Atombombe - nie nur eine Taktik
Die Kritik war politisches Geplänkel. Die letzten drei AKWs hatten mit zirka vier Prozent nur noch verschwindend zur Energieversorgung in Deutschland beigetragen. Außerdem waren viele Mängel bekannt: verformte Brennelemente bei Isar 2 und Risse in den Dampferzeugern von Neckarwestheim und Emsland. Atomkraftwerke sind generell teuer und nicht erforderlich. Die Entsorgung der radioaktiven Brennelemente und des radioaktiven Abfalls wird Milliarden verschlingen, für die Entsorgung von abgebrannten Brennelementen gibt es noch keine Lösung, ein Endlager muss in den nächsten Jahrzehnten noch gefunden werden, um nur einige Probleme zu nennen. Und da reden wir noch nicht einmal von der radioaktiven Gefahr durch den Betrieb von Atomanlagen.
Die schien plötzlich keine so große Rolle mehr zu spielen.
Ja, und diese Tatsache finde ich bemerkenswert. Deutschland hat seit den 1970ern eine starke Anti-Atom-Bewegung. Es ist eines der schärfsten Konfliktthemen unserer Geschichte. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 war der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossene Sache und wurde von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen. Nach Russlands Angriff und der steigenden Inflation war das alles plötzlich vorbei. Die öffentliche Meinung hat sich komplett gedreht. Es ging auf einmal nur noch um Gaspreise und die Energieversorgung. Diese Stimmung wurde politisch geschürt. Von der Gefahrenlage der AKWs ist in den Medien keine Rede mehr.
In den Medien wird immer wieder über taktische Atombomben diskutiert, für wie wahrscheinlich halten Sie den Einsatz?
Das muss ein Militärexperte beantworten. Die Diskussion in Politik und Medien sollte sich aber nicht darum drehen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, und welche Atomwaffen wo eingesetzt werden könnten, sondern darum, dass es überhaupt die Bereitschaft gibt, dieses Risiko einzugehen! Es wird zwischen strategischen Atomwaffen und taktischen Atomwaffen unterschieden. Taktische Atomwaffen sollen ähnlich wie konventionelle Waffen auf dem Gefechtsfeld eingesetzt werden. Es wurde davon ausgegangen, dass der Einsatz taktischer Atomwaffen kontrollierbar sei, daran wird aber seit mehr als 30 Jahren gezweifelt: Bereits seit 1991 hat die NATO eine andere Strategie. Da der Einsatz von Atomwaffen zu einer Eskalation führen würde, muss der Fokus immer auf Verhandlungen liegen.
Was genau passiert eigentlich, wenn solche Atombomben geworfen werden?
Fangen wir mal mit einer 20 Kilotonnen Nuklearbombe an. Explodiert sie, würde ein Feuerball in einem Radius von rund 250 Metern alles verdampfen. Lebewesen, Bäume, Gebäude. In einem Radius von rund 600 Metern entstünden schwere Explosionsschäden. Der Überdruck kann Beton zerstören. 100 Prozent der Menschen in diesem Gebiet würden sofort sterben, die Strahlendosis im Bereich von 1.500 Metern wäre ebenfalls sofort tödlich. Das Fallout-Gebiet, in dem sich eine Wolke aus radioaktiven Partikeln je nach Windrichtung ausbreitet, erstreckt sich bis zu 100 Kilometern. Die Strahlung ist bis in rund 20 Kilometer tödlich. Die Strahlenbelastung in größerer Entfernung kann zu Langzeitfolgen wie Krebs und Erbschäden führen.
Und was ist das Szenario zu sogenannten strategischen Kernwaffen?
Strategische Atomwaffen haben große Reichweiten und hohe Sprengkraft und sollen der nuklearen Abschreckung dienen. Sie werden nicht direkt im Gefecht eingesetzt. Sie können zum Beispiel mit Hilfe von Interkontinentalraketen Ziele in mehreren Tausend Kilometer Entfernung treffen. Sie haben ein Vielfaches der Zerstörungskraft der 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben. Ein Feuerball und eine immense Druckwelle würden erhebliche Zerstörung haben, in einem großen Umkreis macht diese Bombe alles dem Erdboden gleich. Das radioaktive Fallout-Gebiet würde sich auf eine noch viel größere Fläche von vielen Quadratkilometern erstrecken und die bekannten Langzeitfolgen eines kontaminierten Gebiets nach sich ziehen.
ExpertInnen halten die Stationierung der taktischen Atombomben für reine Drohgebärden von Putin.
Natürlich gehört die Androhung von Atomwaffen zur Kriegsrhetorik. Dennoch sollte sich jedes Land klarmachen, dass im Krieg alles möglich und eine Risikoeinschätzung nahezu unmöglich ist. Militärexperten schätzen die Lage so ein, dass Putin seine taktischen Atomwaffen in Belarus positioniert, um Verhandlungsmasse zu haben, also sagen zu können, ‚wenn ich das und das bekomme, ziehe ich die Atomwaffen wieder ab.‘
Laut der Organisation „Bulletin of the Atomic Scientists“ war die Welt noch nie so nah an der nuklearen Katastrophe wie aktuell.
Die USA und Russland rüsten mit Atomwaffen auf. Und das macht unsere Welt nicht sicherer. Der Pfad der globalen Abrüstung wird nicht weitergegangen, und das ist das wirklich Erschreckende. Es ist ganz einfach: Wer Atomwaffen hat, ist bereit das Risiko eines Nuklearkrieges mitzutragen. Die Bundeswehr stellt noch immer Trägerflugzeuge für amerikanische Atomwaffen, die im Verteidigungsfall durch deutsche Piloten zum Ziel geflogen werden. So das Kampfflugzeug Tornado auf dem Fliegerhorst Büchel für die B61-Atombombe. 122 Staaten in der Welt haben den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen unterschrieben – und Deutschland bisher nicht. Deutschland sollte sich dringend für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen.
Dipl. Physikerin Oda Becker erstellte zahlreiche Studien zu Atomkraftwerken und Zwischenlagern, unter anderem zur Bewertung der Auswirkungen von möglichen Terrorangriffen. Zu ihren Auftraggebern gehören neben der österreichischen Regierung auch Stadtverwaltungen, Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen und Greenpeace.