Die Fotografin: Mitfühlend

Artikel teilen

"Ich denke an meine Eltern. Sie wissen nicht, dass ich in Libyen bin. Sie werden nichts verstehen und nach mir suchen. Vergeblich.“ So endet der Bericht über einen Angriff mit Granaten, 2011, irgendwo in der libyschen Wüste. Die Fotoreporterin Julia Leeb überlebt nur knapp.

Es ist das erste Kapitel eines Buches über ihre Erlebnisse in den Krisengebieten der Welt, und es ist so spannend und ehrlich erzählt, dass man das Buch eigentlich nicht so schnell wieder weglegen will. Man gerät in einen ähnlichen Sog wie die Journalistin bei ihrer Arbeit: Libyen, Sudan, Kongo, Nordkorea, Ägypten. In vielen Ländern hat sie gearbeitet, nicht gerade die gemütlichsten, und ist immer wieder in brenzlige, ja lebensbedrohliche Situationen geraten.

Die Schilderung der Ereignisse rund um den Tahrir-Platz während der ägyptischen Revolte 2012 gehört zum Realistischsten und Bedrückendsten, das ich je darüber gelesen habe. Julia Leeb schildert, wie die Ereignisse außer Kontrolle gerieten. Wie sie von einer rasenden Horde Männer weggetragen wurde. Wie sie an allen Körperteilen begrapscht und verletzt wurde. Und wie sie mit Glück und der Hilfe einiger Ägypter in letzter Sekunde der direkten Vergewaltigungen und dem wahrscheinlichen Tod entkommen konnte. Und – wie sie am nächsten Tag wieder auf dem Tahrir-Platz stand, um weiter zu berichten.

Auch die Beschreibung der Reise in die Nuba Berge des Sudan, an Bord einer Transportmaschine für Medikamente, ist sehr genau und dicht, spannend bis zum letzten Buchstaben. Diese Reportagen tun das, was Reportagen tun sollten: Sie lassen einen miterleben und mitfühlen, was die Reporterin erlebt und gefühlt hat. Und sie sind mit einer kriegskritischen Haltung geschrieben, aber unvoreingenommen und neugierig auf das, was da wirklich ist. Ein Schuss Abenteuerlust ist – bei allem Schrecken – auch dabei.

Ausgabe bestellen
Anzeige
'

Anzeige

 
Zur Startseite