latuff
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Der Krieg, vor dem – direkt oder indirekt – Millionen Menschen in Nahost und Afrika zu uns flüchten, ist bei uns angekommen. In Paris fielen am Freitagabend 132 Menschen an sechs Orten Allahu-Akhbar-schreienden Terroristen zum Opfer. Mindestens 99 Menschen sind lebensgfährlich verletzt. Die Mörder sprengten sich entweder mit Sprengstoffgürteln in die Luft, wie am Stadion, wo gerade Frankreich gegen Deutschland spielte und auch Präsident François Hollande und Außenminister Steinmeier auf den Tribünen saßen. Oder sie ballerten mit Kalaschnikows wild in die Menge, auf Restaurantterrassen und in der Konzerthalle Bataclan, wo gerade eine amerikanische Hardrockgruppe auftrat. 82 Tote.

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"Der IS wird 
Djihadisten in
Herkunftslän-
dern einsetzen."

Frankreich ist unter Schock. Präsident Hollande erklärte den Ausnahmezustand. Alle öffentliche Orte und Märkte blieben am Samstag geschlossen. Paris gleicht einer Festung.

Das Grauen kommt nicht überraschend für Frankreich. Premierminister Valls hatte nach dem Attentat auf Charlie Hebdo Anfang des Jahres erklärt, es müsse mit noch weitaus Schlimmerem gerechnet werden. Denn in Frankreich leben 1.730 „potenzielle Djihadisten“, darunter hunderte Rückkehrer aus Syrien und Irak sowie dutzende Konvertiten. Und bereits im Juni 2014 vermeldete ein Report des Abgeordneten Eric Ciotti, der frankreich– und europaweit mit einer Sonderkommission rund 50 Untersuchungen durchgeführt hatte: „Es ist davon auszugehen, dass der islamische Staat westliche Djihadisten in ihren Herkunftsländern einsetzen wird.“

Auch in Berlin wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Aus gutem Grund. Der Verfassungsschutz geht heute von rund 700 deutschstämmigen Gotteskriegern in Syrien und Irak aus – plus 230 deutschen Djihadisten, die schon wieder aus Nahost in ihr „Herkunftsland“ zurückgekehrt sind, darunter mindestens 50 mit „Kampferfahrungen“. Es kann also auch hier losgehen. Denn für diese Leute herrscht Krieg. Ein gerechter Krieg. In Nahost wie im Herzen Europas.

Es ändert nichts mehr an der aktuellen dramatischen Lage, jetzt zu sagen, dass der Westen sich erstens dieses Drama selber mit eingebrockt hat, und Europa zweitens diese seit Jahrzehnten unübersehbare Entwicklung schlicht ignoriert hat.

Der Westen hat
sich das Grauen
selber mit
eingebrockt.

Dennoch sei daran erinnert. Daran, dass der ideologische Kreuzzug der Islamisten 1979 mit der Machtergreifung von Ayatollah Khomeini in Iran begann. Daran, dass die Islamisten in den 1980er und 1990er Jahren Afghanistan, Tschetschenien, den Kosovo und Algerien in Flammen setzten. Daran, dass sie erwartungsgemäß in das Machtvakuum stießen, dass die Beseitigung autokratischer, jedoch immerhin weltlicher Herrscher wie Saddam Hussein oder Muhammad Gaddafi hinterließen.

Und es sei daran erinnert, dass die in Iran und Pakistan ideologisch munitionierten sowie von Saudi-Arabien(!) und Katar finanzierten Islamisten seit den 1980er Jahren im Herzen von Europa – und auch mitten in Deutschland – agitieren. Unwidersprochen und ungehindert. Denn das Ganze läuft ja bis heute unter der Flagge „Religionsfreiheit“. Als sei es diesen Kräften jemals um Glaubensfragen gegangen: Es geht um Machtfragen. Und um Krieg gegen "alle Ungläubigen".

Präsident Hollande kündigte „verstärkte Kontrollen an den Grenzen Frankreichs an“. Das kann er sich sparen. Die Gotteskrieger sind mitten in Frankreich – und in den meisten Fällen Franzosen.

Alice Schwarzer

Aktualisiert am 16.11.2015
 

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Alice Schwarzer (Hg.): "Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz" (2002) und "Die große Verschleierung - für Integration, gegen Islamismus" (2011), beide bei KiWi. mehr

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