Dunja Hayali: Ich liebe Menschen

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Mit Verlaub, wie eine Nachrichtenmoderatorin im seriösen ZDF siehst du eigentlich nicht aus …
(lacht) Diese beiden Bilder kriegen die Leute meist schlecht zusammen. Die gucken dann und denken: Die kenn ich – oder doch nicht? Für mich ist es ganz amüsant zu sehen, wie es in den Köpfen rattert …

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… und die Leute denken: Ist das wirklich die, die uns im schicken Blazer die Nachrichten präsentiert?
Kleidung hat ja was mit Glaubwürdigkeit und Seriosität zu tun. Ich möchte auch nicht, dass mir jemand das heute-journal in einem Kapuzenpulli präsentiert. Aber ich versuche, mich nicht zu verkleiden. Wenn ich da im Kostümchen stehen würde, müsste ich über mich selbst lachen. Meine Anzüge ziehe ich gern an, das sind auch alles meine eigenen Sachen. Aber privat trage ich halt gern legerere Kleidung. Ich versuche irgendwie hinzukriegen, seriös auszusehen und mir dabei treu zu bleiben.

Dein Weg bis zum Gesicht des heute-journals war ziemlich rasant …
Ja, und für mich ist das immer noch nicht real. Selbst nach zwei Jahren nicht. Wenn ich als Moderatorin des heute-journals angesprochen werde, dann denke ich: Huch, das bin ja ich. Oder wenn eine Anfrage kommt: Wir machen eine Sendung mit Prominenten zum Thema XY, dann denke ich als erstes: Hä? Und dann fällt mir ein: Ach stimmt ja, da war ja was. Ich mach’ ja diesen Job (lacht).
 
Deine Karriere hast du als Sportmoderatorin begonnen.
Ich war schon als Kind sportbegeistert. Ich habe Judo gemacht, Volleyball und Fußball gespielt – alles, was mit Bällen zu tun hatte, fand ich toll. Tennis hab ich auch mal leistungsmäßig gespielt.

Sind deine Eltern nicht zusammengezuckt, als ihre Tochter immerzu was mit Bällen machen wollte?
Nein. Mein Papa hat mich damals selbst mit auf den Tennisplatz geschleift, und auch die anderen Sportarten haben sie unterstützt, sogar den Fußball. Aber dass ich dann auch Sport studieren wollte und nicht Medizin wie mein Vater, das kam nicht so gut an. Mein Bruder ist auch Mediziner und meine Schwester hat zuerst als Arzthelferin gearbeitet und jetzt im Krankenhaus. Aber ich bin ja ein Sturkopf und habe mich durchgesetzt.

Und wie kam es dann dazu, dass du nicht mehr Sportlerin, sondern Sportreporterin werden wolltest?
Ich fand Boris Becker ganz toll und hab gedacht: Wie kommst du an den ran?

Bitte …?
Nee, Quatsch, das war ein Scherz. Mit  14 oder 15 hab ich den Tennisschläger an den Nagel gehängt, weil klar war: Beruflich will ich das nicht machen. Aber ich wollte trotzdem reisen und rumkommen. Und da dachte ich: Ich werde Sportreporterin! Und ab da war das mein großer Traum.

Du hast dann an der Sporthochschule Köln Sport mit Schwerpunkt Medien- und Kommunikationswissenschaften studiert. Die Sportredaktionen waren ja, zu dieser Zeit noch viel stärker als heute, eine Männerdomäne.
Stimmt, aber darüber hatte ich nie nachgedacht. Das ist mir erst klargeworden, als ich im Rahmen meines Volontariats bei einer Produktionsfirma zum ersten Mal rausgeschickt wurde: Bayer Leverkusen, Bundesliga, Wochenende - und ich sollte nach dem Spiel die Interviews holen. Und dann stehst du da und wirst erstmal von deinen Kollegen total übersehen und weggekickt, und dann auch noch von den Fußballern ignoriert. Aber wenn sie dann merken, dass du Ahnung hast und nicht so ein Püppchen bist, das nur mit den Augen klimpert, dann geht das. Wenn die Fußballer sehen, dass du weißt, wovon du sprichst, dann bleiben sie manchmal sogar lieber bei dir als bei den Kollegen. Vielleicht, weil im Gespräch mit einer Frau eine andere Stimmung herrscht. Aber unter den Kollegen gab es bis zum Schluss immer noch einige, allerdings ganz wenige, die sagten: Was will die denn hier? Das war schon ein Kampf. Aber wenn man was werden will …

Es ist ja schon auffällig, dass eine ganze Reihe Frauen als Moderatorinnen Karriere gemacht haben, die aus dem Sport kommen. Anne Will, Maybritt Illner, Dunja Hayali …
Vielleicht zeichnet uns alle etwas aus, das wir durch den Sport gelernt haben ...

Was?
Zu wissen, was man will. Eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit. Sport ist da eine gute Schule.

Im Januar 2006 hast du dann vom Sport zu den Nachrichten gewechselt und bei Deutsche Welle TV in Berlin die Nachtschiene moderiert. Was reizt die Sportreporterin am Nachrichtenmachen im Studio?
Ich habe immer gern Nachrichten geguckt, aufgrund meiner Herkunft war ich früher allerdings eher auslandsaffin. Ich finde es einfach spannend zu wissen, wo was warum passiert. So ist das mit der Neugier. Ich glaube allerdings, dass ich mich im Sport immer noch etwas besser auskenne als in der deutschen Innenpolitik. Zehn Jahre als Sporteporterin hinterlassen einfach Spuren. Ich kann sagen, welcher Trainer warum 1987 zu welchem Verein gewechselt ist, aber nicht unbedingt, welches Gesetz 1980 weshalb unter Helmut Kohl verabschiedet wurde. Das braucht eben ein bisschen Zeit. Außerdem liegen Sport und Politik näher beieinander als man denkt.

Vermutlich stellen sich nicht wenige Menschen vor, dass du um 21.45 Uhr ein paar Blätter untergeschoben kriegst, die du dann vorliest.
Wir Nachrichtenmoderatoren schreiben unsere Sachen überwiegend selbst. Nichts desto trotz ist es natürlich Teamwork. Im heute-journal arbeite ich zum Beispiel mit zwei Leuten zusammen – wir diskutieren über die Art der Umsetzung im Nachrichtenblock, über die Reihenfolge, aber wenn wir uns mal nicht einigen sollten, dann hab ich den Hut auf (lacht). Na ja, schließlich liegt die Verantwortung letztlich bei mir. Ich bin natürlich noch der Jungspund. Gundula Gause, Heinz Wolf und Marietta Slomka machen das ja schon ewig. Claus Kleber war lange im Ausland und hat Leute kennengelernt, von denen ich in Geschichtsbüchern lese. Aber wenn er mich journalistisch nicht ernst nehmen würde, hätte er mich wohl kaum in die Redaktion geholt. Ein bisschen Migrationshintergrund und ein bisschen nett aussehen hätten sicher nicht gereicht – zu Recht.

Was dir allerdings nach Dienstantritt von vielen Journalisten unterstellt worden ist.
Dass die nach meinem Migrationshintergrund gefragt haben, ist ja völlig okay. Meine Eltern kommen aus dem Irak. Ich habe arabische Wurzeln, auf die auch stolz bin. Was mich aber nervt, ist die Unterstellung, ich hätte den Job nur deshalb bekommen.
Das ist der gleiche Spruch, den sich sogenannte "Quotenfrauen" anhören müssen: "Die hat den Job nur gekriegt, weil sie eine Frau ist."
Stimmt. Man ist ständig dabei, sich zu rechtfertigen und zu beteuern, dass es hier um Qualität geht. Das ist wirklich unfair, allerdings haben diese Unterstellungen  inzwischen auch nachgelassen. Dabei finde ich es natürlich toll, dass ich mit diesem Namen und diesen Haaren, die ja nicht nur schwarz sind, sondern auch noch kurz, an dieser Stelle stehen darf. Der Schritt des ZDF, jemanden mit Migrationshintergrund als Moderatorin einzustellen, hat ja etwas bewegt. Kürzlich kam eine ganz junge arabische Journalistin zu mir und sagte, ich gäbe ihr so viel Hoffnung und das Gefühl, aus ihr kann was werden. Das berührt mich natürlich.

Gab es auch feindselige Reaktionen?
Ja, aber nur zwei. Der eine schrieb neben seinen Beschimpfungen so was wie "Ihr Perser …" und "Ihr Moslems …", was ich ja beides gar nicht bin. Und der andere konnte auch nicht klar denken. Ansonsten habe ich sehr viel positive Post bekommen, auch ganz liebe Briefe von Älteren.

Wie sind deine Eltern denn aus Bagdad nach Datteln gekommen?
Beide sind in den 50er Jahren unabhängig voneinander nach Wien gegangen, um dort zu studieren: mein Vater Medizin, meine Mutter Pharmazie. Dann sind sie weiter nach Mainz, wo meine Geschwister geboren wurden – da schließt sich der familiäre Kreis. Nach Datteln sind sie gegangen, weil mein Vater als Chirurg dort eine Stelle am Krankenhaus bekommen hat. Später hat mein Vater sich als Arzt niedergelassen, in der Praxis hat meine Mutter dann mitgearbeitet.

Hast du als Kind Anfeindungen erlebt?
Nein. Ein Grund dafür ist sicher, dass sich meine Eltern sehr schnell integriert haben. Sie hatten viele deutsche und arabische Freunde, und unser Haus war immer ein Haus der offenen Tür. Es gab viele Feste, da haben die Deutschen und die Araber zusammen gefeiert. Bei uns herrschte Völkerverständigung. Das war für mich immer normal. Und ich bin natürlich noch nie mit Schleier rumgelaufen. Ich glaube auch, dass es den meisten Kindern egal war. Das lief einfach so: Du bist Dunja und du kannst Fußballspielen - du bist in meiner Mannschaft. Oder: Du bist Dunja und du hast mir meine Stulle geklaut - ich sprech nicht mehr mit dir. Allerdings kann ich mich erinnern, dass mein Vater mir, als ich 13 oder 14 war, mal gesagt hat: "Du darfst nie vergessen, dass du Ausländer bist." Das hab ich damals überhaupt nicht verstanden und mich richtig mit ihm gestritten. Heute weiß ich, dass er mich schützen wollte. Er wollte, dass ich vorsichtig bin.

Der Großteil deiner Familie lebt im Irak. Hast du sie nach dem Sturz von Saddam Hussein besucht?
Nein, ich war vor neun Jahren das letzte Mal dort. Ich würde gern wieder hinfahren, aber meine Eltern möchten das nicht, weil sie es für zu gefährlich halten. Meine Familie ist christlich, und für die Christen hat sich die Situation im Irak nach dem Krieg dramatisch verschlechtert. Die werden jetzt regelrecht verfolgt. Ein Onkel musste sein Restaurant schließen, weil er bedroht wurde. Wenn ich im Job über die Anschläge berichten muss, ist das nicht leicht. Am Anfang fiel es mir wirklich schwer, denn jeder Anschlag hätte auch jemanden aus meiner Familie in den Tod reißen können. Aber mit der Zeit lernt man, damit professionell umzugehen. Glücklicherweise ist meinen Verwandten bisher kaum etwas passiert. Inzwischen können wir auch wieder telefonieren, was während des Kriegs nicht möglich war.

Du bist selbst auch christlich erzogen worden?
Früher war ich sogar Messdienerin. Aber dann habe ich mit zwölf ein BMX-Rad zu Weihnachten geschenkt bekommen und bin damit am Heiligen Abend zur Messe gefahren. Und als ich rauskam, war das Fahrrad weg.

Und da hast du dich vom lieben Gott abgewandt?
(lacht) Ich glaube schon an etwas, aber das muss ja nicht Gott sein. Vor allem glaube ich an meine Freunde und meine Familie. Und daran, dass es in der Not greifbare Hilfe gibt.   

Nach der ersten Medienwelle über Deutschlands erste Nachrichtenmoderatorin mit Migrationshintergrund rollte dann im Oktober 2008 die nächste über deine Beziehung zu einer Frau …
Ich hatte daraus ja nie ein Geheimnis gemacht. Aber nachdem die Bild es gebracht hatte, kamen sehr viele Anfragen der Presse. Ich habe alles abgesagt, weil ich nicht auf dieses Thema reduziert werden wollte. Außerdem ist das einfach privat.

Ihr habt also ganz offen gelebt?
Ja. Weil ich mein Leben leben will und nicht einsehe, meine Beziehung zu verstecken. Man hätte uns vom ersten Tag an sehen können. Wir wussten, dass es eines Tages jemand schreiben wird. Wir hatten uns vorgenommen, dass wir dann zwei, drei Dinge sagen, und dann hat sich das Thema für uns erledigt. Das wäre übrigens genauso, wenn es nicht Mareike wäre, sondern Herr Schmidt. Ich möchte einfach mein Privatleben schützen. Die Leute sollen über mich und meinen Job schreiben. Punkt. Aber ich bin mir natürlich im Klaren darüber, dass ich auch damit eine – ja, wie soll man sagen? – Identifikationsfigur bin. Ich habe viel Post von jungen Mädchen und Frauen bekommen, die sich ermutigt gefühlt haben. Und übrigens auch von Heterosexuellen, die schrieben: "Toll! Ich freue mich, dass Sie glücklich sind." Anne und Miriam haben da natürlich eine enorme Vorarbeit geleistet. Wenn die beiden ihr Coming-out nicht vorher gehabt hätten, wäre unseres – wobei es ja genau genommen keines war – wohl nicht so glatt gelaufen.

Bisweilen ist unter den Leser-Kommentaren im Internet allerdings auch von "Sodom und Gomorrha bei den Öffentlich-Rechtlichen" die Rede …
Ja, das gibt es natürlich auch. Ich freue mich jedenfalls, wenn das gerade für Jüngere ein Push oder eine Bestätigung ist. Mein Vater wurde von einer ehemaligen Patientin angesprochen, die einen schwulen Sohn hat. Sie hat seit 40 Jahren mit niemandem darüber gesprochen und jetzt geht sie zu meinem Vater und schüttet endlich ihr Herz aus. Da denke ich: Toll! Dann haben diese ganzen Schlagzeilen wenigstens ein bisschen Sinn. Aber ich möchte darauf nicht festgelegt werden. Ich identifiziere mich ja nicht über meine Sexualität. Ich hab mich irgendwann in eine Frau verguckt und dachte: Huch, was’n jetzt? Du warst doch immer mit Jungs zusammen. Und dann war’s halt ne Frau. Ich hab mich eben immer in den Menschen verliebt.

Ist es eigentlich ein Zufall, dass deine Hündin Emma heißt?
Emma sollte eigentlich Larsson heißen, aber das fanden meine Freunde doof. Sie meinten, man könnte einer Hündin keinen Männernamen geben. Aber ich hab mich rumkriegen lassen. Emma ist stur, weiß, was sie will und macht ihr eigenes Ding. Das passt doch gut, oder?

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