Im Namen des Herrn

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So erwartete denn auch der Schwiegervater von Mary Shelley (1797–1851), dass sein Name nie und nimmer durch Platzierung auf einem Buchumschlag mit dem Titel Frankenstein entweiht würde. Und Fanny Lewalds (1811–1889) jüngere Schwestern baten die gerade mit ihren ersten Romanen hervorgetretene Fanny inständig, sich doch einen Künstlernamen zuzulegen. Käme heraus, dass da eine Schriftstellerin zur Familie gehöre, würden ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt dramatisch sinken.

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Den drei Schwestern Brontë (erste Hälfte 19.J.) wäre es gänzlich unpassend erschienen, mit den eigenen Namen in der Welt der Literatur aufzutauchen. Hinter "Currer, Acton und Ellis Bell" fühlten sie sich weit sicherer. Ihre Biographin Else-Marie Maletzke zitiert zum Thema Schriftstellerinnen einen Kritiker aus dem Jahre 1850. Der fasst das allgemeine Vorurteil zusammen und verpackt es in ein Kompliment: "Kommt es diesen köstlichen Wesen nie in den Sinn, dass ihre kleinen Finger geschaffen wurden, damit sie geküsst und nicht mit Tinte beschmiert werden? Meine Vorstellung von einer perfekten Frau ist die: Sie kann schreiben, aber sie tut es nicht."

Sie tut es eben doch. Und sie tut es im 19. Jahrhundert immer öfter, bis sie im 20. aus der Literatur nicht mehr wegzudenken ist. Die Vorbehalte der Männer (und vieler Frauen) gegen Schriftstellerinnen schwinden jedoch langsamer, als die neuen Chancen für Autorinnen zunehmen. So kommt es, dass auch im späten 19. und im 20. Jahrhundert die Geschichte der Behinderung weiblicher Karrieren weitergeht. Colettes erster Band der Bestsellerreihe Claudine erscheint noch im Jahre 1900 in Frankreich wie selbstverständlich unter dem Namen ihres Mannes. Grazia Deledda muss sich zeitweise hinter verschiedenen Pseudonymen verstecken, weil man ihr in der analphabetischen Heimat Sardinien übelnimmt, dass sie überhaupt schreibt.

Die Auffassung, Mädchen brauchten nichts zu lernen (außer Haushalt), schlägt zuweilen in manifeste Angst vor wissender Weiblichkeit um. Ein schönes Beispiel dafür ist der Ausspruch jener liebevollen Kinderfrau, die vor die Mutter ihres vierjährigen Schützlings hintritt, eines Mädchens, das später unter dem Namen Christie die berühmteste Krimiautorin der Welt werden soll, und betreten beichtet: "Ich fürchte, Madam, Miss Agatha kann lesen."

Die Bibliotheken der Eltern! Für viele Schriftstellerinnen waren sie das Tor zur Welt, zur Literatur und zur eigenen dichterischen Arbeit. Die Geschichte der schreibenden Frauen ist auch die Geschichte ihrer Förderung, und die fand erst einmal im Elternhaus statt. So lasen sich die Schwestern Brontë kreuz und quer durch die Bibliothek des gebildeten Vaters; so wuchs Mary Shelley, das mutterlose "bookish girl", statt mit mahnenden Worten mit Büchern auf, und die hochintelligente Fanny Lewald wurde vom stolzen Vater mit dem Wissen der Zeit vertraut gemacht. Virginia Woolf verbrachte ihre Jugend lesend, sie stellte sich das Paradies als Bibliothek vor. Hedwig Courths-Mahler war das Kind armer Leute, da war nichts mit großem Bücherschrank zu Hause. Aber das Leihbüchereiwesen war schon entwickelt, und so wurde Hedwig Dauergast in der öffentlichen Bibliothek.

Eine gut bestückte Bibliothek war nicht die einzige Voraussetzung, die Eltern bieten konnten, um gegen das allgemeine Vorurteil eine Tochter zur Schriftstellerin zu erziehen – die Ermutigung zur eigenen dichterischen Produktion war vielleicht noch wichtiger. Wer weiß, ob aus Marie von Ebner-Eschenbach eine Schriftstellerin geworden wäre, wenn nicht die freundliche Stiefmutter die Gedichte des Mädchens bewundert und Marie zum Weitermachen ermuntert hätte. Die doppelt begabte Marguerite Yourcenar – sie war Historikerin und Dichterin – wurde vom ehrgeizigen Vater planmäßig zur Autorin herangebildet. Und was es für die zwölfjährige Elsa Morante bedeutet hat, eine ihrer Geschichten in der Zeitung gedruckt zu sehen, kann man sich vorstellen.

Später werden dann die Ehemänner als Verhinderer oder Förderer der Karrieren ihrer Frauen wichtig. Hier gab es Miesepeter und Neider oder Männer, die es schwer ertrugen, wenn die Frau mit ihrer Schreiberei auch noch Geld verdiente. So einer war ausgerechnet der Gatte von Hedwig Courths-Mahler, die sich und ihrer Familie ein Vermögen erschrieb. Daphne du Mauriers Mann, ein Offizier, rechnete lieber nicht nach, aber es ist sicher, dass er den aufwendigen Lebensstil seiner Familie nie allein hätte finanzieren können.

Es gab indessen auch entschiedene Unterstützer ihrer Frauen, Ehemänner, die auch dann stolz darauf waren, eine Schriftstellerin geheiratet zu haben, wenn sie sich damit gegen den Zeitgeist stellen mussten. Lobend erwähnt sei der Theologe Calvin Stowe, der seine Frau Harriet, die immerhin sieben Kinder zu betreuen hatte, in ihrem Selbstverständnis als Schriftstellerin stets bestärkte. Auch Grazia Deledda und Iris Murdoch hatten Gatten, die ihre Arbeit bewunderten und sie unterstützten. Und Margaret Mitchells Mann darf gar als der eigentliche Anstifter des Welterfolgs Vom Winde verweht gelten. Er hatte keine Lust mehr, seiner bettlägerigen Frau jede Woche neues Lesefutter aus der Leihbücherei zu besorgen, und legte ihr stattdessen eine Schreibmaschine in den Schoß: "Nun schreib mal selbst!"

Das Insgesamt der Bedingungen, die Frauen zum Schreiben treiben oder davon abhalten, ist in jedem Einzelfall anders gemischt. Ein Fazit aber lässt sich doch ziehen: Das Hervortreten von immer mehr Talenten seit etwa fünfzig Jahren beweist, dass die äußeren Bedingungen besser geworden sind und dass die Vorurteile schwinden. Ein Restbestand machte aber noch bis vor kurzem schreibenden Frauen die Arbeit und das Leben schwer. Dies zeigt zum Beispiel das Schicksal der Sylvia Plath, die an den Geschlechterrrollen, so wie sie in den 1950er Jahren fixiert waren, zerbrochen ist. Dorothy Parker hat im männlich dominierten literarischen Milieu New Yorks härter kämpfen müssen, als ihre Kräfte es erlaubten. Und Ingeborg Bachmann hätte vielleicht heute, wo Diskriminierung von Frauen nicht mehr hingenommen wird, mehr Stabilität besessen und länger gelebt und gedichtet.

Für viele Schriftstellerinnen gilt, dass sie lange brauchten, bis sie mit ihrer Arbeit richtig anfingen; dazu gehörten Bettine von Arnim, Johanna Spyri, Karen Blixen. Aber den Gegentypus gab es auch: die Frau, die früh beginnt, alle Zweifel niederkämpft und nie etwas anderes will und macht als schreiben: wie Mascha Kaléko, Irmgard Keun, Vicki Baum. Heute gibt es ihrer immer mehr. Weshalb wir uns darauf verlassen können, dass Schriftstellerin ein Beruf für Frauen geworden ist, der kein Versteckspiel mit Namen mehr erfordert und zu dem Frauen selbstverständlich ermutigt werden, sofern sie es mitbringen – das Talent, eine Geschichte so zu erzählen, dass alle sie lesen wollen.

Der Text ist ein Auszug aus dem eben erschienenen "50 Klassiker – Schriftstellerinnen"  (Gerstenberg, 19.95 €).

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