Zarin Katharina die Große

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Man nannte sie zu ihrer Zeit die „Messalina des Nordens“ – nach jener antiken Kaiserin, die wegen ihrer Sittenlosigkeit und Grausamkeit in die Geschichte einging. Heute wird Katharina II. von Russland ganz anders beurteilt. Im 18. Jahrhundert bekam eine Frau, die sich die Freiheit nahm, einen Thron zu erklimmen und dann auch noch häufig die Liebhaber zu wechseln, sehr schnell ein anrüchiges Etikett angeheftet. So nannte Zeitgenossin Maria Theresia die russische Kaiserin nur „cette femme“, diese Frau. Und Katharina konterte in Richtung Wien mit „die alte Betschwester“. Weiberfeind Friedrich II. von Preußen musste der kriegerischen Zarin Respekt bekunden. Aber auch sonst gab es durchaus Persönlichkeiten, die ihr Format zu Lebzeiten erkannten. So bewunderte Casanova ihre Klugheit, und Voltaire nannte sie die „Philosophin auf dem Thron“. Der große Aufklärer pries sie ekstatisch, was ihr gar nicht gefiel. Sie wollte lieber kritisiert werden. „Dann kann ich sagen: Vergilt es ihm und zeig ihm, dass er unrecht hat.“ Und schließlich das ­russische Volk: Es verehrte seine Zarin tief. Heute ist es keine ­geringere als Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich Katharinas Bild gerahmt auf ihren Schreibtisch stellt. Das ist insofern passend, als die Zarin ganz wie die Kanzlerin durch ein gemeinsames Ziel vereint sind: die Orientierung auf Europa.

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Katharina II. kam nicht wie die anderen Herrscherinnen der Neuzeit – Elisabeth Tudor, Kristine Wasa oder Maria Theresia von Habsburg – deshalb an die Macht, weil das Herrscherhaus keinen männlichen Erben aufzubieten hatte und eine Frau ­inthronisieren musste. Katharina wurde Kaiserin durch einen Staatstreich.

Dazu musste die deutsche Prinzessin erst einmal in die Zarenfamilie einheiraten – was sie mit 16 Jahren, als Braut des nachmaligen Zaren Peter III., auch tat. Sie gehört dennoch zu den großen Eheverweigerinnen der Geschichte – ganz wie die „jungfräuliche“ Elisabeth von England und die intellektuelle Kristine von Schweden. Die junge Witwe Katharina, die beim Tod ihres Gatten erst 33 Jahre zählte, sagte entschieden Nein! zu allen weiteren Heiratsanträgen. Und das nicht, weil sie die Bindung an einen Mann scheute, sondern weil sie die Macht nicht teilen wollte.

Katharina die Große hat die ganze Macht über das riesige russische Reich angestrebt, ergriffen und verteidigt. Sie regierte 34 Jahre. Ihre Versuche, Russland näher an Europa heranzuführen, waren allerdings nur teilweise von Erfolg gekrönt. Gleichwohl machen ihr großes politisches Talent, ihr diplomatisches ­Geschick, ihr historisches Wissen und ihre Fähigkeit, militärisch klug zu planen und zu handeln, sie zu einer der bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten der neueren Geschichte.

Katharinas Aufstieg gleicht einem wahren Märchen; niemand hätte ihn vorhersagen können. Sophie Auguste Friederike wurde 1729 als Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst und seiner Gemahlin Johanna Elisabeth in Stettin geboren. Anhalt-Zerbst war eines jener bescheidenen Duodez-Fürstentümer, über die man in England und Frankreich abschätzig ­lächelte. Christian August war seiner „Fieke“ zärtlich zugetan, musste allerdings aus beruflichen Gründen – er war Offizier in der preußischen Armee – oft fern von ihr sein. Mutter Johanna, bei Sophies Geburt erst 16 Jahre alt, war tief enttäuscht, keinen Sohn zur Welt gebracht zu haben und überließ das Mädchen seiner Erzieherin Babette Cardel, Tochter einer in Preußen ­ansässigen Hugenottenfamilie.

Diese Dame war für Sophie ein großes Glück. Sie lehrte ihren Schützling nicht nur geduldig Sprachen, Religion und Literatur, sondern wurde für die Prinzessin auch ein liebevoller Mutter­ersatz. Fürstin Johanna gebar bald den ersehnten Sohn, ging ganz auf in dessen Pflege und kümmerte sich kaum um ihre Erstgeborene. Das änderte sich, als Sophie herangewachsen war und es sich herumgesprochen hatte, dass die russische Kaiserin Elisabeth für ihren Nachfolger, den jungen Herzog Karl Peter Ulrich von Holstein, eine Ehefrau suchte. Johanna sorgte dafür, dass Elisabeth ein Bildnis ihrer Tochter erhielt.

Zar Peter der Große war 1725 gestorben. Er hatte das dynastische Prinzip aufgehoben und verfügt, dass jeder russische ­Kaiser seinen Nachfolger selbst bestimmen könne, es dabei aber unterlassen, seinerseits einen Thronfolger zu benennen. Seine Witwe, Zarin Katharina I., bestieg den Thron, und in der Folge kam es zu einer ganzen Kette von Palastrevolten und Staatsstreichen, wobei die Macht meistens weiblichen Prätendenten zufiel.

Auch die Anfang der 1740er Jahre regierende Zarin Elisabeth war durch einen Staatsstreich auf den Thron gelangt. Das Familien­prinzip der Herrschaft ließ sich nämlich trotz Peters Verfügung nicht einfach abschaffen, und das Volk begrüßte in Kaiserin Elisabeth freudig die jüngste Tochter Peters I., des großen Reformators. Elisabeth blieb unverheiratet und kinderlos. Sie folgte der Anordnung des Vaters und bestimmte ihren Nachfolger selbst, achtete aber darauf, dass das Familienprinzip, durch das die Loyalität des Volkes gesichert wurde, nicht auf der Strecke blieb.

Und so kürte sie den noch kindlichen Holsteiner Peter Ulrich zum kommenden Zaren. Der war immerhin ein Enkel Peters des Großen. Kuriere reisten durch ganz Europa und suchten für Peter – im Grunde für Elisabeth – die passende Partnerin sowie die Mutter des künftigen Thronerben. Das Bildnis Sophies, das Johanna einst lanciert hatte, war in wohlwollender Erinnerung geblieben, auch hatte Friedrich II. die Prinzessin empfohlen. Und so versuchten es die Brautwerber schließlich im Fürstentum von Anhalt-Zerbst. Mutter Johanna, eine ehrgeizige Dame, war sehr geschmeichelt, der Vater eher skeptisch. War doch seine Fieke erst 14 Jahre alt.

Und die Prinzessin selbst? Sie war zu einem selbstbewussten, wissbegierigen und willensstarken Mädchen herangewachsen, und die kleine Welt von Anhalt-Zerbst war ihr längst zu eng. In ihren „Memoiren“ gesteht sie, schon als Kind von einer Krone geträumt zu haben. An ihren künftigen Gemahl dachte sie ­weniger. „Er war mir ziemlich gleichgültig. Aber die Krone von Russland war es mir nicht.“

Gegen den Willen des Fürsten brachen Mutter und Tochter zur langen Reise nach St. Petersburg auf. Vorläufig gab es keine bindenden Zusagen – man wollte einander erst einmal kennen lernen. Und was Sophie erhofft hatte, geschah: sie gefiel. Der Großfürst (so Peters Titel, solange er noch nicht Kaiser war) sagte ihr Artigkeiten, die Kaiserin schloss sie – fürs erste – ins Herz. Man stellte die Verlobung in Aussicht und fasste die Hochzeit ins Auge.

Zwei große Hürden hatte Sophie noch zu nehmen, ehe sie neben Peter als Großfürstin der russischen Krone entgegensehen konnte: Sie musste die Landessprache lernen, und sie musste zum orthodoxen Glauben übertreten. Russisch zu lernen fiel der sprachbegabten Sophie leicht. Mit dem Übertritt in eine andere Konfession hatte sie ebenfalls kaum Probleme. Sophie war nie sehr fromm ­gewesen. Als Tochter der Aufklärung, die Montesquieu, Voltaire und Diderot las, erkannte sie indessen instinktiv, dass die Kirche ein Machtfaktor war, den sie auf ihre Seite ziehen müsste. Sie ließ sich unterrichten, erwarb das griechisch-orthodoxe Basiswissen und wurde 1744 feierlich in die Kirche der „Rechtgläubigen“ aufgenommen. Um ihre Wandlung zur Russin abzurunden, erhielt Sophie einen neuen Vornamen: Katharina.

Die Hochzeit erfolgte ein Jahr später – die Braut war 16, der Bräutigam nur wenig älter. In der Hochzeitsnacht tat Peter, was er am liebsten tat: Er betrank sich und spielte mit seinen Zinnsoldaten. Als Zeichen seiner Wertschätzung ließ er Katharina teilnehmen. Ob diese Ehe je vollzogen wurde, ist zweifelhaft. Der Prinz war in Holstein lieblos mit hartem Drill von Militärs erzogen und früh um jede Lebensfreude gebracht worden. Sein einziger Spaß bestand in soldatischem Exerzieren, bei dem er Befehle erteilen konnte. Er war ein leidenschaftlicher Verehrer Friedrichs von Preußen und womöglich debil, jedenfalls besaß er keine der ­Eigenschaften, die von einem künftigen Zaren erwartet werden durften. Hinzu kam: Die selbstsichere deutsche Prinzessin an ­seiner Seite schüchterte ihn ein. Anfangs erwies er ihr noch ­Respekt, der später in Angst und schließlich in Hass umschlug.

In den ersten sieben Jahren ihrer Ehe war Katharina sehr einsam. Ihre Mutter war in die Heimat zurückgekehrt, und Kaiserin Elisabeth entzog der Großfürstin alle Huld, als sich herausstellte, dass es nichts wurde mit dem ersehnten Erben. Für Katharina blieben nur Repräsentationspflichten und Lektüre. Sie nutzte die Zeit und bemühte sich, das Land kennen zu lernen, das sie einmal regieren wollte.

Aber sie war auch eine sinnliche junge Frau. 23 Jahre wurde sie alt, ohne je einen Mann umarmt zu haben. Die Sitten bei Hofe jedoch waren locker. Junge Männer umwarben die hübsche Deutsche – zumal alle wussten, dass deren Ehemann lieber mit Zinnsoldaten ins Bett ging, als mit seiner Angetrauten. ­Katharina erwog, das Handtuch zu werfen und nach Deutschland zu den Eltern zurück zu gehen. Da bat eines Tages ihre Kammerfrau, im Auftrage der Zarin, zu einem vertraulichen ­Gespräch. Sie sollte Katharina einen Liebhaber ­zuführen, damit sie endlich ein Kind empfange und Kaiserin Elisabeth dem Volk einen Erben präsentieren konnte. Peter war offenbar eingeweiht, denn er stellte sich nicht quer.

Und so begann Katharina eine leidenschaftliche Affäre mit dem jungen Hofmann Sergej Saltykow, dem Kammerherrn ihres Gatten. Der gemeinsame Sohn Paul kam 1754 zur Welt. Er wurde von Peter als ehelich anerkannt und dem Reich als Erben vorgestellt. Nach Katharinas Tod gelangte er als Paul I. auf den Thron.

Jetzt, als Mutter eines Prinzen, war Katharina in Ansehen und Bedeutung aufgestiegen. Und glücklich überließ sie sich der amourösen Szene des Hoflebens. Als es mit ihr und Saltykow zu Ende ging, wählte sie einen neuen Favoriten. Sie wurde noch zweimal Mutter. Tochter Anna zeugte sie mit Günstling Stanislaus Poniatowski und ihren jüngsten Sohn Alexej mit dem General Grigorij Orlow.

Alle diese Männer erhofften sich von Katharina, als sie Witwe geworden war, die Ehe und damit erhöhten Einfluss. Aber die Herrscherin dachte niemals an Heirat. Sie hatte erlebt, dass sich erotische Bindungen politisch ausnutzen ließen und handelte entsprechend. Katharina brachte es zur Meisterschaft im Hazardspiel um Liebe und Macht.

Am Petersburger und am Moskauer Hof hatte sich nach dem Tod Peters des Großen unter dem Zepter mehrerer Zarinnen das Klima gewandelt. Es entstand ein Milieu, in dem junge attraktive Höflinge um Ansehen buhlten, und es ging zu wie am Hofe des Sonnenkönigs, nur dass die Kurtisanen von Moskau und Petersburg männlichen Geschlechts waren. Unter Katharinas Regiment erlangte die Kultur der männlichen Koketterie ihren Höhepunkt. Ein schönes Beispiel dafür, dass die Bereitschaft von Personen bei Hofe, durch erotischen Reiz Vorteile zu erlangen, nicht vom Geschlecht abhängt, sondern von den Machtverhältnissen.

1761 stirbt Kaiserin Elisabeth. Katharinas Gatte Peter III. besteigt den Thron. Er verfügt als erstes die Einziehung der Kirchengüter, um die Staatsverschuldung abzutragen. Dann schließt er ohne Vorteil Frieden mit seinem Idol Friedrich von Preußen, der im noch andauernden Siebenjährigen Krieg Russlands Gegner war. Und er rüstet zu einem Feldzug gegen Dänemark, um den Holsteinern beizustehen.

Der Klerus ist entsetzt, weil er seine Pfründe schwinden sieht. Die Militärs schnauben – wegen des vorschnellen Friedens mit Preußen und der neuen Kriegspläne. In Adelskreisen hält man eh nichts von Peter. Die Garde bespricht sich mit Grigorij Orlow. Man hinterträgt der Kaiserin, dass ihr verhasster Mann plane, sie in ein Kloster abzuschieben. Jetzt kommt alles zusammen: Katharinas Ehrgeiz, die Wut der Garderegimenter und das Misstrauen der Grundherren gegen den schwachsinnigen Peter. Der junge Zar wird gestürzt und inhaftiert. „Er verließ den Thron wie ein Kind, dass man zu Bett schickt“, sagte Friedrich II. über ihn.

Katharina wird zur Kaiserin ausgerufen. Legitime Ansprüche hat sie nicht. Die Macht verdankt sie einem Staatsstreich. Aber die Garde steht hinter ihr. Und das Volk jubelt. Kurz darauf wurde Peter in seinem Gefängnis erdrosselt. Dahinter steckte Orlow mit seinen Brüdern. Er wollte ganze Arbeit leisten. Die Geschichtsschreibung ist sich einig, dass Katharina von diesem Komplott nichts wusste. Aber sie machte mit, indem sie den Mord vertuschen half und verbreiten ließ, ihr Gatte sei einer Kolik erlegen.

Jetzt hatte Katharina ihre Krone. Und sie ging gleich daran, das Werk Peters des Großen, der Mütterchen Russland so nah wie möglich an Europa heranführen wollte, fortzusetzen. Die Beschlagnahme der Kirchengüter machte sie, entgegen ihrem Versprechen, nicht rückgängig. Sie ermahnte den Klerus: „Sie sind Nachfolger der Apostel, denen Gott befohlen hat, den Menschen Verachtung für den Reichtum beizubringen, und die selbst sehr arm waren. Ihr Reich war nicht von dieser Welt. Ich habe diese Wahrheiten sehr oft aus Ihrem eigenen Mund gehört. Wie erdreisten Sie sich, ohne gegen Ihr eigenes Gewissen zu handeln, so große Reichtümer, so ungemessene Ländereien zu besitzen?“ In späteren Jahren erließ sie ein Toleranzedikt, das Religionsfreiheit gewähren sollte. Für eine Verwaltungsreform arbeitete sie detaillierte Pläne aus, eine Justizreform sollte das russische Recht, das bei jeder Völkerschaft anders aussah, vereinheitlichen. Und schließlich zerbrach sich Katharina den Kopf, wie sie die bäuerliche Leibeigenschaft, die in Russland der Sklaverei gleichkam, aufheben oder doch abmildern könnte. Auch die Bildung musste und wollte die Kaiserin heben. Selbst unter der adligen Bevölkerung konnten breite Schichten nicht lesen und schreiben! Katharina hatte viel zu tun, sehr viel – zu viel. Usurpatorin, die sie war, konnte sie nicht Kaiserin bleiben ohne die Unterstützung der Gruppen und Kreise, die sie an die Macht gebracht hatten: des Adels und des Militärs. Also musste sie sämtliche Pläne zur Aufhebung der Leibeigenschaft beiseite legen, denn in diesem Punkt ließen die Grundherren nicht mit sich spaßen. Ja, sie kam nicht mal drumherum, den dringendsten Forderungen des Adels: Befreiung von der traditionellen Pflicht, in Militär und Verwaltung Dienst zu tun, nachzukommen. Im Alter gestand sie: „Alles, was ich für Russland tun konnte, war nicht mehr als ein Tropfen in einem Ozean.“

Bauernaufstände, darunter ein blutiger Bürgerkrieg mit dem Abenteurer Pugatschow (der sich als auferstandener Peter III. ausgab) an der Spitze, ließ Katharina mit äußerster Härte niederschlagen. Pugatschow starb unterm Fallbeil.

Dass sowohl die Verwaltungs- als auch die Justizreform Stückwerk blieben, belastete die Kaiserin schwer. Sie hatte sich so viel davon erhofft. An den französischen Philosophen und Mathematiker, Mitautor der berühmten Enzyklopädie, Jean-Baptiste d’Alembert, schrieb sie: „Sie werden sehen, wie ich, zum Nutzen meines Reiches, Montesquieu geplündert habe. Sieht er meine Arbeit von der anderen Welt aus, so wird er mir das Plagiat hoffentlich verzeihen, um der Wohltaten willen, die sich daraus für zwanzig Millionen Menschen ergeben sollen. Sein Werk (‚Vom Geist der Gesetze‘) ist mein Gebetbuch.“

Doch die Zarin musste begreifen, dass das Riesenreich mit seiner enormen Rückständigkeit nur langsam, in kleinen Schritten, aus dem Mittelalter herausgeführt werden könnte. Und so unterstützte sie Manufakturen und Fabriken, holte ausländische Industrielle ins Land, siedelte die ersten „Wolgadeutschen“ im russischen Kernland an.

Im Bereich der Bildung und der medizinischen Versorgung konnte Katharina echte Fortschritte bewirken. Sie führte das Volksschulwesen ein und die Pockenimpfung, gründete Akademien und Universitäten und sorgte dafür, dass diese Institutionen ausreichende Mittel erhielten. So ist sie die Wegbereiterin jener wunderbaren Blüte der russischen Literatur im 19. Jahrhundert gewesen. Sie selbst schrieb (unter Pseudonym) aufklärerische Artikel im jungen russischen Pressewesen und mehrere Komödien, die auch aufgeführt wurden.

Die Russen hielten zu ihrer Kaiserin. Wie kam das, wo sich doch das Los der großen Mehrheit, der Bauern, eher noch verschlimmerte und sie an den immensen Privilegien des Adels nicht rührte? Wo sie viele Hoffnungen enttäuschte, Abgaben erhöhte und, tief verstört durch die französische Revolution, die Zensur verschärfte? Wo sie schließlich keine Russin, sondern eine westlich orientierte Deutsche war?

In der Geschichte haben immer die Souveräne die größte und nachhaltigste Verehrung auf sich gezogen, die erfolgreiche Feldherren waren, von Julius Cäsar bis zu Friedrich von Preußen. Auch Katharina die Große gehört in diese Reihe. Ihre Generäle Orlow und später Potemkin verschafften ihr territorialen Zugewinn in zwei türkischen Kriegen und drei polnischen Teilungen. Als Machtpolitikerin hat sie reüssiert – so sehr auch ihre Moral (denkt man an Polen) gelitten haben mag. Sie hinterließ bei ihrem Tod ein vergrößertes Russland mit einer gut ausgerüsteten Armee. Die sozialen Verhältnisse aber – sieht man ab vom Bildungswesen – waren aus der mittelalterlichen Rückständigkeit kaum weiter herausgewachsen.

Bis zu ihrem Tod im 68. Lebensjahr hatte Katharina Liebhaber, die sie stets reich beschenkte und einfühlsam behandelte, selbst, wenn sie ihrer schon überdrüssig war und den nächsten ins Auge gefasst hatte. Dass ihre erotische Energie nicht verebben wollte, rechnete man ihr im außerrussischen Europa als Makel an – während man gleichzeitig männliche Fürsten, die sich bis ins Alter mit schönen Mätressen umgaben, hoch schätzte. Dabei war Katharina, bei allem, was wir über sie wissen, eine treue Seele mit einem heiteren Gemüt und einem mitreißenden Humor. Es waren die stolzen Impulse ihrer Jugend und die ­demütigende Farce ihrer Ehe, die diese Frau dazu bewogen, sich selbst in die Libertinage zu entlassen, als sie die Macht dazu besaß. Wer ihr gefiel, den schloss sie in ihre Arme. Zugleich waren die Beziehungen zu Orlow und später Potemkin vertraut und dauerhaft.

Katharina die Große starb 1796 nach einem Schlaganfall. „Wenn meine Zeit kommt“, so ihre Worte, „will ich keine Klageweiber und Heulsusen um mich haben, sondern standhafte Seelen und frohe Gesichter.“ Doch alle, die ihr in der letzten Stunde nahe waren – Minister, Liebhaber, Ärzte und Sohn Paul – weinten herzzerreißend.

Zum Weiterlesen
Gina Kaus: Katharina die Große;
Simon Sebag Montefiore: Katharina die Große und Fürst Potemkin;
Katharina die Große/Voltaire: Monsieur – Madame. Der Briefwechsel zwischen der Zarin und dem Philosophen (vergriffen).

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Pharaonin Hatschepsut

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Die Pharaonin Hatschepsut kam um das Jahr 1495 vor Christus in der Hauptstadt Theben zur Welt. Die Epoche, in der sie über Ober- und Unterägypten regierte (zirka 1479-1458 vor Christus) wird "Neues Reich" genannt. Sie begann ihre Herrschaft als Witwe und Regentin für ihren vierjährigen Neffen und Stiefsohn Thutmosis III. Anfangs ließ sie sich noch hinter ihm stehend abbilden, womit sie anzeigte, dass ihm, dem Kind Thutmosis, der Vortritt gebühre. Doch irgendwann genügte ihr die Regentschaft nicht mehr und sie griff nach der ganzen Macht.

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Hatschepsut nannte sich "Maat Kare" (König von Ober- und Unterägypten) und bestieg den Horusthron. Statuen und Reliefs zeigen sie mit allen Insignien der Macht, in männlichem Königsmantel und mit dem Pharaonenbart. Objektiv gesehen war Hatschepsut eine der bedeutendsten Pharaonen des ägyptischen Reiches. Sie bescherte ihrem Land zwei Jahrzehnte großer Prosperität, Frieden und Reichtum. Dennoch war sie über 3.000 Jahre vergessen, ausradiert. Ihr Nachfolger hatte dafür gesorgt, dass uns beinahe kein einziges Abbild von ihr erhalten geblieben wäre, geschweige denn die Geschichte ihres langen Wirkens. Und bis ins 21. Jahrhundert hinein ist Hatschepsut für viele ägyptische Männer ein rotes Tuch. Schon nur die Erwähnung dieser vor genau 3.467 Jahren gestorbenen Frau provoziert im Nilstromland bis heute gereizte Debatten über Frauen und Macht. Wer also war sie wirklich, diese Hatschepsut, genannt Maat Kare?

Auch im alten Ägypten galt eigentlich einzig die männliche Erbfolge. Hatschepsut aber wurde von ihrem Vater Thutmosis I seinen männlichen Nachkommen vorgezogen, vielleicht weil sie das erste Kind war, das ihm seine Hauptfrau Ahmose geboren hatte. Es folgte aus dieser Verbindung noch eine Tochter, aber kein Sohn.

Hatschepsuts Mutter Ahmose entstammte als einzige jenem göttergleichen Pharaonengeschlecht, das nach langer Fremdherrschaft der so genannten Hyksos die Macht über Ober- und Unterägypten zurückerobert hatte. Jetzt musste dieses Geschlecht seine Herrschaft festigen. Und zwar über Ahmose, die das genealogisch mächtigere Geschlecht repräsentierte als ihr Gatte Thutmosis I, Hatschepsuts Vater, der einer weniger wichtigen Nebenlinie entsprossen war. Hier deutet sich also schon eine über Frauen vermittelte Erbfolge bzw. Machtweitergabe an.

Hatschepsut, Tochter der Ahmose und des Thutmosis, genoss die allerbeste Erziehung, begleitete ihren Vater auf dessen Expeditionen und lernte früh, was es heißt, über ein Land zu gebieten. Die Forschung glaubt Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass der Pharao sie – entgegen der Tradition – von Anbeginn an als Nachfolgerin aufbauen wollte.

Sie heiratete, den Gepflogenheiten folgend, in früher Jugend ihren Halbbruder Thutmosis II, der als kränklich oder gar geistig behindert dargestellt wird. Nach dem Hinscheiden von beider Vater Thutmosis I wurde Hatschepsut, die "große königliche Gemahlin", wahrscheinlich sogleich mit den Regierungsgeschäften betraut. Nach nur dreieinhalb Jahren auf dem Horusthron verstarb Hatschepsuts Bruder-Ehemann; das Paar hatte lediglich eine Tochter, Neferure (auch: Nofrure).

Als legitimer Thronerbe wurde nun Thutmosis III, Sohn von Thutmosis II mit seiner Nebenfrau Isis, eingesetzt. Für diesen vierjährigen Knaben trat seine Tante und Stiefmutter Hatschepsut im Jahre 1479 vor Christus die Regentschaft an. Doch sie sollte sich zur Pharaonin aufschwingen und den Thron bis zu ihrem Ende nicht mehr aufgeben.

Ein Pharao hatte zunächst sein Reich zu verwalten; hierin hatte es das alte Ägypten weit gebracht. Ein großer und differenzierter Beamtenapparat stand zur Verfügung und musste von Hatschepsut geleitet werden. Anzunehmen, dass sie die dafür nötigen Kenntnisse als Liebling und rechte Hand des Vaters, sowie als Mitherrscherin an der Seite ihres beschränkten Bruder-Gatten längst erworben hatte. Jetzt aber kam die Autorität der Pharaonin hinzu. Hatschepsut stieß auf wenig Schwierigkeiten, wenn es galt, sich durchzusetzen.

Selbstverständlich stand der Pharao auch an der Spitze des Militärs; auch hier kannte Hatschepsut sich aus. Der Vater hatte seine Tochter in die Geheimnisse der Kriegskunst eingeweiht, wenn er sie nicht sogar mitnahm auf einige seiner "Strafexpeditionen" oder Feldzüge gegen Aufrührer oder Abtrünnige, etwa aus dem Lande Kusch. Hatschepsut aber war dennoch keine kriegerische Pharaonin; sie zog es vor, das Land durch Förderung des Bergbaus, des Handwerks und des Güteraustauschs sowie durch mancherlei Reformen groß zu machen.

Ihre weiten Reisen zum Zwecke des Warenaustausches sind legendär. So schickte sie eine Handelsmission in das sagenhafte afrikanische Land Punt (dessen genaue Lage auf dem afrikanischen Kontinent bis heute unbekannt ist), um Weihrauch, Elfenbein, Gold und Tierfelle zu erwerben.

Eine weitere wichtige Aufgabe des Pharaos war die Pflege der Baukunst, die religiöse Pflicht, Denkmäler, Grabstätten, Tempel und Stelen zu errichten – zu Ehren der Götter und des Herrscherhauses. Wir kennen bis heute diese großartigen Zeugnisse des Wirkens der Pharaonen als Pyramiden, Tempel, Skulpturen und Obelisken. Hatschepsuts Totentempel, ein in den Fels getriebenes Terrassenbauwerk im westlichen Theben nahe dem hochberühmten "Tal der Könige", ist – in Resten, die immer noch den Atem rauben – bis heute zu besichtigen.

Und wer die Stadt Paris besucht, kommt kaum um den Hatschepsut-Obelisken herum, der den Place de la Concorde beherrscht. Die Franzosen haben ihn im 19. Jahrhundert in Ägypten geklaut. Im Amun-Tempel zu Karnak am Ufer des Nil ließ die Pharaonin die damals höchsten Obelisken errichten (dreißig Meter); etliche weitere große Anlagen, so der Mut-(=Name der Göttin Thebens)Tempel zu Karnak, gehen auf ihre Regierungszeit zurück.

Die wichtigste aller Pflichten der Pharaonin jedoch war der Dienst an den Göttern. Als Herrscherin war sie zugleich die Gebieterin aller Priester, die höchste Vertreterin der Götter auf Erden – ja, mehr noch: sie war selbst von göttlicher Natur. Hatschepsut streute die Legende, dass niemand anderes als Gott Amun selbst sie gezeugt habe – nachdem er die Gestalt von Thutmosis I angenommen hatte.

Möglicherweise war es üblich, dass ein Pharao sich auf diese Weise eine göttliche Abkunft zuschrieb. Vielleicht aber hat Hatschepsut auf dieser hohen Geburt auch deshalb bestanden, weil sie als Frau auf dem Thron eine zusätzliche Legitimation liefern musste. Sie hatte ja schon Ahmose vorzuweisen, eine hochkönigliche Mutter. Der Vater sollte dann gleich Thebens Schutzgott selbst sein. Auch war da noch das Orakel des Amun, in dem ihr die Herrscherwürde prophezeit worden war ...

Im Leben der alten Ägypter war die Religion kein Bereich für sich – sie durchwirkte den Alltag mit all seinen Verrichtungen, sie war stets gegenwärtig. Die Pharaonin lebte ihr Leben quasi in Tuchfühlung mit den Göttern. An den Feiertagen zu Ehren der Götter und der Pharaonenfamilie legte Hatschepsut die männliche Tracht und den Bart an, und zollte so dem ursprünglich rein männlichen Thronanspruch Tribut.

Offenbar verstand diese Pharaonin und Gottestochter es sehr gut, sowohl das Volk als auch die Eliten, das heißt die Beamtenschaft, die Heerführer, Priester und Gelehrten derart für sich einzunehmen, dass niemand ihr die höchste Majestät streitig machte. Ihre auf Frieden, Handel und Baukunst gerichteten Regierungsziele überzeugten und machten sie zu einer beliebten Herrscherin ihrer Zeit, deren Ruhm über die Grenzen des Landes hinaus für Ägypten und sein Herrscherhaus warb.

Wichtige Unterstützung bei den Regierungstätigkeiten sowie den Bauvorhaben leistete ihr der Hauslehrer ihrer Tochter, der als Architekt weithin bekannte Senenmut. Die Forschung nimmt an, dass die langjährige Nähe zwischen Hatschepsut und ihrem engsten Berater ein Liebesverhältnis wurde. Die Deuter der Quellen glauben sogar ein Kind von Hatschepsut und Senenmut nachweisen zu können. Manche vermuten gar, Neferure sei Senenmuts Tochter gewesen. In späteren Jahren fiel der große Berater und Freund bei seiner Pharaonin in Ungnade, es kam zu keiner Versöhnung mehr. Senenmut verschwand von der Bildfläche. Die Gründe sind unbekannt.

Nun gab es aber doch einen, der mit Neid und Missgunst auf die Frau auf dem Horusthron blicken musste, und das war Thutmosis III. Der junge Mann wuchs im Königspalast auf, während seine Tante/Stiefmutter regierte. Die Priester, Lehrer und Berater, die ihn unterrichteten, erwiesen ihm die Ehrerbietung eines künftigen Pharao, und auch Hatschepsut ließ sich häufig mit ihm sehen. Nach außen hin und auch gemäß dem Protokoll und dem Erbfolgegesetz war und blieb Hatschepsut eine Regentin in Vertretung ihres Neffen/Stiefsohns. Die Tatsachen aber sahen anders aus.

Auch als Thutmosis III herangewachsen war und sich auf der Jagd und in den allfälligen Grenzscharmützeln als wahrer Heißsporn erwies, war es weiterhin seine Tante/Stiefmutter Hatschepsut, die die politischen Entscheidungen fällte: Schiffe für Handelsmissionen ausrüstete, den Bau der Grabanlagen für die Pharaonenfamilie leitete, Heerführer und Spitzenbeamte ernannte und die Scharen von Bediensteten im Palast auf das Zeremoniell um ihre Person konzentrierte. Thutmosis, obwohl längst erwachsen, blieb ohne Einfluss, eine Nebenfigur. Wir wissen nicht, was er dabei empfand, dürfen aber annehmen, dass ein tiefer Grimm in ihm kochte.

War nicht er der wahre Pharao und sie nur seine Stellvertreterin? Aber was konnte er ihrer göttlichen Abkunft entgegensetzen, er, der Sohn des zweiten Thutmosis, der ja nur einer Nebenlinie entstammte, der Sohn der im Vergleich mit Ahmose unbedeutender Nebenfrau Isis? Der Familienzwist im Pharaonenpalast ist uns nicht überliefert, aber er muss heftig gewesen sein und entschied sich für Hatschepsut – sie verließ den Thron erst nach zwanzig Jahren und neun Monaten, als sie um 1458 starb.

Es wird von einem zeremoniellen Begräbnis berichtet, in dem kein Ritus fehlte, der einer Herrscherin gebührte. Lange Zeit galt ihre Mumie als verschollen. Erst im Jahre 2007 wurde sie quasi zufällig in einem Hinterraum des ägyptischen Nationalmuseums in Kairo entdeckt. Neueste Prüfmethoden ergaben zweifelsfrei: Es ist Hatschepsut. Den Untersuchungen zufolge soll die mit knapp vierzig Jahren Verstorbene an Krebs gelitten haben. Ob sie auch daran gestorben ist oder aber ob sie gar ermordet wurde, das ist bis heute nicht klar und wohl auch nicht mehr zu klären.

Hatschepsuts Nachfolger Thutmosis III übernahm ein hervorragend von seiner Stiefmutter organisiertes Heer, eine funktionierende Verwaltung, eine Riege hochmotivierter Skulpteure und Baukünstler (die ihre Aufgabe als königliche Bildhauer und Architekten nicht nur darin sahen, die Tradition zu pflegen, sondern auch, neue Ausdrucksformen zu erproben – das hatte die "Maat Kare" von ihnen gefordert). Thutmosis III also hatte die besten Startbedingungen für seine Herrschaft, und er nutzte sie.

Aber sein Grimm? Was wir wissen, ist, dass einige Jahre nach Hatschepsuts Tod in einer beispiellosen Zerstörungswut fast alle Zeugnisse von Existenz und Wirken der Pharaonin regelrecht eliminiert wurden: aus den unzähligen Reliefs in Palästen, Tempeln und Stelen wurden Hatschepsuts Bildnisse und die Verweise auf ihre Taten gelöscht. Sie wurden sozusagen chirurgisch herausgefräst und durch Abbildungen des Thutmosis III ersetzt. Statuen von Hatschepsut wurden zerstört oder zerstückelt. Ihre Bildnisse wurden aus Obelisken und Wandschmuck in Pyramiden und an Säulen herausgekratzt. Selbst auf den in Ägypten lückenlos geführten Königslisten verschwand ihr Name: auf Thutmosis II folgte sogleich Thutmosis III. Durch Zufall sind einige Statuen erhalten geblieben. Sie ergeben einen sinnlichen Eindruck der Pharaonin, die offenbar sehr schön war. Auch ihre Mumie wurde nicht angetastet.

Die Pharaonin sollte zur Unperson herabgewürdigt, ihr Dasein und ihre Leistung in den Orkus des Vergessens gerissen werden. Wie konnte das geschehen?

Erst im 19. Jahrhundert wurde Hatschepsuts Andenken durch die moderne Archäologie, in der England führend war, wieder hergestellt – die Bilderstürmer im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung hatten also ganze Arbeit geleistet. Doch für immer hatten sie die Pharaonin nicht aus der Geschichte katapultieren können. Wir wissen dreieinhalb Jahrtausende nach Hatschepsut von ihr und stellen ihr Andenken wieder her. Und wir fragen uns: Wer wollte warum einst die Erinnerung an sie auslöschen, die Geschichte so umschreiben, als habe Hatschepsut nie existiert?

Die Forschung stieß sogleich auf den Grimm des Thutmosis. Bloß hat es damit eine Schwierigkeit: Die geschilderte Zerstörungsorgie fand erst viele Jahre nach Hatschepsuts Tod statt, als der neue Pharao bereits fest und sicher auf dem Thron saß. Wäre es um eine Tat im Affekt gegangen, hätte sie keinen Aufschub vertragen.

Oder war Hatschepsuts Vernichtung von langer Hand geplant, musste jedoch mit Umsicht in die Tat umgesetzt werden, um ihre Anhänger und Gönner nicht zu verärgern? Man wird das Geheimnis nie ganz lüften. Man kommt aber einer Erklärung näher, wenn man an die Bedeutung des religiösen Lebens im alten Ägypten denkt. Die Götter waren keine Inbegriffe oder Prinzipien – sie wurden als wirkende, wirkliche Wesenheiten gedacht. Sie gekränkt zu haben, galt als größte Sünde – völliges Verderben, unter Umständen für das ganze Land, war die Strafe.

So ist es vorstellbar, dass Thutmosis eine Kommission aus hohen Priestern einsetzte, die im Verein mit den Verwaltern der Königslisten darüber nachsinnen sollte, wie man wieder Ordnung in die Erbfolge bringen und einen weiblichen Thronanspruch künftig ausschließen könnte. Zwar war Neferure schon vor ihrer Mutter gestorben – aber wer weiß, vielleicht gab es wirklich jene sagenhafte Tochter von Hatschepsut und Senenmut, die womöglich von einflussreichen Gruppen im Palast gefördert wurde. Bei ihrem Versuch, die Erbfolge rückwirkend rein männlich zu gestalten, musste eine solche Kommission sehr vorsichtig sein, um den Gott Amun sowie den Sonnengott und die übrige Verwandtschaft Hatschepsuts nicht zu brüskieren – man überstürzte also nichts.

Vielleicht gab es auch zwei Parteien bei Hofe, eine pro, eine contra Hatschepsut. Vielleicht musste die Contrapartei, geführt vom Pharao selbst, warten, bis das Haupt der Propartei, ein weiser Priester, der Hatschepsut einst persönlich in ihre religiösen Pflichten eingeführt hatte, vom Totengott Osiris abberufen worden war, bevor Hatschepsut ausradiert werden konnte.

Die Pharaonin Hatschepsut, die bedeutendste Herrscherin in der Antike, wurde jedenfalls nicht zufällig im 19. Jahrhundert, in der Epoche der Historischen Frauenbewegung, wiederentdeckt. So wie einst der patriarchale Furor ihre Person und Bedeutung ausgelöscht hat, so grub nun eine emanzipatorisch inspirierte Archäologie Hatschepsut wieder aus.

Zum Weiterlesen:
Marianne Schnittger: Hatschepsut (2008)
Christiane Desroches Noblecourt: Hatschepsut (2007)
Joyce Tyldesley: Hatschepsut (2001)
EMMA-Serie: Herrscherinnen

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