Die Hurenprojekte, die Millionen & der Vater Staat

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Auch EMMA war begeistert. In der Februar-Ausgabe des Jahres 1988 berichtete sie euphorisch über die „Huren auf den Barrikaden“. Illustriert war der Artikel mit Delacroix’ barbusiger, Fahne schwenkender Revolutionärin. In der Tat hatte der Protest in Frankreich begonnen. 1976 besetzten Prostituierte in Lyon tagelang eine Kirche: Sie protestierten gegen Doppelmoral und Polizeiwillkür. Einige Jahre später kam der Widerstand in Deutschland an. EMMA berichtete 1980 nicht nur über Prostituiertenprojekte weltweit, sondern auch über die in Hamburg, Stuttgart – und Berlin.

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Da hatten Sozialarbeiterinnen aus der linken und feministischen Szene einen Prostituiertentreff namens Hydra an der Kurfürstenstraße aufgemacht (ein berüchtigter „Babystrich“, unweit des Billigstrichs auf der Potsdamer Straße). Doch acht Jahre später residierte Hydra schon nicht mehr am Strich, sondern im dritten Stock eines Bürogebäudes in der Kantstraße. Denn ab Januar 1985 floss die „Staatsknete“ vom Berliner Senat, heute 213 000 Euro im Jahr, unbenommen aller Finanzkrisen. Inzwischen logiert Hydra in Kreuzberg.

Seither ist einiges passiert. Nicht nur das System Prostitution, immer schon eng verflochten mit der Unterwelt, hat sich internationalisiert und mafiös vernetzt, auch Hydra & Kolleginnen sind andere geworden. In den sogenannten „Hurenprojekten“ sind nur noch ganz wenige oder auch mal gar keine (Ex)Prostituierten aktiv. Und wenn, ist das gern eine Ex-Prostituierte mit eigenem Studio, die andere Frauen für sich anschaffen lässt. Interviews im Namen der „Huren“ geben bei Hydra sehr selten Prostituierte, meist sind es Sozialarbeiterinnen.

Bezeichnend für die Haltung von Hydra & Co. zur Prostitution ist ein „Offener Brief an die Kanzlerin und diverse MinisterInnen“ von Juli 2009. Er ist, neben Hydra, unterzeichnet von den „Hurenprojekten“ Kassandra in Nürnberg, Kober in Dortmund, Madonna in Bochum, Sperrgebiet in Hamburg, Nitribitt in Bremen, Tamara in Frankfurt – und Amnesty for Women. In dem Brief geht es um ein Problem, das zu der Zeit Thema in allen Medien war: die frisch eingeführte Flatrate in Großbordellen. Da konnten Männer für 70 bis 100 Euro einen Tag lang bumsen à gogo. Das „Frischfleisch“ aus den ärmsten Ländern Osteuropas hatte den Männern, die einzeln kamen oder in Rudeln, zur Verfügung zu stehen. Am ersten Wochenende im "Pussy Club Fellbach", der die Flatrate lancierte, fielen rund 1 700 Männer ein. In Internetforen für Freier sei beklagt worden, dass bei Flatrates „Frauen bereits am Mittag im Geschlechtsbereich wund und deshalb arbeitsunfähig“ gewesen seien, erklärte der für Fellbach zuständige Polizeichef Ralf Michelfelder der Presse. Auch hätten Frauen „ständig geweint“.

Kritik kam auf in der Öffentlichkeit. Eine Bürgerinitiative machte mobil. Und was tun die „Hurenprojekte“? Sie beziehen in dem offenen Brief an die Kanzlerin Partei pro Flatrate. Alles nicht so schlimm, muss denken, wer diesen Brief liest, denn: „Reißerische Werbung eines Betreibers und zwischenmenschliche Realität der sexuellen Dienstleistungen sind nicht identisch. Auch in der Sexarbeit besteht eine nicht zu vernachlässigende Diskrepanz zwischen Werbebotschaft und Anwendungserleben.“ So ein Vokabular im Zusammenhang mit Flatrates für die Armuts- und Zwangsprostituierten in Großbordellen muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen. Zwischenmenschliche Realität. Anwendungserleben. Diskrepanz. „Wir würden zu dieser Diskrepanz gerne die Betroffenen anhören“, schreiben die Lobbyistinnen in ihrem offenen Brief an die Kanzlerin. Dabei gilt ihre Sorge wohl weniger den Prostituierten, sondern vorrangig BordellbetreiberInnen wie der „Geschäftsführerin des Pussy Club Fellbach“. Bei ihr könnten, schreiben sie, „die Sexarbeiterinnen frei wählen, welche sexuellen Dienstleistungen sie wem und wann anbieten“.

Das von Hydra & Co geforderte Gespräch mit der Geschäftsführerin des Pussy Clubs erübrigte sich dann rasch: Die wurde wenig später wegen „Steuerbetrug“ zu drei Jahren verurteilt. Die neun Männer jedoch, deren Strohpuppe die Frau offensichtlich war, bekamen hohe Haftstrafen wegen schweren Menschenhandels. Frauen aus Rumänien waren nach Deutschland gelockt worden mit dem Versprechen, Jobs als Kellnerinnen oder Tänzerinnen zu bekommen, wurden aber dann von Großbordell zu Großbordell verfrachtet. Die Frauen mussten für die 2011 verurteilten Menschenhändler bis zu 1 000 Euro wöchentlich erwirtschaften. Sie mussten an sechs Tagen pro Woche bis zu 14 Stunden ihre Dienste anbieten und bekamen pro sexuellem Kontakt zwischen 3,75 und 5 Euro. In der Tat, da besteht eine nicht zu vernachlässigende Diskrepanz zwischen Werbebotschaft und Anwendungserleben.

In der Satzung steht bei Hydra e.V. noch als „Zweck des Vereins“: „1. die Förderung des sozialen Schutzes und der kulturellen Integration von Prostituierten. 2. die Förderung der beruflichen Bildung von Prostituierten als Hilfe zum Umstieg in andere Berufe.“ Im realen Vereinsleben aber bleibt davon nicht viel übrig. Da propagiert Hydra u. a. die Verharmlosung der Prostitution („Ein Beruf wie jeder andere“, „freiwillig“ und „selbstbestimmt“), die gesellschaftliche Anerkennung der „Sexarbeit“ („eine wertvolle und wichtige Dienstleistung“) sowie den Einstieg statt Ausstieg.

Es ist Hydras Jahresberichten, Papern an die Politik (vor allem die sympathisierenden Grünen) sowie den Berichten in den Medien durchaus zu entnehmen, was der „Prostituierten-Verein“ wirklich tut. So wird zum Beispiel im „Jahresbericht“ 2010/2011 auf drei mit vielen lustigen Fotos von Festen und Demos aufgelockerten Seiten berichtet: vom „ersten Berliner Sexworker-Filmfestival“, vom „Hurenball im KitKat-Club“, von einem Ausflug zur „Sexworker Open University“ in London und der Teilnahme am „Slutwalk 2011“. – Keine Frage, es muss Spaß machen, bei Hydra zu arbeiten. Und das alles auch noch staatlich finanziert.

Die Anzahl der bei Hydra Hilfe suchenden Prostituierten im Jahr? Die Art der Beratung? Aufklärung in Bordellen, Clubs und auf dem Strich? Wie viele  Einstiegshilfen? Wie viele Ausstiegshilfen? Zahlen, konkrete Tätigkeiten, Fortbildung? Über all das im Jahresbericht kein Wort. Was den zahlenden Staat nicht zu stören scheint.

Es war Hydra, die 2001 mit ihrer Lobby arbeit die Reform des Prostitutionsgesetzes entscheidend beeinflusst hatte. Der Verein, der in den 1980er Jahren gerne zu „Hurenbällen“ mit Freiern und Bordellbesitzern lud, wird in den Medien bis heute als „Speerspitze der Hurenbewegung“ bezeichnet. EMMA machte sich schon damals die Mühe zu recherchieren. Ergebnis: Hydra hatte, als das Gesetz unter dem Einfluss der Lobbygruppe verabschiedet wurde, gerade mal elf eingetragene Mitglieder; davon waren sechs Sozialarbeiterinnen, die ihr Gehalt nicht mit dem Angebot „sexueller Dienstleistungen“ verdienten, sondern vom Berliner Senat bezogen. Im Vorstand: eine Bordellbesitzerin.

Heute steht an der Hydra-Spitze Karoline Leppert. Die 67-Jährige war früher Versicherungskauffrau in der bayerischen Provinz, heute ist sie Domina, „aber nur noch als Hobby“. Früher war Leppert Vorsitzende des „Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen“, der sich für die „Beseitigung jeglicher gesetzlicher Behinderungen des Gewerbes“ einsetzte. Geht es hier womöglich vor allem um kommerzielle Interessen?

Im Jahr 2011 hatte Hydra besonderen Grund zur Freude. „Nachdem wir in den letzten Jahren immer wieder das Fehlen von Umstiegsprogrammen bemängelt hatten“, behauptete Hydra ungeniert, „freuen wir uns darüber, dass Berlin der dritte Standort des Bundesmodellprojektes ‚Ausstieg/Umstieg aus der Prostitution‘ geworden ist“. Was bedeutet: Zu den 213 000 Euro im Jahr vom Berliner Senat fließt nun noch vier Jahre lang via „Modellprojekt DIWA“ des Bundesfamilienministeriums ein schöner Batzen Geld zusätzlich in die Hydra-Kasse.

Denn nur für DIWA allein werden 132 500 Euro pro Jahr gezahlt. Die laufen allerdings über die Geldverteilerinnen Goldnetz e.V. an Hydra und Goldrausch e.V. Kontour. Und bei den Goldmädels bleibt vermutlich was hängen, die müssen ja schließlich auch leben. Welches Projekt von den 132 500 Euro im Jahr für den Ausstieg nun wie viel bekommt? Die von EMMA angefragten Projekte Goldnetz e.V. und Goldrausch e.V. Kontour lehnten jegliche Auskunft ab. Argument: „Datenschutz“. Auch das Familienministerium, das sich offiziell den Ausstieg auf die Fahnen geschrieben hat, antwortet auf alle Fragen nur lakonisch: „Datenschutz“.

EMMA wollte es nun doch genauer wissen und fragte auch bei Hydra nach der Anzahl der Mitarbeiterinnen und Vereinsmitglieder. Die Antwort der „Hydra-Frauen“ war knapp: Die Fragen von EMMA seien „anmaßend“ und „unverschämt“. Nicht eine Zahl, nicht ein Fakt. Übrigens: Insgesamt lässt sich das Familienministerium das „Modellprojekt Ausstieg“ in drei Projekten über vier Jahre 1 790211,45 Euro kosten.

Einemillionsiebenhundertneunzigtausend Euro. Für den Ausstieg. Damit keine Missverständnisse aufkommen, fügte die Presseabteilung des Ministeriums ihrer Antwort auf die EMMA-Anfrage noch hinzu: „Die Bundesregierung hält daran fest, dass Prostitution kein ‚Beruf wie jeder andere‘ ist, und unterstützt auch aus diesem Grund die genannten Modellstandorte beim Aufbau von Angeboten zur Begleitung von Frauen, die für sich eine Alternative zur Prostitution suchen.“ An sich löblich.

Aber weiß die Regierung eigentlich, wen sie da fördert? Dass sie mit Steuergeldern für den Ausstieg aus der Prostitution Projekte fördern, die seit Jahren auch für den Einstieg werben?! Gerade Hydra hat, mit tatkräftiger Unterstützung der Grünen, den Slogan „Prostitution ist ein Beruf wie jeder andere“ ja quasi erfunden, dito die „Einstiegsberatung“. Wäre es nicht so traurig, wäre es zum Lachen.

Doch das Lachen vergeht einer vollends, wenn sie erfährt, dass Hydra im politischen Berlin seit Jahren den Ton angibt. Das weitgehend hurenfreie „Hurenprojekt“ sitzt in wichtigen Gremien, die Gelder verteilen und Gesetze vorbereiten. Hydra wird als „Expertin“ zu Anhörungen bei Politik, Justiz und Polizei eingeladen. Hingegen sind Projekte, die wirklich vor Ort Prostituierte beraten und aktiv beim Ausstieg unterstützen, wie Solwodi oder Neustart, nicht gerade tonangebend.

Neustart zum Beispiel hat seit Jahren einen Treff an der Kurfürstenstraße – da, wo einst Hydra war – und macht Streetwork. Gerhard Schönborn, der Leiter von Neustart, ist täglich mit Menschenhandel und Zwangsprostitution konfrontiert. Er klagt: „Es ist schlimmer als je zuvor. Die sogenannten „freiwilligen Prostituierten“ kann Schönborn „an einer Hand abzählen“.

Beratungsstellen, die nicht auf Hydra-Kurs sind, werden eingeschüchtert. Bei Gesprächen unter vier Augen fallen Sätze wie: „Wir sehen das ja auch anders. Aber wenn wir was Kritisches gegen Prostitution sagen, haben wir Angst, aus dem Dachverband zu fliegen – und dann kriegen wir kein Geld mehr.“ Und immer wird noch hinzugefügt: „Bitte zitieren Sie mich auf keinen Fall namentlich.“

Auffallend ist auch, wie häufig die Verantwortlichen von Hydra betonen, sie seien Mitunterzeichnerinnen des „St. Pauli Protokolls“. Dieses Manifest von April 2008 wurde anlässlich der „39. Fachtagung Prostitution“ verabschiedet, an der „aktive und ehemalige SexarbeiterInnen, VertreterInnen von Prostitutionsberatungsstellen und MigrantInnenorganisationen“ teilnahmen. Auf der Tagung wurde zwar eingeräumt, dass „60–80 Prozent der Sexarbeiterinnen Migrantinnen“ sind, man verwahrte sich jedoch gleichzeitig dagegen, dass Prostituierte „benutzt und als Opfer gesehen werden“. Wie praktisch für die Frauenhändler. Wo keine Opfer sind, sind schließlich auch keine Täter.

Tatsächlich haben Hydra & Co sich in all den Jahren kaum mit Kritik zur Lage von Zwangsprostituierten hervorgetan, deren Leben in Deutschland mit dem Begriff „weiße Sklaverei“ treffend bezeichnet ist. Im Gegenteil. Hydra-Mitarbeiterin Simone Kellerhoff, von Beruf Ergotherapeutin, erklärte in einem Interview: „Es gab schon immer einen hohen Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund. Seit 2007 sind viele osteuropäische Frauen dazugekommen. In der Regel hatten die Frauen in ihren Ländern bereits Kontakt zur Prostitution. Sie kommen selbstbestimmt her.“

Im Namen der „SexarbeiterInnen“ fordern die Organisationen in besagtem St.-Pauli-Protokoll „gleiche Arbeitsrechte, freie Arbeitsplatz-Wahl und gerechte Arbeitsbedingungen mit einem entsprechenden Arbeits- und Aufenthaltsstatus“ – was der nackte Zynismus ist angesichts der Osteuropäerinnen, die von Menschenhändlern und aller Art von Profiteuren hin und her geschoben werden und meist kein Wort Deutsch können. Am Ende des Protokolls lassen die selbst ernannten „SexarbeiterInnen“ die Katze aus dem Sack. Sie verlangen eine „fortwährende Bereitstellung der finanziellen Grundlagen zum Erhalt und Ausbau der Fachberatungsstellen“.

Und in der Tat: Kommunen, Länder und Bund zahlen und zahlen. Schließlich wollen sie fortschrittlich sein und cool. Wer redet denn hier noch von (Zwangs)Prostitution und Menschenhandel? Wir sprechen von „selbstbestimmten SexarbeiterInnen“.

Sabine Constabel ist – neben Schwester Lea Ackermann von Solwodi – eine der wenigen, die gegenhält. Seit 22 Jahren ist die Sozialarbeiterin der Stadt Stuttgart engagiert im Rotlichtmilieu und Koordinatorin der Anlaufstellen La Strada und Café Strich-Punkt. Constabel kann nur noch den Kopf schütteln angesichts solcher Pro-Prostitutions-Pamphlete. „Ich habe den Eindruck, die Hydrafrauen wissen gar nicht, um was es geht“, sagt sie. „Sie scheinen es zu oft mit etablierten deutschen Althuren zu tun zu haben, die meist selber Studios, Clubs oder Appartements betreiben und junge Frauen dort anschaffen lassen. Aber die Realität dieser Minderheit von ‚selbstbestimmten‘ Prostituierten ist Lichtjahre von der der Mehrheit der Frauen in den Bordellen und auf der Straße entfernt.“ Constabel: „Hydra macht Einstieg für Frauen in die Prostitution. Man muss schon die Frage stellen: Wem nutzt das?“

In der Tat. Hydra macht nicht nur Einstiegsberatung und Lobbyarbeit für die Prostitutionsbranche, sie bemüht sich auch um die Schaffung neuer Märkte. So berichtete Hydra-Mitarbeiterin Marion Detlefs, eine der Sozialarbeiterinnen, im Jahr 2009 Journalisten stolz, es sei Hydras Idee gewesen, Altenheime und Behinderteneinrichtungen in Berlin anzuschreiben und ihnen Prostituierte anzubieten.

Die Ideologie von Hydra & Co lautet: Prostitution ist „ein Austausch unter Gleichen“. Katharina Cetin und Joanna Lesniak von Hydra: „Wir sagen, Prostitution ist ein Vertrag zwischen zwei erwachsenen Menschen, die einvernehmlich entscheiden – freiwillig.“ Das geht allerdings mit 180 Sachen an der zunehmend dramatischen Lage von 99 Prozent aller Frauen in der Prostitution vorbei.

Und die Politik? Die guckt weg. Schlimmer noch: Sie lässt sich von den „Hurenprojekten“ Hydra & Co beraten. Zur Verzweiflung auch von Polizei und Justiz, denen die Kontrolle des mafiösen, international vernetzten Milieus von Menschenhandel und Zuhälterei längst entglitten ist und die kaum noch gesetzliche Handhaben haben zu intervenieren.

Und Hydra ist nicht das einzige „Hurenprojekt“ in Deutschland, das mit seinem hoch ideologisierten, lebensfernen Diskurs Politik und Medien munter manipuliert. Mindestens so toll wie Hydra treibt es Kassandra, die „Beratungsstelle für Prostituierte“ in Nürnberg. Gleich auf der ersten Seite ihrer Webseite bietet Kassandra Informationen an, „umfassend & pro Prostitution“, und präzisiert: „Einer unserer Schwerpunkte ist die Qualifikation von Prostituierten in der Sexarbeit.“ Also die Optimierung des Personals.

So liest sich die Website von „Kassandra“ wie eine Werbeveranstaltung für käuflichen Sex: „Prostitution war, ist und bleibt Teil unserer sexuellen Kultur“ ist dort zu lesen. Und: „Wir setzen uns dafür ein, dass der Wert von Sexarbeit für die Gesellschaft anerkannt wird.“ Und ohne Umschweife: „Wir beraten pro Prostitution.“ Kassandra beantwortet allen, die in Nürnberg und Umgebung anschaffen wollen, „gern Fragen zu den aktuellen Werbemöglichkeiten“. Und selbstverständlich kann frau bei Kassandra eine Fortbildung zur „zertifizierten Sexualbegleiterin zum Anbieten professioneller Dienstleistungen für ältere und behinderte Menschen“ absolvieren.

Kaum zu fassen, dass Kassandra nicht nur von der Stadt 63 000 Euro im Jahr erhält, sondern auch eines der drei Projekte in Deutschland ist, die im Rahmen des „Modellversuchs zum Ausstieg“ des Frauenministeriums bis Ende 2014 gefördert werden; allein Kassandra mit 162 000 Euro im Jahr, also 651 985 Euro in vier Jahren (darunter 60 000 Euro vom Land Bayern). Das Modell heißt Opera und liest sich bei Kassandra so: „Opera steht für Orientieren, Probieren, Erfahren, Ausbilden. Hauptziel ist die Qualifizierung und Förderung der beruflichen Neuorientierung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern“. Ganz heißer Tipp an Stadt, Land und Bund: mal genau nachhaken.

Die mit Abstand härteste und zielbewussteste Pro-Prostitutionsstrategie allerdings kommt aus Frankfurt, der traditionellen Drehscheibe des Menschenhandels. 

Da ist die Vorsitzende des Vereins Doña Carmen, eine gewisse Juanita Henning, federführend. Sie war laut Medien in den 90er-Jahren mal beim Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt angestellt, sei heute jedoch nicht dort beschäftigt, sagt die Stadt auf Nachfrage. Für wen arbeitet Henning dann? Sie gibt u.a. die mehrsprachige Zeitschrift La Muchacha heraus, in der auch Bordellbetreiber schreiben.

Sie betreibt auf jeden Fall die Verharmlosung der Lage der Frauen in der Prostitution mit dem Ziel einer weitgehenden Legalisierung im ganz großen Stil. „Da muss man sich schon fragen, wem das nutzt“, klagt ein Frankfurter Kommissar, der, wie alle, die sich kritisch über Pro-Prostitutions-Aktivitäten äußern, nicht genannt werden will.

Als im Juni 2009 die Empörung über die Flatrate im Pussy Club in Fellbach bei Stuttgart hohe Wellen schlug, schaltete Doña Carmen aus Frankfurt viertelseitige Anzeigen in der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau. Kostenpunkt laut Eigenauskunft: „Unter 10 000 Euro“. Überschrift: „Schluss mit dem Kesseltreiben!“ Es protestierten 77 „in sogenannten Flatrate-Bordellen tätige Frauen“ gegen die „frauenfeindlichen und rassistischen Äußerungen“ in der Debatte um die Flatrates. Sie seien keine „unbedarften Frauen“, sondern wüssten, was sie täten, erklärten die 77 und luden zur „Bordellführung“ und „Podiumsdiskussion“ in den Pussy Club. Der wurde bald darauf geschlossen und der Prozess gegen die Menschenhändler, die die Frauen in den Club geschleust hatten, begann.

Die heute 43-jährige Juanita hatte sich 2005 mit einer Diplomarbeit über „Kolumbianische Prostituierte in Frankfurt“ profiliert. Die seien keineswegs nur Armutsprostituierte, sondern häufig Mittelstandsfrauen, die eine Art „Dienstleistungsverkehr“ betrieben. Für Henning, die sich in einem Interview mit dem Stern gegen eine Kondompflicht in Bordellen aussprach, ist die Prostitution von Migrantinnen eine „Völkerverständigung von unten“. Völkerverständigung. Von unten.

Henning und ihren Gönnern geht die Reform von 2002 noch nicht weit genug. Sie hält selbst die geplante leichte Korrektur für ein „lupenreines Polizeigesetz“.

Wie übrigens auch Alice Schwarzer für sie eine „deutsche Polizeifeministin“ ist. Henning schrieb: „Es gibt immer mehr tolerante Frauen. Und es gibt natürlich auch solche, die mit der Prostitution über Kreuz sind. Letztere haben in der Regel Ängste und Probleme im Umgang mit der eigenen Sexualität. Sie projizieren diese Unsicherheiten auf Frauen in der Prostitution. Das ist die Sichtweise, die wir im Pseudo-Feminismus einer Alice Schwarzer kultiviert sehen.“

Schon den Begriff Zuhälter findet Henning „diskriminierend“. Und die von der Polizei als hochkriminell eingestuften Hells Angels, die nicht nur in Frankfurt das Milieu kontrollieren, sind in ihren Augen „kreuzbrav“. Lobend stellt sie fest: „Der Trend geht weg vom Schmuddel-Image, hin zur Wellness-Prostitution. In Deutschland ist diese Entwicklung im Jahr 2002 dankbarerweise durch die Änderung des Strafrechtsparagrafen angestoßen worden.“ Auch Henning plädiert für Prostitution als Beruf und hält bei der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) Vorträge in diesem Sinne. Seite an Seite mit ihr agiert dort Gerhard Walentowitz, Lehrer und Mitbegründer von Doña Carmen.

Die Strategie des Vereins, dessen Finanzquellen trotz intensiver Recherche unbekannt sind, zielt auf die angekündigten Veränderungen des Prostitutionsgesetzes unter der neuen Regierung.

Im November 2013 lud Doña Carmen zu den „2. Frankfurter Prostitutions-Tagen“. Es reiste eine beachtliche Riege von Doktoren und Professorinnen an: Prof. Dr. Sabine Gless aus Basel referierte über die „Reglementierung von Prostitution“; Prof. Dr. Rebecca Pates aus Leipzig trug zur „gewerberechtlichen Überwachung und Konzessionierung“ vor; Dr. Sabine Schiffer, Leiterin des „Instituts für Medienverantwortung“ in Erlangen sprach über „Medien und Vorurteile“; Dr. Ina Hunecke, Strafrechtswissenschaftlerin aus Kiel über den „Schlagzeilenjournalismus als Gefahr für die legalisierte Prostitution?“. Natürlich durfte auch ein Anwalt nicht fehlen: Till Günther aus Pfinztal informierte in gegenderter Sprache über die Bedeutung der „gewerberechtlichen Regulierung von Prostitution für Betreiber/ innen von Prostitutionsstätten und für Sexarbeiter/innen“. Und der Stadtoberrechtsdirektor Dr. Kay-Uwe Rhein aus Mönchengladbach gab Tipps in Sachen Prostitution und Baurecht. Das Ganze moderierte eine Frau Prof. Dr. Ellen Bareis aus Ludwigshafen. Eine wahrhaft ehrenwerte Gesellschaft.

„Das Ganze kam mir vor wie eine Schulung für Bordellbetreiber“, berichtete eine Teilnehmerin. Unter den rund 50 TeilnehmerInnen seien für sie nur drei Frauen als „Sexarbeiterinnen“ kenntlich gewesen. Eine von ihnen, Undine de Rivière, agiert in dem gerade gegründeten „Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ an vorderster Medienfront. Sie ist eine der drei bis vier im Fernsehen dauertalkenden „freiwilligen, selbstbestimmten“ Prostituierten.

Gefördert wird die Tagung von der ultralinken Berliner „Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt“. Hört sich gut an. Die ganze feine Gesellschaft hat sich 2010 in einem Dachverband zusammengeschlossen: bufas – Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Neben Hydra, Kassandra und den einschlägigen „Hurenprojekten“ ist auch ver.di (Fachbereich 13 Hamburg, „besondere Dienstleistungen“) Mitglied.

Das bufas fordert unter anderem die „ersatzlose Streichung“ der Paragraphen 180a und 181a des Strafgesetzbuchs. Diese Paragraphen stellen bisher immerhin noch die „Ausbeutung von Prostituierten“ und „Zuhälterei“ unter Strafe. Laut bufas gebe es aber keinen Grund für diese „Sondergesetze“. Das bufas will auch die Aufhebung von Sperrgebietsverordnungen, sprich: Prostitution immer und überall.

Die bufas-Jahrestagung 2012 fand im November in Bochum statt, gefördert von der grünen Frauenministerin NRW, Barbara Steffens, sowie der „Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt“ (kennen wir schon). Nach einem Grußwort der Frau Ministerin durfte auch Holger Rettig vom UEGD reden, dem „Unternehmerverband Erotik Gewerbe Deutschland“. Dieser Verband der BordellbetreiberInnen vertritt nach eigener Aussage große Bordelle und Clubs sowie kleine Wohnungsbordelle, „um helfend einzugreifen“. Erklärtes Ziel: „Geld zu verdienen, und dies in (rechts)sicheren und langfristig kalkulierbaren Verhältnissen“.

Zu guter Letzt bedankte Rettig sich bei den Grünen, „ohne die es kein Prostitutionsgesetz“ gäbe und längst „schwedische Verhältnisse in Deutschland herrschen würden“. Dafür empfinde er „eine Art Dankbarkeit gegenüber der Partei“.

So schließt sich der Kreis.

 

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