Zwischen Folter und Traum

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Es beginnt damit, dass ich, in einen grünen Marsmännchenanzug gehüllt, auf dem Kopf und an den Füßen eine Art Duschhaube, vor dem Mund einen Mundschutz, in den Operationssaal geführt werde. Auf dem OP-Tisch liegt eine Leiche. Jedenfalls sieht die Patientin so aus, weil sie sich in Vollnarkose befindet. Kein schmeichelhafter Anblick. Ihre Augen sind starr, wie bei einem Reptil und zu schmalen Schlitzen geöffnet. Wenn der Chirurg ihren Kopf anhebt, dann scheint es, als könne er diesen ohne weiteres abnehmen, beiseite legen und später wieder aufsetzen.

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Die Patientin ist 55 Jahre als und sieht älter aus. In ihrem Mund steckt ein Beatmungsschlauch, aus den Armen ragen Kanülen, die mit einem Tropf verbunden sind. Und doch geht es hier nicht um Leben und Tod, sondern um Falten an der falschen Stelle. Nicht an den Fußsohlen, sondern mitten im Gesicht.

Erst spritzt der Chirurg mit der Nadel immer wieder unter die Haut, als wolle er eben nur mal einen locker gewordenen Saum anheften. Das ist der Anfang. Dann schneidet er mit einem Skalpell von der Schläfe herunter bis zum Ohr, um das Ohr herum, hinter das Ohr – aber keine Angst, das Ohr bleibt dran – und biegt schließlich in den Haaransatz ab.

Das ist eine reichlich blutige Angelegenheit, weshalb wie verrückt getupft wird oder besser: gewischt. Dann trennt der Chirurg nach und nach die Haut mit einer kleinen Schere, die aussieht als wäre sie fürs Weihnachtssternebasteln geeignet, von dem darunter liegenden Bindegewebe. Das hört sich an, als würde hier gerade ein Schnitzel zu Geschnetzeltem geschnitten. Tschk, tschk, tschk. Immer wieder stopft der Operateur Tupfer unter die Haut, zieht sie blutgetränkt hervor und wirft sie mit viel Schwung in den Abfalleimer.

Gegen ein Lifting ist eine Himalaya-Besteigung ein Sonntagsspaziergang. Ich wette, dass der Messner kein Blut sehen kann. Der läge schon längst unter dem Operationstisch. Manchmal spritzt die OP-Schwester hinter die abgelöste Haut etwas Kochsalzlösung, die dann gleich wieder zurück schwappt, sodass es aussieht, als würde ein ganzer Schwall Blut aus dem Kopf heraus sprudeln. Wie bitte? Sie sagen, Sie sind gegen Schönheitsoperationen? Für das Altern in Würde? Gelebtes Leben mit Truthahnhals? Dann haben Sie vielleicht noch keinen. Oder Sie haben keinen mehr.

Wer auf sich hält, gibt nicht zu, dass er unterm Messer war. Sondern leugnet, leugnet, leugnet. Auch wenn der Hals bereits hinter den Ohren verschwunden sein sollte, es gilt das Sophia Loren-Schönheitsrezept: Immer schön Mineralwasser trinken und um acht Uhr ins Bett gehen! Oder das Iris-Berben-Rezept: „In Würde altern.“

Tschk, tschk, tschk. Inzwischen ist die Haut bis kurz vor die Nase abgetrennt. Jedenfalls auf der einen Gesichtshälfte. Die OP-Schwester hält sie mit einer Art Pinzette hoch, wobei das Licht durch die Haut wie durch einen Lampenschirm fällt, was das darunter liegende Bindegewebe eigentümlich schillern lässt. Die Haut sieht aus wie die einer Gans. Sie ist erstaunlich dick, etwa einen halben Zentimeter, schätzungsweise. Während die Schwester sie hoch hält, rafft der Chirurg das darunter liegende Gewebe nach hinten und näht es fest. Denn es hat ja keinen Sinn, nur die Haut glatt zu ziehen, ohne das Darunter festzuzurren, sonst fällt die Chose ja gleich wieder zusammen.

Das Ganze hat eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Spicken eines Bratens. Manchmal fährt der Chirurg mit der Hand in die entstandene Tasche zwischen Haut und Bindegewebe und prüft, ob er alles gut gespickt hat. Danach legt er die Haut wieder an, streicht sie glatt wie einen zerknitterten Stoff und schneidet ab, was überhängt. Die abgeschnittene Haut wirft er nicht weg, offenbar wird hier jeder Schnipsel noch gebraucht. Er legt die Haut in ein kleines Töpfchen und stellt es beiseite.

Das ist die Stelle wo meine Freundinnen immer schreien: Huuu! Und DAS würdest du tun? Natürlich erwarten sie, dass ich antworte: niemals! Lieber trete ich mir auf meine Tränensäcke! Stattdessen erinnere ich daran, dass das Schlimmste ja keineswegs die Falten sind – die lassen sich mit Gore-Tex-Fäden auffüllen (einzelne Fäden tendieren jedoch dazu, sich wie kaputte Bettfedern aufzustellen) oder Goldfäden (haben den Nachteil, nach einiger Zeit zu brechen und dann im Gesicht herumzuspazieren). Das hilft jedoch alles nichts, wenn das Gesicht verschwimmt. Wenn sich die Konturen auflösen und Truthahnhälsen, Tabaksbeutelmündern und Tränensäcken weichen. Weshalb ich dafür plädiere, sich lediglich auf den Kopf zu konzentrieren und den restlichen Körper mitsamt seiner Waden-, Brust-, Po-Implantate, Schamlippenstraffungen, Penisverlängerungen und Handaufpolsterungen als quantité négligeable zu betrachten.

Mittlerweile ist im Operationssaal das endoskopische Liften der Stirn an der Reihe. Dazu schiebt der Chirurg eine Videokamera unter die Stirnhaut, natürlich keine, mit der man auf Mallorca Aufnahmen von einer Hibiskushecke macht, sondern ein Miniaturmodell, das unter die Stirn passt. Auf dem Monitor sehe ich eine wilde Kamerafahrt, durch einen Schlund tauchen wir in eine Grotte ein. Eine Geisterbahn. Unterirdisch wird gerafft, festgezurrt, verknotet, und ich falle in Ohnmacht. Jedenfalls fast, denn mit letzter Kraft schaffe ich es noch, mich heraus zu schleppen.

Ich setze mich auf den nächstbesten Hocker und versuche, über den Unterbauch zu atmen. Ich schlucke und schlucke und schlucke, und dann fällt mir wieder der blöde Messner ein, der garantiert kein Blut sehen kann, woraufhin ich sofort wieder in den Operationssaal zurück wanke und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Dort plätschert das Radio mit den Verkehrsnachrichten und „Mambo Number Five“. Chirurg, Anästhesistin und OP-Schwester plaudern entspannt über das Wetter. Ich fürchte, dass sie zwischen zwei Gefäßverödungen auch noch Cocktailrezepte austauschen.

Und jetzt sind wir auch schon fast fertig. Der Chirurg holt die Hautschnipsel wieder aus dem Töpfchen und schneidet mit seiner kindersicheren Schere winzige Sehnen aus, wie gelbe Würmchen. Die werden in die Furchen rechts und links vom Mund gesteckt. Mit einem Instrument, das aussieht wie eine Kreuzung aus Häkelnadel und Nagelschere zieht er die Würmchen in die Falten ein, oben sticht er rein und unten wieder raus, wobei es „plopp“ macht. Ich schlucke und konzentriere mich wieder ganz auf meine Unterbauchatmung.

Am Ende sieht alles ganz schön glatt aus, ein bisschen blutig vielleicht, aber glatt. Allerdings finde ich die Ohrläppchen im Verhältnis zum Gesicht jetzt irgendwie zu groß. Sie sind überhaupt so eine unterschätzte Angelegenheit. Die wachsen nämlich im Alter! Da lässt man sich liften und hat diese riesigen Ohrläppchen, das ist ja eine Plage. Doch der Chirurg beruhigt mich. Nichts ist unmöglich. Die Ohrläppchen können sehr wohl verkleinert werden, falls man es wünscht. Abknipsen? Und was, wenn die Proportionen dann nicht mehr stimmen? Winzige Ohrläppchen und ein riesiges Ohr? Fragen über Fragen.

Die geglättete Patientin wird aus dem Operationssaal geschoben. Drei Stunden waren nötig, um eineinhalb Zentimeter Altersverwüstung aus dem Gesicht verschwinden zu lassen.

Aber danach! schreien jetzt meine Freundinnen. Hast du die Frau auch danach gesehen? Darauf kommt es doch schließlich an! Am Ende sieht sie aus wie die Begum! Oder wie Hilde Knef und Michael Jackson zusammen! Selbstverständlich habe ich die Frau danach gesehen. Am nächsten Morgen sah sie aus, als wäre ihr Kopf in die Hände von Kaschmir-Rebellen gefallen. Ein Wassermelonenkopf. Na also, sagen meine Freundinnen und nippen befriedigt an ihrem grünen Tee. Nie würden sie sich freiwillig etwas abschneiden lassen.

Eine Woche später sah ich die Patientin wieder. Sie kam, um sich die Fäden ziehen zu lassen. Im Wartezimmer erblickte ich eine Frau, die ein etwas breites Gesicht hatte. Weil sie mich vage an den Wassermelonenkopf erinnerte, stürzte ich auf sie zu und beglückwünschte sie zu ihrem gelungenen Lifting – unglaublich, dass das sooo schnell abschwellen kann! -, und es stellte sich heraus, dass es die Falsche war. Sie war noch gar nicht geliftet, sondern wollte sich nur ganz zwanglos vom Chirurgen beraten lassen.

Dann betrat die Richtige den Raum. Ihr Gesicht war auf die Hälfte geschrumpft. Keine Beule, nichts verzogen, lediglich ein winziger blauer Fleck unter dem rechten Auge. Sie sah klasse aus. Ein Profil wie Audrey Hepburn. Ich war sprachlos.

Sie ließ sich ihr Lifting von mir bis hin zum Gefäßveröden schildern, fragte mich, ob ihr Ohr dran geblieben sei oder nicht, und erzählte, dass sie Altenpflegerin sei und ihre Ersparnisse für das Lifting geopfert habe. Anstelle eines Autos. Einen Mann hatte sie nicht. Falls sich aber einen finden würde - der ihr vielleicht auch das nächste Lifting in zehn Jahren bezahlen würde -, fände sie das gar nicht schlecht.

Von der Autorin erschien zuletzt „Meine Mutter und ich“ (List).

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