Diana boxt sich hoch

Margarete Mitscherlich
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Einen weiblichen Marlon Brando hat die Regisseurin gesucht - und gefunden. Fikriye Selen, die echte türkisch-deutsche Boxerin, hat sich für EMMA die latino-amerikanische Film-Boxerin angesehen.

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Mein erster Gedanke war: Näher kann man der Realität des Boxsportes nicht kommen. Regisseurin Karyn Kusama, die auch das Drehbuch geschrieben hat, hat selber geboxt. Und sie hat ihre Hauptdarstellerin Michelle Rodriguez fünf Monate lang acht Stunden am Tag in Amerikas berühmtestem Box-Club, dem Gleason’s Gym, trainieren lassen. Es ist, als würde man den Schweißgeruch in der düsteren Fabrikhalle riechen, das Vibrieren der Sandsäcke spüren, die konzentrierte Anspannung der Boxerin fühlen.
Schon seit Jahren ging das Gerücht, Hollywood würde demnächst die Geschichte einer Boxerin verfilmen. Jetzt kommt „Girl- fight“ in die Kinos, aber nicht aus Hollywood. Der Film ist eine Lowbudget-Produktion, wohl nicht zufällig finanziert von drei Frauen. Und er trifft ins Schwarze, auch bei Kritik und Publikum: Hauptdarstellerin Rodriguez wird als Oscar-Anwärterin gehandelt.
Auch ich habe mich in der Film-Boxerin wiedererkannt. Zwar komme ich nicht wie Diana Guzmann aus Brooklyn und auch nicht aus so kaputten Familienverhältnissen – Tochter Diana macht ihren gewalttätigen Vater für den Selbstmord ihrer Mutter verantwortlich –, sondern bin von meinem Vater gefördert worden und habe in seinem Box-Club Vaters angefangen. Aber sie ist Latino-Amerikanerin in den USA und ich bin Türkin in Deutschland. Und ich kann ihren Konflikt zwischen der wachsenden Kraft als Boxerin und der steigenden Verletzlichkeit als Frau nur zu gut nachvollziehen.
Diana boxt sich hoch, vorbei am rivalisierenden Bruder und Auge in Auge mit ihren Gegnern. Regisseurin Kusama über ihre Heldin: „Je mehr sie an Selbstachtung und Stärke gewinnt, je mehr sie das Gefühl hat, alles unter Kontrolle zu haben, desto sensibler und verletzlicher wird sie. Ich hoffe, an dieser Charakterentwicklung ist auch etwas Wahrhaftiges.“
Ja, Dianas Entwicklung ist stimmig. Der Film zeigt, was auch ich ganz besonders intensiv beim Boxen empfinde: das harte, hingebungsvolle Training; die starke Beziehung zwischen der Boxerin und dem Trainer; das Boxen als Selbstfindung und Ausdrucksmittel; der Idealismus und die Geradlinigkeit der Athleten. Besonders wichtig finde ich auch die Ernsthaftigkeit und Disziplin, mit der Diana ihren Sport betreibt.
Boxen als ganz gewöhnlichen Sport darzustellen und Frauen zu ermutigen, in die Boxvereine zu stürmen, das wäre ganz klar die falsche Botschaft, wenn auch immer mehr Frauen boxen: Allein im New Yorker Gleason’s Gym trainieren heute 138 Frauen. Doch wer Boxerin werden will, wer Wettkämpfe bestreiten möchte, muss bereit sein, den Preis zu zahlen. Demütig durch Trainingshöllen gehen. Einmal mehr aufstehen als dein Gegner. Hart im Nehmen sein. Wer nicht bereit ist, dem Sport den Platz zu geben, den er braucht, wird vielleicht boxen können, aber kann keine Kämpferin werden.
Das alles zeigt der Film. Während der Trainingsszene in der dunklen, heruntergekommenen Trainingshalle in New Jersey schwenkt die Kamera immer wieder zu alten Tafeln mit Boxerweisheiten. „Winners never quit“ (Sieger geben niemals auf), das war nach verlorenen Kämpfen auch einer der wenigen Kommentare meines Trainers. Oder: „Champions are made not born“ (Man wird nicht als Sieger geboren, sondern dazu gemacht). Und: „If you don’t train, someone else will do“ (Wenn du nicht trainierst, wird es ein anderer tun). Der Gegner des nächsten Kampfes ist immer präsent. Immer wieder hat man es auch mir im Training zugerufen, bis ich es verinnerlichte: „Das Leben ist wie ein Boxkampf. Man muss immer wieder aufstehen!“
Michelle Rodriguez, die Diana spielt, ist dafür eine Traumbesetzung: roh und ungeschliffen, wie ein Straßenköter, aber gleichzeitig fesselnd schön und unheimlich weiblich. Politisch provokant, aber professionell unrealistisch ist, dass die Boxerin Diana gegen Männer antritt. Das dürfen im Leben die Frauen bisher nur im Training. Und noch unrealistischer ist, dass sie dann auch noch gegen den eigenen Freund, der mehrere Klassen über ihr ist, boxt – und ihn in einem dramatischen Kampf besiegt.
Die Botschaft scheint klar: Eine Frau kann so gut boxen wie ein Mann, und sie kann auch einen Mann besiegen. Was stimmt. Eine Boxerin mit der entsprechenden Technik, Kraft und Coolness könnte ohne weiteres einen Boxer ihrer Klasse schlagen. Aber sie würde es vermutlich nicht tun. Sie würde es sich gar nicht erlauben können. Denn die Boxwelt ist natürlich eine Männerwelt – wo Frauen noch die Ausnahme sind und sich weigern müssen.
Ich zum Beispiel stand vom ersten Tag an immer als erste in der Trainingshalle und war die Letzte; die, die das Licht in der Halle ausknipste. Auch darum hatten alle Respekt und wurde ich in die Familie der Boxer aufgenommen. Ich war nicht mehr irgendeine Frau, sondern Schwester und Trainingspartnerin. Das ist für eine Frau die höchste Anerkennung, die man in einem solchen Männerverein erlangen kann. Ich wäre darum auch nie öffentlich gegen einen meiner „Brüder“ aufgetreten.
Es ist überhaupt unter Boxern wie Boxerinnen unüblich, gegen einen Gegner in einem anderen Ausbildungsstadium zu kämpfen. Das gilt als unfair. Tut man es dennoch, lässt der hierarchisch Stärkere den Schwächeren gewinnen.
Was also will der Film uns mit dieser dramatischen Konfrontation zwischen Diana und ihrem Freund und Trainer sagen? Hat Hector seine Freundin Diana gewinnen lassen? Oder ist er – unehrenhaft – von der eigentlich unter ihm in der Box-Hierarchie Stehenden besiegt worden? Heißt das, dass eine Boxerin zwangsläufig in die Konkurrenz mit den Männern und den Konflikt mit der Liebe geraten muss? Das wäre schade. Und ich selbst sehe es auch nicht so. Ich hoffe, dass die Fähigkeit zu kämpfen und die zu lieben, sich nicht ausschließen müssen. „Girlfight“ gibt auf diese vielleicht nicht nur für Boxerinnen so zentrale Frage keine eindeutige Antwort. Erst wendet der geschlagene Freund sich ab, aber dann... Ich will nicht alles verraten. Nur eins: In dem Film ist viel zu sehen vom Herz einer Boxerin – und ihren Fäusten.     

Dianas „Girlfight“ ist angelaufen. – Fikriye Selen (oben im Kölner Boxclub) bereitet sich gerade auf die türkischen Box-Meisterschaften im April/Mai vor und studiert nebenher Wirtschaft in Utrecht und Bradford. - Fikriye in EMMA: 4/96.

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