Die Droge Instagram

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Vielen Dank für das Thema Influencerinnen, das ist ein Augenöffner! Nun weiß ich, in welche Welt meine Tochter jeden Tag abtaucht, und ich bin hochalarmiert!“ – Das schrieb uns unsere Leserin Sabine Wellner zu unserem Dossier (5/21) über die „Unheimliche Macht der Influencerinnen“. Und sie war nicht die einzige. Doch da ändert sich gerade etwas. Weltweit rückt Instagram in das Zentrum der Forschung – mit ersten alarmierenden Erkenntnissen.

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So nennt Jonathan Haidt, ein US-amerikanischer Psychologe der Stern School of Business New York und Spezialist für „Moralpsychologie“, Instagram als eine „beispiellose Keimzelle von Selbsthass und Unzufriedenheit“ und stuft es als „gefährlichste Plattform“ für die mentale Gesundheit ein. Instagram verdränge jede Form der Interaktion, stelle das Privatleben öffentlich zur Schau und unterwerfe das äußere Erscheinungsbild den harten Maßstäben von Likes und Kommentaren. Erfolgsgefühle speisten sich nur noch aus einer kollektiven äußerlichen Bestätigung, die Folge sei ein totaler emotionaler Kontrollverlust.

Nach Haidt am stärksten gefährdet: junge Mädchen. „Während Jungen in erster Linie Online-Gaming betreiben, fühlen sich Mädchen von den visuellen Inhalten angezogen und verschreiben sich tagesfüllend Instagram und den darauf agierenden Influencerinnen.“ Wer ständig daran erinnert wird, was alle anderen haben, man selbst aber nicht, fühlt sich jeden Tag ein wenig schlechter. In nahezu allen reichen Ländern explodieren in der Tat die Zahlen essgestörter und psychisch kranker junger Mädchen. Kinder- und JugendpsychologInnen sprechen bereits von einer ganzen Generation, die durch Instagram „versaut“ sei.

Haidt analysiert Studien über Essstörungen, Depressionen, Angstzustände und Selbstverletzungen junger Mädchen, die seit dem Siegeszug von Social Media in den 2010er Jahren sprunghaft angestiegen sind. In den USA waren bereits 2014 etwa 80 Prozent der Highschool-SchülerInnen auf einer Plattform aktiv, heute dürfte die Zahl bei fast 100 liegen.

Auch britische WissenschaftlerInnen kamen schon 2017 zu dem Schluss, dass die Scheinwelt von Instagram den Druck auf junge Mädchen enorm erhöhe und sie krank mache. Dieser Druck liege schon allein in der Masse der Posts begründet. Influencerinnen posten bis zu sechs Mal täglich neues, vermischen dabei Privates und Produkte à la „Das hier ist Mimi, mein Meerschweinchen – Probiert doch mal diesen Lippenstift – war heute in meinem Lieblings-Veggie-Restaurant und danach beim Work-out“. Und Followerinnen haben nicht nur eine Influencerin, der sie folgen, sondern durchschnittlich vier bis sechs. Macht bis zu 36 Posts am Tag, die sie lesen. Hinzu kommen die Posts und Nachrichten aus dem eigenen Freundeskreis.

Lange haben SozialforscherInnen die Ursachen für die Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen in der wirtschaftlichen Unsicherheit infolge der Finanzkrise von 2008 gesehen. Haidt aber fragt: „Warum sollte das Teenager-Mädchen betreffen? Und warum gibt es exakt die gleichen Entwicklungen bei Mädchen in den USA, Kanada, Großbritannien, Deutschland und in nahezu allen Industrieländern?“

Auch aktuelle Umfragen aus Deutschland zeigen, dass Mädchen, die Instagram intensiv nutzen, mit zwei- bis dreimal höherer Wahrscheinlichkeit depressiv werden als Mädchen, die sie nur wenig oder gar nicht nutzen. Homeschooling und Social Distancing durch Corona haben diese Entwicklung verschärft.

Doch Haidt geht noch weiter. Er analysiert auch das Geschäftsmodell von Instagram, nach dem bewusst Suchtstrukturen aufgebaut werden. Algorithmen, die passgenau zum Nutzverhalten der UserInnen arbeiten – und nicht zu durchschauen sind. Dazu der Zeitdruck. Wer ein paar Stunden nicht eingeloggt war, erhält die Nachricht: „Jemand, den du kennst, hat ein Update gepostet.“ Und dann wären da noch die „Stories“, die nach 24 Stunden automatisch wieder verschwinden. Die Botschaft: Du verpasst etwas, wenn du nicht permanent bei uns bist. Haidt: „Instagram ist eine Droge!“

Das belegt auch die Neurologin Nisha Syed Nasser. Sie steckte 20 Studierende, die viel auf Instagram unterwegs waren, in einen Gehirnscanner und beobachtete, was bei den Aktivitäten passierte. Nasser: „Das Gehirn wird stimuliert wie durch Alkohol, Nikotin oder Glücksspiel. Diese Glücksmomente (bei einem Like zum Beispiel) prägen sich in die neuronalen Bahnen ein.“ Und das bringe die NutzerInnen dazu, immer wiederzukommen.

Kinderschutzorganisationen für digitale Sicherheit, wie die Stiftung 5Rights, machen seit Jahren darauf aufmerksam, dass Soziale Medien wie Instagram süchtig machen und reguliert werden müssen.

Instagram stelle ja nur die Möglichkeit zur Verfügung, nicht die Inhalte, heißt es oft. Keine Rede davon, dass das bewusste Süchtigmachen zum Geschäftsmodell gehört. Das Problem: Zu viele verdienen daran. Wer will schon einen Marktplatz der Millionen Möglichkeiten schließen? Die Politik? Die spielt selbst dort mit, endlich keine lästigen Medien mehr. Verbraucherschützer? Nicht einmal Anzeigen gegen Influencerinnen wegen Schleichwerbung verfangen. Gesundheitsämter? Die Frage beantwortet sich schon durch Corona – die sind heillos überfordert und dürften Instagram so ziemlich als letztes auf dem Zettel haben. Und generell ist es schwierig, ein globales Problem lokal zu lösen.

Der Amerikaner Jonathan Haidt fragt trotzdem: „Wie viele Beweise brauchen Eltern, Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden, bevor sie eingreifen, um junge Menschen zu schützen? Was muss passieren?“ Er schlägt vor, Unternehmen wie Facebook zur Herausgabe von Daten zu zwingen und die Altersgrenze für UserInnen zu erhöhen. Kindern unter 16 Jahren sollte es nicht erlaubt sein, ihre Daten und ihre Privatsphäre online preiszugeben. Gleichzeitig sieht Haidt auch Eltern in der Verantwortung, ihren Kindern, besonders den Töchtern, die Mechanismen von Instagram zu erklären und bei ihnen ein Bewusstsein für die Scheinwirklichkeit zu schaffen – und sie so lange wie möglich von der Droge Instagram und seinen DealerInnen fernzuhalten.

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